The Dolder Grand

Senf. Ei. Jeder Chef hat so seine Geheimwaffen. Heiko Nieder gesteht: «Ich muss immer meinen Senf dazugeben. Auch zu Hause, wenn ich für die Familie koche.» Gegen seine Senf-Ei-Attacken ist nichts einzuwenden, auch wenn sie im grossen «Dolder»-Menü häufig auftauchen. Zuerst im besten der vielen Amuse-bouches: ein raffiniertes Algen-Tütchen mit Eiersalat und Senf. Dann beim verrücktesten Gang des Abends: Spareribs! Natürlich war es kein 08/15-Schwein wie beim Grillieren auf dem Campingplatz, sondern im Vakuum gegartes Ibérico, das so lange geschmort wurde, bis sich der Knochen schon fast von selbst löste. Die Edel-Spareribs kriegten das volle «Asia Package» (Wasabi, Sesam, Lattich). Dazugegossen wurde eine fantastische Miso-Eigelb-Sauce. Ein Löffelgericht! Apropos Eingiessen: Die junge Weinkellnerin Lisa Bader entkorkte einen «Krug Rosé 22ème Edition» dazu. Ziemlich exklusiv, ziemlich frech, sehr passend. Lisa macht eh einen Superjob: Sie ist GaultMillaus «Sommelier des Jahres».
Heiko Nieders «Restaurant» öffnete nach dem Lockdown zaghaft, war dann aber jeden Abend restlos ausverkauft. Konzept: fröhliches Wiedersehen mit bewährten Gerichten, dazu neue, wie gewohnt sehr durchdachte Kreationen. Das Wiedersehen mit den Flusskrebsen zum Einstieg machte uns besonders Spass: Chef Heiko lässt die riesigen Dinger (Kaliber 10/15) via Bianchi aus Galizien einfliegen, bereitet sie perfekt zu. Gilt auch für die aufwendig getunten Melonen. Ingredienzen bei diesem erfrischenden Gang: Estragon, Koriander, grüner Curry. Der feine Kaisergranat rückte trotz Chili hart an die süsse Kante des Spektrums; Kakaofruchtsaft und Kokosnuss dominierten, ohne aber den Luxuskrebs zu übertönen. Eine Wucht dann der Kaviargang. Unter einem verblüffenden Räucherschaum entdeckten wir den Imperial von Kaviari, äusserst grosszügig portioniert, dazu Gillardeau-Austern. Zitrone, Yuzu und Kalamansi sorgten für Sommerfrische. Sommelière Lisa Bader entkorkte den perfekten Wein dazu: Sauvignon blanc 2019 von Roman Hermann aus Fläsch GR.
Steinbutt kann jeder. Heiko Nieder scoutet gerne nach Produkten, die man nicht überall kriegt. Der Seehecht aus dem Polarmeer ist so ein Fisch, der bei sekundengenauer Zubereitung supersaftig auf den Teller kommt und auch einiges aushält: Krautsalatsaft, Speck, grüne Peperoni! «Seehecht ist spannender als Black Cod», findet der Starchef und schickt einen Klassiker des Hauses nach. «Der Gemüsefond – eiskalt», ein vegetarisches, für die Brigade sehr aufwendiges Sommergericht. Für den Hauptgang wird im «Dolder» öfter mal geschmort und glasiert. Mal Ox Cheek alias Ochsenbäggli, diesmal Wagyu-Bäggli, mit asiatischen Pilzen und Blüten in der grandiosen Sauce. Und klar: Etwas Senf war auch drin. Geheimwaffe halt.
Der Erfolg bekommt dem «Dolder»-Team gut. Kochbrigade und Serviceteam (geleitet von Eveline Igl) arbeiten hoch konzentriert, aber dennoch entspannter als in den Anfangsjahren. Für Vegetarier liegt mit grösster Selbstverständlichkeit ein attraktiver Zehngänger (!) auf. Highlight: Broccoli mit australischem Trüffel und brauner Butter! Die Weinbegleitung ist deutlich schweizerischer geworden, mit klar erkennbarer Vorliebe für die Bündner Herrschaft (Hermann, Donatsch, Möhr-Niggli). Pairing ist Teamwork. Zum Start jeder neuen Karte setzen sich Heiko Nieder und Lisa Bader zusammen, verkosten, diskutieren, streiten und öffnen so lange neue Flaschen, bis die Kombination passt. Ein Perfektionist wie Chef Heiko überlässt nichts dem Zufall.