Fotos: Nik Hunger
Wunderbare Wurstwaren. «In drei Jahren bin ich pensioniert – mal sehen, wer dann hier noch Salami macht!» Das hat Fausto Piccoli 2018 zu mir gesagt. Ich war damals bei ihm, um über seine wunderbaren Wurstwaren zu berichten, die er in der Ortschaft Piotta im Tessin herstellt und in seinem Keller reift. Für mich kam von dort damals die beste Salami der Schweiz! Grund genug, mal wieder im Norden des Tessins von der Gotthard-Autobahn zu fahren und nachzusehen, was aus dem sympathischen Metzger geworden ist.
Faustos Reich. Die Metzgerei existiert noch immer, was von weitem zu sehen ist. Auf beiden Seiten der Hauptstrasse stehen Schilder, die tagesaktuell für Cordon bleu und Coniglio werben. Auch im Laden hängen hinterm Tresen, auf dem auch «Chupa-Chups» und Schokoriegel auf die Kundschaft warten, noch immer die köstlichen Würste, die mir beim letzten Besuch so imponiert haben. Aber am allerwichtigsten: Da ist auch Fausto Piccoli, der mir kräftig die Hand schüttelt. Und bereit ist, mir erneut sein Reich zu zeigen: das wunderliche Untergeschoss des Gebäudes, wo er in vierter Generation Salami, Coppa und Rohschinken reift.
Auch Rohschinken, Coppa und Speck werden im Keller der Metzgerei luftgetrocknet.
Gewinnen mit Edelschimmel. Über eine Steintreppe geht es hinunter in den verwinkelten Keller. Und es riecht hier alles andere als muffig, sondern verführerisch nach Trockenfleisch. In fast allen Räumen hängen Thermo- und Hygrometer. Dazu Fleischpakete und Würste, wohin das Auge reicht. Blickt man genauer drauf, sind sie zumeist von einer feinen Edelpilz-Schicht überzogen. «Das ist nicht jedermanns Sache!», weiss Fausto Piccoli. Doch müsse das so sein, sagt er. Und er muss es schliesslich wissen, hat er doch mit seinen Würsten schon zig Preise beim Schweizerischen Fachverband Fleisch abholen dürfen. Jüngst etwa zwei Goldmedaillen für seine Salametti aus Rind- und Schweinefleisch sowie für seinen «Mortadelletto». Die Diplome hängen an sämtlichen Wänden des letzten Ladenlokals im Dorf.
Fleischaroma statt Salz. Die Verwendung von Naturdarm ist hier Ehrensache. Auf Haarnetz und Plastikschürze – bei der industriellen Herstellung von Wurstwaren eine Selbstverständlichkeit – wird hier selbstredend verzichtet. Und es wird ausschliesslich mit denjenigen Bakterien- und Schimmelkulturen gearbeitet, die im Gewölbe natürlich vorhanden sind. Eine gesunde Hausflora, nennt man das. Und merkt unweigerlich: Die Macelleria Piccoli ist eine Manufaktur für Salami, die unbestrittene Königin der Würste, wie sie im Buche steht! Und wie schmeckt «Tipo Nostrano» bei Fausto? Fleisch, nicht Salz, prägt das Aroma. In der luftgetrockneten Rohwurst sind zudem Noten von Gewürzen und Rotwein auszumachen. Ich bleibe dabei: Es ist für mich die vielleicht beste Salami der Schweiz! Vor allem, wenn sie so genossen wird, wie es die Tessiner gerne mögen: «Wir bevorzugen Salami jünger und weicher in eher dicke Tranchen geschnitten, die Deutschschweizer mögen sie trockener und dafür dünner», weiss der Metzgermeister.
Fausto Piccolos Charcuterie reift dank gesunder Hausflora.
Aussen Bakterien- und Schimmelkulturen, innen aromatische Salami.
Autor Böniger probiert die Köstlichkeiten – stilecht mit Boccalino.
«Gesunder» Brotaufstrich. Wer den Salami probiert hat, macht sich auch keine Gedanken mehr über den schimmeligen Belag auf Fausto Piccolis Würsten, der auch mal Grau-, Blau- oder Grüntöne annimmt: Was so gut schmeckt, kann einfach nicht verkehrt sein! Weitere Produkte, die man bei einem Besuch in Piotta auf jeden Fall verpassen sollte: Mortadella, eine salamiartige Wurst, die etwas fetter daherkommt und ein wenig Leber und Weihnachtsgewürze enthält. Oder die neueste Entwicklung – und damit schon nach der eigentlichen Pensionierung Faustos lanciert: Ungimi, ein gehaltvoller, cremiger Brotaufstrich aus Pancetta, Lardo und Gewürzen. «Ärzte raten bekanntlich zu hellem Fleisch», sagt der 69-jährige, kerngesunde Metzger mit einem Lachen. «Heller geht’s wohl nicht mehr!»
Die Macelleria und Salumeria Piccoli in Piotto ist das letzte Lebensmittelgeschäft im Dorf.
Wursten bis zum Umfallen. Wird Fausto Piccoli noch lange in Piotta weiterwursten? Die Antwort geben Ehefrau Loredana und Sohn Sascha, der in fünfter Generation hier als Metzger tätig ist, mit schelmischem Grinsen. Und zeigen beide auf den massiven Holzblock im Metzgereigeschäft: «Hier drauf wird er sein Leben aushauchen!» Heute oder morgen, davon gehe ich getrost aus, wird’s noch nicht sein.
>> Macelleria Salumeria Piccoli, 6776 Piotta, Tel. 091 868 11 19; macelleria.piccolo@bluewin.ch