Fotos: Nico Schärer

Der Ring des Grossvaters. Wer Danny Khezzar verstehen möchte, muss genauer hinsehen. Denn der 18-Punkte-Chef aus dem Restaurant Bayview im Genfer Hotel The President hat viele Gesichter: gefeierter Social-Media-Star (eine Million Follower auf Instagram), Spitzenkoch, Gastrounternehmer, aber auch Musiker und sensibler Familienmensch. Der erste Blick kann leicht täuschen. Der Siegelring am Mittelfinger seiner rechten Hand etwa ist nicht bloss Schmuck, sondern eine Erinnerung an seinen verstorbenen Grossvater Claude, der wie er Koch war und das Erbstück am kleinen Finger trug. «Obwohl mein Grossvater starb, als ich sechs Jahre alt war, spielte er eine prägende Rolle in meinem Leben. Er hat mir die Freude am Genuss geschenkt. Ich denke, dass er stolz auf mich wäre, wenn er mich jetzt sehen könnte», sagt der junge Mann mit den Dreadlocks und den auffallend blauen Augen.

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Alexis Vuagnat (l.) aus Jussy GE ist Danny Khezzars Mann für Kartoffeln.

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Sitzprobe im Traktor: Khezzar ist beeindruckt vom Fuhrpark des Landwirts.

mail@nicoschaerer.com ATTENTION IMAGES NON RETOUCHEES LORES Danny Khezzar pour G&M automne 2025

Kartoffeln bis unters Dach: Der Starchef staunt, wie gross Vuagnats Ernte ist.

Zu Besuch auf der Kartoffelfarm. Es ist ein sonniger Morgen Ende September, und wir treffen Danny Khezzar auf dem Hof seines Kartoffelproduzenten Alexis Vuagnat in Jussy, 15 Kilometer ausserhalb von Genf. Von hier kommt die Hauptzutat für den berühmten Kartoffel-Cappuccino aus dem Siphon, den Khezzar im «Bayview» mit einem Pulver aus geröstetem Brot serviert. «Alexis’ Agria-Kartoffeln wachsen in schweren, lehmigen Böden. Das macht die Feldarbeit für ihn und seine Leute mühsam, sorgt aber für ein einzigartiges Aroma», erklärt der Chef. Es ist ihm wichtig, die Gesichter der Menschen zu kennen, die ihn beliefern, und sie seine Wertschätzung spüren zun lassen. Nach einer angeregten Diskussion und einem ausgedehnten Hofrundgang lädt Danny Khezzar den Landwirt spontan ins «Bayview» zum Essen ein.

TGV und Japan-Fast-Food. Am Vorabend unseres Treffens stand Danny Khezzar noch im «Monsieur Claude» am Herd, in seinem Bistro vor den Toren von Paris. Morgens um sechs Uhr sass er schon wieder im Zug Richtung Genf. Für Khezzar, der im Frühling das TGV-Menü kreierte, ist der Tanz auf mehreren Hochzeiten kein Problem. Zumal das «Monsieur Claude» einen ganz speziellen Platz in seinem Herzen hat: Es ist die gastronomische Hommage an seinen geliebten Grossvater. In Genf hat er Mitt Oktober ein weiteres Bistro eröffnet – und ein paar Wochen zuvor das «Sheesh», ein Fast-Food-Lokal beim Bahnhof Cornavin. Dort dreht sich alles um Sandos, japanische Milchbrötchen mit paniertem Pouletschenkelfleisch und weiteren Zutaten wie Tonkatsu-Sauce, Chinakohl und Chili-Mayonnaise. Danny Khezzars wichtigste Mission am Genfersee bleibt aber die Führung der Küche des «Bayview». Und weil er sehr ehrgeizig ist, will er sich mit den aktuellen Bewertungen in den grossen Guides – 18 GaultMillau-Punkte, ein Michelin-Stern – nicht zufriedengeben. «Für 19 Punkte und drei Sterne würde ich mir sogar meine Dreadlocks abschneiden lassen», sagt er.

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Viel Aufwand, viel Geschmack: Khezzars Tomatengang besteht aus Glace, Vinaigrette, Trompe-l’œil mit Avocado, Tarte und gefüllter Tomate.

Die Tomate aus der Kindheit. Eine Khezzar-Kreation im «Bayview» besteht immer aus einer ganzen Reihe von einzelnen Tellern. «La tomate de mon enfance» (Die Tomate meiner Kindheit) etwa teilt sich auf in eine mit Avocado-Hummus gefüllte Tomate, eine Tomatenglace, eine Tomaten-Tarte-Tatin, eine Trompe-l’œil-Tomate aus Avocadocreme und eine hinreissend gute Tomatenvinaigrette. «Die Vinaigrette erinnert mich an die Flüssigkeit, die sich in einem Tomatensalat auf dem Grund der Schüssel sammelt. Meine Schwester und ich haben uns als Kinder immer darum gestritten», erklärt er. «La courgette en partition» (Kürbissinfonie) ist ein Trompe-l’œil: Was wie ein kleiner Kürbis aussieht, entpuppt sich als geräucherte Weinblättercreme mit karamellisierten Kürbiskernen, viermal de- und rehydrierten Chasselas-Trauben, einem Herz aus Verjus und Berberitzen und einem Überzug aus Ingwer-Koji und Kürbis. Dazu gibt es gehaltvollen Kürbis-Zwiebel-Jus. 

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Ganz schön schwer: Danny Khezzar übt sich auf dem Kürbisfeld von Serge Gonin (r.) als Gewichtheber.

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Auf das Reifen kommt es an: Werden Kürbisse richtig gelagert, intensiviert sich ihr Aroma nach der Ernte noch.

Kürbis-Papst Gonins Schätze. Khezzars Mann für Kürbisse heisst Serge Gonin. Der Landwirt und Dozent baut in Puplinge, ein paar Kilometer ausserhalb von Genf, rund 50 verschiedene Sorten an und gibt sein Wissen am Centre horticole in Lullier weiter. Als wir ihn zusammen mit Danny Khezzar besuchen, ist der grösste Teil der Ernte schon eingebracht. Ein paar Dutzend stattliche Muskatkürbisse liegen aber noch auf den Feldern. «Bevor der erste Frost kommt, müssen sie in die Lagerräume, sonst gehen sie kaputt», sagt Gonin. «Wenn man die Kürbisse korrekt lagert, verbessert sich ihre Qualität dagegen noch bis Dezember. Der Wassergehalt sinkt, der Zuckeranteil steigt – und mit ihm die Süsse.»

Ente trifft Pfirsich. Ein paar Schritte vom Kürbisfeld entfernt wächst Cardy, ein ebenso schmackhaftes wie stacheliges Distelgewächs, das einst mit den Hugenotten nach Genf kam und längst eine Spezialität des Kantons ist. Khazzar betrachtet die silbergrün schimmernden Pflanzen aufmerksam; die Kreativmaschinerie in seinem Kopf beginnt zu rattern. Das Wintermenü kommt bald. Noch aber prägen sommerliche Genüsse die «Bayview»-Karte. Pfirsiche zum Beispiel. Khezzar grilliert sie und kombiniert sie mit zarten, saftigen Entenbrusttranchen und Entenconfit. Drei verschiedene Saucen, von cremig-mild bis  orientalisch-würzig, und ein Gyoza mit Pfirsich-Chutney runden den Gang ab.

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Umgeben vom Genfer «Nationalgemüse»: Khezzar (M.) besichtigt mit Serge Gonin (l.) und Johann Favre ein Feld mit Cardy.

Finalist bei «Top Chef». Ins «Bayview» kam Khezzar vor zehn Jahren – als Commis von Michel Roth, der noch heute sein Mentor ist. Die beiden lernten sich kennen, als Khezzar 15 war und von seinen Eltern einen Brunch im «Ritz» in Paris geschenkt bekam. «Monsieur Roth, damals Executive Chef des Hauses, freute sich über mein Interesse an der Gastronomie und zeigte mir sein Reich. Wenig später absolvierte ich einen Stage bei ihm.» Im Jahr 2023 vertraute ihm der Bocuse-d’Or-Sieger von 1991 die Führung der «Bayview»-Küche an – just zu der Zeit, als Danny als Finalist der französischen Kochshow «Top Chef» berühmt wurde. Was kaum bekannt ist: Während der Dreharbeiten verlor Khezzar seine geliebte Grossmutter. Dies war auch der Grund, warum er die Sendung zwischenzeitlich verliess. «Als ich zurückkehrte, hatte ich auf einmal einen anderen Zugang zum Kochen. Auch die 3-Sterne-Köchin Hélène Darroze, die mich coachte, spürte das. Von da an kochte ich mit ganzem Herzen», sagte er in einem Interview mit dem Westschweizer Fernsehen. 

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Der Name ist Programm: Vom Speisesaal des «Bayview» sieht man auf den nahen Genfersee.

Videos mit Ronaldinho und Gims. Seit «Top Chef» wächst seine Fangemeinde unaufhaltsam. Seine Reels, die zum Teil über 16 Millionen Mal (!) geklickt wurden, zeigen ihn mit Stars wie Fussball Weltmeister Ronaldinho oder Rapper Gims. Die treibende Kraft hinter dem Social-Media-Auftritt war zunächst aber nicht er selbst, sondern seine Schwester. Sie riet ihm im Frühling 2022 zum Schritt, ins Rampenlicht zu treten. Das tut Danny Khezzar auch als Rapper in der Band «Les Frères Bizzy», deren zweites Album 2026 erscheinen wird. Ob als Koch oder als Musiker, sein Ziel ist das stets gleiche: Menschen begeistern und Geschichten erzählen. «Hier mit Aromen, dort mit Melodien und Texten», sinniert er.