Prestige-Champagner seit 182 Jahren. Das im Jahr 1843 gegründete Maison Krug in Reims nimmt in der Welt der prickelnden Weine eine Sonderstellung ein. Seit 182 Jahren werden dort ausschliesslich Prestige-Champagner produziert. Die Krug Grande Cuvée, die 2025 in der 173ème Édition auf den Markt gekommen ist bildet dafür die Grundlage. Dieser Champagner wird aus 120 bis 200 (!) verschiedenen Einzelweinen komponiert, wobei zur Einzigartigkeit von Krug gehört, dass die Vinifizierung aller Weine grundsätzlich im Holzfass stattfindet. Für all dies ist seit dem Januar 2020 Julie Cavil als Kellermeisterin (Chef de Caves) zuständig. Sie ist die erste Frau auf dieser Position bei Krug, was auch deshalb besonders ist, weil die sympathische Französin nicht aus einer Winzerfamilie der Champagne kommt, sondern aus Bourges im Zentrum Frankreichs stammt. Cavil besuchte eine Handelsschule und war Kreativdirektorin einer Werbeagentur in Paris, bevor sie Önologie studierte und 2006 bei Krug anfing. 14 Jahre lang gehörte sie zum Produktionsteam, bevor sie die Nachfolge des langjährigen Kellermeister Eric Lebel antreten konnte.

Julie Cavil, Sie sind Kellermeisterin bei einem der renommiertesten Champagnerhäusern der Welt. Was bedeutet das?
Ehrlich gesagt, realisiere ich gar nicht, in welcher Position ich bin. Ich hatte eine sehr angenehme Übergangszeit mit meinem Vorgänger. Ich bin seit 20 Jahren bei Krug und hatte rund 14 Jahre Zeit, um in meine Aufgabe hineinzuwachsen. Es ist auch nicht so, dass alle Verantwortung auf meinen Schultern lastet. Mein Tasting-Komitee besteht aus sechs sehr begabten Leuten.


Und was ist dann ihre Aufgabe?
Man kann sagen, am Schluss stecke ich die Flagge auf den Gipfel des Berges. Aber da geht es nur um die letzten zehn Meter. Davor hat jeder im Team zur richtigen Zeit das richtige getan.


Bedeutet Kellermeister zu sein, dass sie tatsächlich wenig Tageslicht sehen?
Ich bin durch die Arbeit bei Krug privilegiert, weil das ein sehr kleines Haus mit vielfältigen Aufgaben ist. In meinem Büro und in meinem Auto habe ich immer verschiedene Paare von Schuhen bereit. Morgens starte ich zuerst in Schutzschuhen und gehe in den Keller, dann steige ich in Gummistiefel, um unsere Winzer zu besuchen. In High Heels empfange ich Journalisten zum Tasting und in flachen Schuhen nehme ich den Zug nach Paris, um dort die Marke zu repräsentieren. Das ist das Schöne an meiner Arbeit.


Und wo verbringen Sie Ihre Zeit am liebsten?
Im Tasting Room, dort treffen wir uns während sechs Monaten jeden Morgen für eine Stunde. In dieser Zeit degustieren wir jeweils blind 15 verschiedene Proben. So wissen wir, was aus dem Weinberg kommt, und erhalten eine Ahnung von der künftigen Cuvée. 

Krug Keller

Lange Geschichte von Prestige-Champagnern: Schatzkammer im Krug-Keller.

Krug Stahltanks

Gut gesichert: Reserveweine in den Stahltanks.

Wie muss ich mir das vorstellen, hören Sie Musik während dem Tasting oder ist das eine sehr fokussierte Tätigkeit?
Wir konzentrieren uns auf den Wein, ohne dabei aber wissenschaftlich vorzugehen. Wir haben eine bestimmte Methode, mit der wir die Proben kategorisieren, wobei jeder so genannte Plot einen Code erhält. Wir diskutieren auch nicht über Geschmacksprofile, sondern sind eher wie Architekten, die etwas errichten. 


Krug Rosé und Krug Grande Cuvée sind komplexe Champagner mit einer einzigartigen Machart. Wie lange haben Sie gebraucht, um das Geheimnis dieser Weine zu verstehen?
Aus meiner Sicht ist es sehr komplex einen Krug Rosé zu kreieren, aber relativ einfach, einen Grande Cuvée zu machen, der aus rund 140 bis 200 Weinen besteht. 


Für mich klingt das nach einer unmöglichen Aufgabe.
Es geht um grösstmögliche Vielfalt aus der ganzen Champagne. Wenn wir eine Probe degustieren, geht es nicht um die Perfektion, sondern darum, was die Einzigartigkeit dieser einzelnen Probe ist. Wir müssen herausfinden, welche Rolle ein bestimmter Wein in welcher Cuvée spielen kann. Sagen wir, ein Wein hat wenig Struktur, aber eine unglaubliche Aromatik: Dann wird er ausgewählt, weil ich dazu einen anderen Wein aussuchen kann, der das ausgleicht. Und indem ich dieses Vorgehen multipliziere, kann am Ende alles abgedeckt werden.


Und warum ist Krug Rosé anspruchsvoller in der Entstehung?
Hier haben wir lediglich 20 bis 40 verschiedene Weine. Das ist wie der Unterschied zwischen Symphonie-Orchester und Kammermusik. Im Krug Rosé kommt jeder Wein viel stärker zur Geltung. 

Julie Cavil Krug Kellermeisterin

«Es geht um grösstmögliche Vielfalt»: Kellermeisterin Julie Cavil.

Hört man nicht auch in einem grossen Orchester, wenn die Flöte eine falsche Note spielt?
Ich sehe Champagner im Glas eher als eine räumliche Sphäre. Ich spüre Reife, Breite, Schärfe, Frische – alles, was darin Platz hat. 


Das alles braucht einiges an Vorstellungsvermögen, weil ein Champagner nach der Komposition ja noch reifen muss.
Das ist eine Frage der Erfahrung und der Antizipation. Wir assemblieren die Weine natürlich vor dem Reifeprozess und vor dem Entstehen der «Bubbles». Die Weine, die wir probieren, trinkt man deshalb nicht voller Genuss zum Lunch (lacht).


Schweizer Köche wie Tanja Grandits, Heiko Nieder oder Federico Palladino arbeiten mit Krug zusammen. Wie wählen Sie Köche als Krug Ambassadoren aus?
Für uns sind Köche, die wir sehr sorgfältig aussuchen, tatsächlich Botschafter des Hauses in den jeweiligen Ländern. Sie sprechen über Krug mit derselben Leidenschaft, wie wir es tun. Sie wissen, was in unserem Haus passiert. Dafür verbringen wir jedes Jahr ein paar Tage mit diesen Chefs. 


Es gibt jeweils eine Zutat des Jahres, 2025 ist es die Karotte, davor die Zitrone. Welche Idee steckt dahinter?
Es geht darum, eine Parallele zu unserem Handwerk herzustellen. Eine Pinot-Noir- oder Chardonnay-Traube hat so viele unterschiedliche Facetten wie eben auch eine Karotte oder eine Zitrone. Und bei allem geht es darum, aus einer bescheidenen Zutat etwas Aussergewöhnliches zu machen, wenn die Auswahl, der Umgang, die Kombination mit anderen Geschmäckern sorgfältig vorgenommen wird. Dann entsteht eine neue Harmonie. 

Krug Karotte Rose

Zutat des Jahres: Karotte und Krug Rosé 29ème Édition.

Julie Cavil Federico Palladino

«Botschafter des Hauses Krug»: Julie Cavil mit dem Tessiner Starchef Federico Palladino.

Ist eine Traube wirklich eine bescheidene Zutat?
Nun ja, es ist kein Trüffel, kein Kaviar. Sie wächst aus der Erde…


…braucht aber sehr viel Zuwendung und Handwerk, um daraus einen Wein zu machen.
Auf jeden Fall, das ist aber kein Gegensatz zur Bescheidenheit.


Welche Art von Champagner macht Sie glücklich?
Wenn ich es in einem Wort ausdrücken muss, geht es um Gleichgewicht. Darum geht es in einem grossen Wein, im Leben und im Allgemeinen. Man muss Gegensätze überwinden.


Welche Gegensätze bringen Sie in einem Krug Grande Cuvée zusammen?
Wenn Sie Leute danach fragen, wie dieser Champagner schmeckt, werden Sie von den einen hören, er sei sehr komplex mit Aromen von reifen Früchten, Brioche und so weiter. Die anderen werden sagen, er sei frisch, gradlinig mit Zitrusaromen. Als würde man von zwei verschiedenen Weinen sprechen. Das ist genau das, was wir erreichen wollen. 

Heiko Nieder Tanja Grandits

Freunde der Maison: Krug-Ambassadoren Heiko Nieder und Tanja Grandits.

Die Art, wie Champagner getrunken wird, hat sich in den vergangenen 20 Jahren stark verändert. Wie blicken Sie auf diese Entwicklung?
Champagner war immer das Getränk für jede Art von Feier. Heute, mit mehr Wissen und auch einer anderen Herangehensweise bei den Winzern und den Maisons, ist das Bewusstsein dafür entstanden, dass vor der Entstehung von Kohlensäure jeder Champagner ein Wein ist. Er reift, kann gelagert werden, passt zu einem ganzen Essen und es gibt viele Geschichten dazu zu erzählen. Das ist eine sehr schöne Entwicklung.

Welches Gericht passt für Sie perfekt zu welchem Champagner?
Da gibt es einige: Zum Beispiel Geflügel an einer Rahmsauce und dazu Clos de Mesnil. Und ich liebe das Aroma von Ingwer in Verbindung mit Krug Grande Cuvée. 

Fotos: Handout, Claudia Link (1)