Drei Sterne seit über 50 Jahren. Vier Stunden! Ganz schön viel für einen Dokumentarfilm, finde ich. Auch wenn man sich sehr für gehobene Gastronomie interessiert. Und ein starkes Flair fürs Kino hat. Es geht in «Menus plaisirs - Les Troisgros» um den gleichnamigen französischen Clan, der sein Restaurant in der Ortschaft Roanne bereits in vierter Generation betreibt. Seit 1968 hat das «Maison Troisgros» drei Sterne vom «Pneu-Männchen» an der Türe hängen. Ausgerechnet ein amerikanischer Regisseur, Frederick Wiseman, 94-jährig und mit einem Ehren-Oscar ausgezeichnet, hat sich nun dem Traditionshaus angenommen. Und zeigt in seinem neuesten Werk einen ganzen langen Arbeitstag dort. Ja, das interessiert mich, das will ich mir in voller Länge antun. Grosses Bild oben: César Troisgros (ganz links) mit seinem Team.

Mandeln zum weissen Spargel? Als die ersten Minuten verstrichen sind, bin ich leicht irritiert. Zwar habe ich mit einem solchen Filmeinstieg gerechnet: Man sieht wie die Köche am Wochenmarkt Radiesli-Bünde, riesige Pilze, Berge von Kräutern einkaufen. Dass aber die ganze Dokumentation auf erklärende Off-Kommentare, auf «Talking-Heads», ja sogar auf Musik verzichtet, das ist bei dieser Länge dann doch überraschend. Und wer sind die drei Herren, die nun an einem runden Tisch sitzen und darüber debattieren, ob weisser Spargel auf Rhabarber-Juliennes mit oder ohne Mandelpüree serviert werden soll? Mit dem Smartphone google ich und erfahre: Es ist Michel Troisgros aus der dritten Generation. Sein Sohn César, der die Küche inzwischen leitet. Und dessen Bruder Léo, der in der Gegend einen eigenen Gastbetrieb mit deutlich mehr Bodenhaftung führt. Es stellt sich mir da schon die Frage, ob ich das noch dreieinhalb Stunden durchhalte.

 

Les Troisgros, Film von Frederick Wiseman

Die Idee für den Dokfilm hatte der 94-Jährige bei einem Essen vor Ort: Regisseur Frederick Wiseman.

Les Troisgros, Film von Frederick Wiseman

Die verflixte dritte Stunde: Im Film sieht man Käse reifen, Tomaten wachsen und Bienen fliegen.

Kalbshirn für Hobbyköche. Tatsächlich braucht es für «Menus plaisirs - Les Troisgros» eine gute Portion Affinität für die Gastronomie: Wer gerade in der Kochlehre steckt, dürfte Interesse daran haben, wie die bereits erwähnten Mandeln mit der Mandoline zu feinen Streifen gehobelt werden. Oder dass beim Putzen der Kalbshirne noch die Prinzipien Escoffiers gelten. Hobbyköche zarteren Gemütes könnten Spass an den Aufnahmen haben, welche die Küchenmannschaft beim gemeinsam Schneiden von Holunderblüten zeigen. Und mir gefällt der Trick, wie man Fischfilets so einschneidet, dass die Gräten beim Braten garantiert verschwinden.  

No Foodporn! Die ersten zwei Stunden des Films gehen, sagen wir mal, ziemlich flüssig vorbei. Wir haben die Vorbereitungen für den Mittagsservice erlebt, erduldet wie Gläser und Besteck millimetergenau platziert worden sind. Oder wie das Servicepersonal über die Macken der Stammgäste informiert wird. Flusskrebse sind - natürlich traditionell ohne Betäubung - im kochenden Wasser versunken. Doch was verblüffenderweise fehlt: Es gibt in dieser Dokumentation keine einzige Sequenz mit so genanntem «Foodporn»! Nicht ein einziger Teller wird in knallbunter Nahaufnahme inszeniert! Ungewohnt für all diejenigen, die an die Netflix-Ästhetik à la «Chef’s Table» gewöhnt sind. 

 

Maison Troisgros

Das Maison Troisgros befindet sich seit 2017 etwas ausserhalb von Roanne.

Crew Maison Troisgros

Nur ein Teil des riesigen Teams, das für die Gäste kocht.

Pingpong in der Zimmerstunde. Die dritte Stunde erweist sich für mich die härteste Prüfung: Die Zeit bis zum Abendservice verbringt man als Kinobesucher damit, Käse beim Reifen zuzusehen. Köchen beim Pingpongspielen in der Zimmerstunde. Tomaten und Weinreben beim Wachsen… Dieser episch lange Film von Wiseman ist, so wird spätestens nun klar, eine Art Kampfansage an die schnelllebige Instagram-Kulinarik. Und als nächstes fliegen auch noch Bienen über die Leinwand, die Honig sammeln… 

Für Angefressene lohnend. Zum Glück zieht das Tempo dann gegen Schluss wieder etwas an - weil im «Maison Troisgros» bald schon der Abendservice ansteht. Und ich bekomme allmählich Hunger! Was schlicht und einfach der Tatsache geschuldet ist, dass vier Stunden eine ganz schön lange Zeit sind. Mein Fazit am Ende von «Menus plaisirs - Les Troisgros»? Für Kulinarik-Freaks - vorausgesetzt sie sind von der angefressenen Sorte und haben ordentlich Sitzleder - könnte der Film tatsächlich lohnend sein. Ebenso für enthaltsame Geniesser: Anders als beim Besuch im echten Gourmetlokal nimmt man im Kinosessel (es ist wirklich kein Popcorn-Streifen!) garantiert kein Gramm zu. Und bleibt komplett nüchtern. Und jetzt aber ab ins Restaurant! 

 

>> Ab 15. Februar in den Deutschschweizer Kinos.