Zwei kluge Köpfe, eine Passion. «Ihr müsst unbedingt unseren ‹Farmers Table› probieren», sagt Elmir Medunjanin und giesst Tomatenwasser in ein Glas mit Salzstaub am Rand und einem grossen, kristallklaren Eiswürfel, in dessen Mitte eine Cherrytomate steckt. Es folgen Sherry, ein hausgemachter Sofrito-Sirup und eine geheimnisvolle Essenz, die wie Spaghetti Bolognese duftet. Der Eindruck täuscht nicht: Die klare Flüssigkeit birgt tatsächlich die Seele einer «Bolo» in sich. Elmir kocht die Pastasauce mit einer veganen Fleischalternative aus der Brauerei Locher in Appenzell, sein «Botanicum»-Kollege Rafael Alario Girbes jagt sie durch den Rotationsverdampfer, um besagte Essenz zu gewinnen. Bild oben: Elmir Medunjanin (l.) und Rafael Alario Girbes vor der «grünen Wand».

Fruchtige Frische trifft Umami: Tomatenwasser ist die Basis des «Farmers Table», die Bolognese-Essenz der Clou.
Wie Bloody Mary – nur viel besser. Und wie schmeckt der Drink? Wie die elegante, frische und weniger alkohollastige Version einer Bloody Mary! Trotz des Sofrito-Sirups und der «Bolo»-Essenz wirkt die verrückte Kreation überhaupt nicht gemüsig, sondern wunderbar fruchtig, mit beglückender Umami-Power. Vermischt sich das Getränk mit dem Salzstaub, ist das Vergnügen sogar noch grösser. Eindeutig: Dieser Cocktail hat Suchtpotenzial! Das Prädikat «Champions League» verdient auch der «Sunset» mit Mezcal, Rhabarber, Verjus, Zitronenverbene, Shiso und Randenschaum. Letzterer ist die farbliche Attraktion im Glas und vermischt sich Schritt für Schritt mit den übrigen Zutaten. So sieht der Cocktail bald aus wie ein Sonnenuntergang!

In den «Sunset» kommen Mezcal, Rhabarber, Verjus, Zitronenverbene, Shiso und Randenschaum.

Rafael Alario Girbes ist ein Tüftler an der Bar – sehr zur Freude von Elmir Medunjanin.

«Moongarden» heisst diese Kreation mit Gin, Himbeeren, Rahm, Salbei, Lavendel und einem duftenden Deckel aus Bienenwachs.
Einschränkung? Inspiration! Das Team des «Botanicum» arbeitet ausschliesslich mit Zutaten aus der Schweiz. Elmir Medunjanin und Rafael Alario Girbes müssen also ganz schön erfinderisch sein. Und das sind sie! «Ich sehe unser Konzept nicht als Einschränkung, sondern als Inspiration», sagt Elmir. Er und Rafael analysieren zum Beispiel den Zucker- und Säuregehalt einer Zutat, die in der Schweiz nicht wächst, und machen sich dann mit der gleichen Methode auf die Suche nach Ersatz. Und so kommt in den «Gonten to Garibaldi», die «Botanicum»-Adaption des Campari Orange, unter anderem Sanddorn. Wollen die beiden eine Piña Colada nachbauen, greifen sie zu Hafer- anstelle von Kokosmilch und ersetzen die Ananas durch Quitten. Damit die «Botanicum»-Gäste sehen können, welche Bausteine für die Kreation von Drinks zur Verfügung stehen, haben Elmir und Rafael eine Geschmacks-Bibliothek angelegt. Diese besteht aus Gläsern mit allerlei Essenzen und Kräutern.
Die grüne Wand gedeiht. Von kleineren Rückschlägen lässt sich das «Botanicum»-Team nicht aus der Ruhe bringen. «Zunächst wurden einige der Kräuter in den 144 Töpfen unserer grünen Wand braun. Inzwischen haben sie sich aber an ihre Umgebung gewöhnt und gedeihen wieder gut», erzählt Elmir. Neben all den duftenden Kräutern gibt es noch eine Pflanze, über die sich die beiden Mixologen sehr freuen. «Den kleinen Strauch mit Chiltepin, einer Chili-Ursorte, haben wir von einem Gast geschenkt bekommen. Die orangen Mini-Chilis mit 50'000 bis 100'000 Scoville sind nun unsere bevorzugte Schärfequelle», erklärt Rafael.

Bühne für grosse Cocktail-Kunst: Über der Bar aus Quarzit leuchtet eine Wolke mit 100 Glühbirnen.
Bühne frei für Chef Fabrice. Die Show beschränkt sich im «Botanicum» aber längst nicht nur aufs Glas. Auch auf Tellern und in Schälchen geht die Post ab! Verantwortlich dafür: Fabrice Ohlmann, ein begabter junger Patissier, der zuvor für Mitja Birlo im «The Counter» in Zürich arbeitete und auch ein sicheres Händchen fürs Salzige besitzt. Zum milden Saiblings-Tatar mit schönem Schmelz serviert er Rösti und Creme aus Topinambur, Apfelmost-Sud und Kräutersalat, den luftigen Rahmfladen veredelt er mit Appenzeller Käse, Trockenfleisch und Zwiebel-Heidelbeer-Marmelade. Die Portionen sind so bemessen, dass man noch Appetit aufs Dinner hat. Und das ist gut so. Im neuen Restaurant Quell stehen nicht weniger als 70 Sharing-Dishes zur Auswahl. Einmalig in der Schweiz!

Geschmacklich und texturell spannend: Saiblings-Tatar mit Topinambur und Apfel.

Executive Chef Carsten Kypke (r.) und Fabrice Ohlmann, der die Snacks und Desserts kreiert.

Sanddorn-Granité verhilft dem «Vermicelles 2.0» mit Marroni und Rüebli zu ungeahnter Frische.
«Vermicelles 2.0» mit Sanddorn-Granité. Carsten Kypke, der Executive Chef des «Appenzeller Huus», lächelt zufrieden, als wir die köstlichen Kleinigkeiten probieren. Er weiss genau: Sie genügen geschmacklich höchsten Ansprüchen und punkten mit einem raffinierten Zusammenspiel verschiedener Texturen und Temperaturen. So auch Fabrices «Vermicelles 2.0» mit Marroni, Rüebli und Sanddorn aus der «Chrüterei» im nahen Stein. «Der Sanddorn, den wir unter anderem zu Granité verarbeiten, sorgt mit seiner Säure für einen tollen Kontrast zu den Kastanien», sagt Fabrice. Recht hat er!

