Interview: Knut Schwander | Fotos: Thomas Buchwalder/François Wavre

Fingerspitzengefühl. Er hat Talent, ist aber nie arrogant. Mathieu Quetglas wurde in der Nähe von Paris geboren und hat eben erst seinen 28. Geburtstag in Rougemont gefeiert. Aufgewachsen ist der junge Mann mit dem sanften und zugleich stechenden Blick jedoch mit dem Gesang der Zikaden: in La Ciotat, in der Nähe der Weinberge von Cassis und Bandol in Südfrankreich. Allerdings interessierte er sich damals nicht sonderlich für die Reben. Als er 14 Jahre alt war, änderte sich sein Schicksal: Einer seiner Lehrer riet ihm, einen «Sonderweg» einzuschlagen. Mathieu lässt sich nicht beirren und versucht es mit einer Hotelfachschule. Eine gute Idee! Dort erzählte ihm ein Sommelier von seinem Beruf: «Da wusste ich, dass ich das auch machen will», erinnert sich Mathieu. Und so wurde er zum profunden Kenner der Schweizer Weine, die er mit Fingerspitzengefühl und Originalität aufzuwerten und zu kombinieren weiss. Heute arbeitet er bei Benoît Carcenat im «Valrose» in Rougement (17 Punkte) und begeistert die Gäste. Der GaultMillau kürt ihn dafür zum «Sommelier des Jahres 2022».

Mathieu Quetglas, Sie sind «Sommelier des Jahres», worauf sind Sie besonders stolz?
Zunächst einmal habe ich nicht damit gerechnet. Und ich bin umso gerührter, da ich einen lockeren Umgang mit meinem Beruf bevorzuge. Ich weiss, dass man als Sommelier Angst haben kann. Deshalb vermeide ich den arroganten und spiessigen Ansatz mit übererklärten Weinen. Ich bevorzuge Storytelling, das auf Kompetenz, Kenntnis der Winzer, der Orte und der Rebsorten beruht. Und das alles auf spielerische Weise. Wir schlagen gerne zwei Kombinationen zu ein und demselben Gericht vor, um zu überraschen und zu erforschen. Heute weiss ich, dass dies wahrscheinlich der richtige Weg ist.

Mathieu Quetglas Valrose Sommelier des Jahres

Quetglas' Reich: Der Weinkeller im «Valrose».

Mathieu Quetglas Valrose Sommelier des Jahres

Haben sich gefunden: Benoît Carcenat (links) und Mathieu Quetglas haben beide schon in Crissier gearbeitet.

Warum haben Sie sich für diesen Beruf entschieden?
Ich spiele gerne die Rolle des Vermittlers. Dieser Beruf vereint menschliche Kontakte, Geschichten und die Art, sie zu erzählen. Schon früh hatte ich den Ehrgeiz, in einem Sternerestaurant zu arbeiten, weil der Austausch mit den Gästen dort gezielter und intensiver ist. Im «Clos des Sens» in Annecy hatte ich das Glück, den Weg von Jean-Baptiste Klein, einem Sommelier und Meilleur Ouvrier de France (MOF, bester Handwerker Frankreichs), zu kreuzen, der mein Interesse geweckt hat.

Sie haben bereits in mehreren Sternerestaurants gearbeitet...
In Annecy hatte ich von Benoît Violier (†2016) gehört, einem der besten Schweizer Köche. Ich war schon immer von den blau-weiss-roten Kragen der MOFs fasziniert. Also bewarb ich mich und hatte Glück, dass ich genommen wurde. Dann blieb ich drei Jahre in Crissier, eine Erfahrung, die immer noch zentral ist, denn dort lernte ich die Grundlagen, vor allem an der Seite von Louis Villeneuve, einem Mann, der wirklich alles über den Umgang mit den Kunden weiss. Dann bin ich nach Le Noirmont gegangen, wo Jérémy Desbraux, der früher in Crissier gearbeitet hat, «das Maison» Wenger übernommen hat, ein weiteres schönes Abenteuer.

Und warum sind Sie nach Rougemont gekommen, zu einem anderen MOF, der früher in Crissier war?
Meine Lebensgefährtin Pauline, eine Absolventin der Hotelfachschule Lausanne (EHL), arbeitete für Audemars Piguet in Le Brassus und ich in Le Noirmont, was ein wenig kompliziert war. Als wir die Gelegenheit bekamen, beide hier zu arbeiten – sie als Assistentin der Geschäftsleitung, ich als Leiter der beiden Restaurants und Chef-Sommelier – haben wir nicht gezögert. Ausserdem ist Benoît Carcenat einer der ganz grossen Köche, die wir in der Schweiz haben, mit ihm zu arbeiten ist sehr inspirierend. Ich habe zwei weitere Sommeliers an meiner Seite und wir haben völlige Freiheit, originelle Kombinationen vorzuschlagen oder auch Sake, Bier oder sogar Cocktails zu integrieren.
 

Mathieu Quetglas Valrose Sommelier des Jahres

Das «Valrose» in Rougement steigt mit 17 Punkten in den GaultMillau ein.

Und was ist mit den Schweizer Weinen?
In Frankreich spricht man im Zusammenhang mit Schweizer Wein von Paccot, Chappaz und Gantenbein. Punkt. In Crissier hat mir der Chef-Sommelier Camille Gariglio die Grösse und den Reichtum des Schweizer Weinbaugebiets und seine Besonderheiten gezeigt. Da wurde mir klar, dass es noch viel zu entdecken gibt: Wenn man seinen Beruf liebt, gibt es nichts Besseres als die Schweiz! 

Was war Ihr Favorit in der Schweiz?
Die feinen, ausgewogenen Pinots und der Räuschling vom Weingut Strasser im Kanton Zürich: Sie sind der perfekte Ausdruck eines Terroirs. Das Gleiche gilt für bestimmte symbolträchtige Rebsorten wie die Walliser Arvine von Valentina Andreï oder Alexandre Delétraz. 

Was sollte ein Sommelier niemals tun?
Der Schlüssel ist, wahrhaftig über Dinge zu sprechen, die man kennt und wie man sie empfindet. Man darf nicht lügen. Und die ganze Brigade muss auf der gleichen Wellenlänge sein, vom Angestellten bis zum Direktor. Das ist auch der Grund, warum wir im Valrose Schulungstage für das gesamte Team organisieren. 

Was ist mit den Preisen?
Man muss mit dieser Frage umgehen können und vor allem den Preis eines Weins erklären, der Spass macht. Auf jeden Fall kann ich die Preise auf der Karte, die ich hier im Valrose zusammenstellen durfte, verteidigen.