Fotos: Nik Hunger
Mai ist Wildzeit! Wieso bis im Herbst warten? Die Wildsaison startet für viele Gourmets schon im Mai – vor allem, wenn sie Rehrücken mögen. Bereits jetzt steht nämlich der sogenannte Maibock wieder auf zahlreichen Speisekarten. Und er gilt bei den Starchefs als eines der edelsten Wildtiere überhaupt! So etwa in der idyllisch gelegenen «Eder’s Eichmühle» oberhalb von Wädenswil, ausgezeichnet mit 16 Punkten, wo ich heute bei der Zubereitung dabei sein kann. Und sogar mithelfen darf: Oliver Eder möchte, dass ich den Rehrücken, den er bei Bianchi Comestibles bestellt hat, pariere.
Diesen fast zwei Kilo schweren Maibock-Rücken gilt es zu zerlegen.
Parieren – nicht ganz ungefährlich. Einen Rücken parieren? Das habe ich daheim noch nie gemacht. Doch Eder, der in seinem Betrieb auch mehrere Lehrlinge ausbildet, zeigt mir vorbildlich, wie ich das fast zwei Kilo schwere Fleischstück von der feinen Silberhaut befreie und dann das Entrecôte und das Filet aus dem Rückenknochen herauslöse. «Einen Edelstahlhandschuh habe ich aber nicht», sagt er lachend. Und deutet damit an, dass bei dieser Arbeit auch mal ein Schnitt daneben gehen kann. Auch er wird während des Parierens nie auf derjenigen Seite des Tisches zu stehen, in die meine Klinge zeigt.
Talentierter Küchenchef und geduldiger Lehrmeister: Oliver Eder.
Fertig pariert: Entrecôte, Knochen, Silberhäute & Fett, Filets (v.o.).
Fertig zubereitet: Maibock mit Spargeln, Morcheln, Jus, Rosmarinöl & Spätzli.
Im Sommer werden nur Böcke gejagt. Was hat es mit dem Maibock, der auch Sommerreh genannt wird, auf sich? Auskunft gibt mir Fortunat Gregori. Der Bündner ist der Wildspezialist im Familienbetrieb Bianchi Comestibles: «Zwar sind die Rehkitze und -geissen jetzt noch geschützt – um den Bestand aber trotzdem kontrollieren zu können, werden schon im Sommer einzelne Rehböcke geschossen. Die Freigabe für diese Pachtjagd ist Anfang Mai.» Das gelte in der Schweiz und im nahen Österreich, wo die meiste Ware herkommt.
Wenig Stress & gutes Futter. Während ich ihm zuhöre, wird mir schnell klar, was die hohe Qualität des Sommerrehs ausmacht: Es handelt sich durchs Band um Tiere aus freier Wildbahn, «denn Rehe sind Einzelgänge, sie können nicht in Herden gezüchtet werden.» Und: Die Jäger machen über die Sommermonate keine Treibjagd, sondern warten oft stundenlang im Hochsitz auf die männlichen Rehe. Der Stress fürs Tier? Tendiert gegen null. Gregori ergänzt noch einen Punkt, der zur hohen Qualität beiträgt: Im Sommer ernährt sich der Rehbock vorwiegend von frischen Kräutern, Gräsern und Knospen, was sich positiv auf den Geschmack auswirke: «Im Herbst kommt Getreide und Mais dazu, was unter anderem den Fettanteil im Fleisch erhöht.»
Fleischprofis: Dario Bianchi & Fortunat Gregori von «Bianchi».
Im Sommer sitzt man hier unter kühlenden Bäumen: «Eder's Eichmühle», Wädenswil.
Familienbetrieb: Senior Jürgen, Gastgeberin Debi & Küchenchef Oliver Eder (v.l.).
«Nicht schlecht fürs erste Mal!» Ich bin inzwischen dran, den Rehrücken von den feinen Silberhäuten zu befreien: «Du muss die Klinge etwas steiler gegen die Haut halten», erklärt mir Oliver Eder. Danach zeigt er mir vor, wie ich an die besagten Edelstücke herankomme. «Du schneidest immer dem Knochen entlang! Spürst Du, wo er ist?» Wo Eder präzise Schnitte setzt, muss ich teilweise ein wenig säbeln, damit möglichst wenig Fleisch am Knochen bleibt. «Sonst wird daraus ein ziemlich teurer Wildfond», erlaubt sich der zuschauende Fortunat Gregori einen Scherz auf meine Kosten. Als dann die Knochen, die Sehnen und Häute, die beiden Filets und das Entrecôte sauber getrennt vor mir liegen, bin ich doch ziemlich stolz. Und: Meine Finger sind heil geblieben. Auch von Oliver Eder bekomme ich Lob: «Nicht schlecht fürs erste Mal!»
Spätzli von Vater Jürgen Eder. In der Küche übernimmt der Eichmühle-Küchenchef das Zepter: Das Fleisch wird gesalzen, scharf angebraten und kommt zuletzt für wenige Minuten in den 180 Grad warmen Ofen. Weil in der warmen Jahreszeit die typischen Wildbeilagen ziemlich unpassend wären, gibt es dazu – neben einem zuvor schon reduzierten Jus und gefüllten Morcheln – zweierlei Spargel: Die grünen Stangen sind aus Wädenswil, die weissen von Gian-Battista von Tscharner. «Und natürlich gibt es dazu schwäbische Spätzli meines Vaters, der mich hier noch immer unterstützt!», so Oliver Eder.
Autor Böniger pariert den Rehrücken...
... und isst ihn danach mit sichtlichem Genuss.
Butterzartes Reh-Entrecôte. Am Tisch stösst Dario Bianchi, der Co-CEO der Bianchi AG, dazu. Auch er möchte sich den ersten Maibock des Jahres nicht entgehen lassen. Wie gefällt das edle Fleisch? Das Entrecôte und das Filet sind butterzart und kontrastieren gelungen mit den noch ganz leicht knackigen Spargeln. Die Morcheln sorgen für passende pilzige Nuancen auf dem Teller. Mit den Spätzli fahren wir alle am Tisch mit viel Vergnügen durch den Wildjus, den Oliver Eder mit noch mit grünen Rosmarinöl-Tupfern verfeinert hat. Ich schmunzle beim Gedanken, dass es manchmal eben die Kleinigkeiten sind, die aus einem sehr guten ein fantastisches Essen machen - zum Beispiel, wenn man den Rehrücken selber pariert hat! Und wenn ich es daheim nochmals versuchen möchte? Bis wann dauert die Saison? «In der Regel bis Mitte August», sagt Fortunat Gregori. «Danach beginnt die Brunft. Und der Maibock ist nicht mehr allzu bekömmlich.»