Text: Elsbeth Hobmeier I Foto: Sarah Vonesch

100 Parker-Punkte für einen Wein! Das ist eine Première für die Schweiz. Kein anderer Winzer hat das vor Ihnen erreicht. Wie fühlen Sie sich?

Marie-Thérèse Chappaz: Es macht mir Freude. Ganz speziell freut es mich, dass es eine Petite Arvine ist, die mit der Maximalnote ausgezeichnet wurde, eine fürs Wallis typische Traubensorte, die ich sehr liebe. Und besonders schön finde ich, dass es sich um einen Süsswein handelt, denn diese «liquoreux» sind immer noch etwas verkannt und werden bei Degustationen oft zur Seite geschoben. 

 

Solche Auszeichnung lösen einen ansehnlichen Rummel aus.

Dieses Aufsehen berührt mich nicht heftig. Ich bin wie immer in meinen Reben und mache meine Arbeit. Ach, und ich muss auch ein bisschen schmunzeln. Vor fünf Jahren erhielt einer meiner Weine 99 Parker-Punkte und kein Mensch redete damals darüber. Und jetzt macht ein Punkt mehr einen derartigen Aufruhr! Übrigens erreichte meine Petite Arvine liquoreux 1998 beim «Wine Spectactor» auch bereits einmal das Maximum von 100 Punkten. Dieses Resultat wurde jedoch nicht einmal publiziert, weil ich damals noch keinen Importeur in den USA hatte. Inzwischen hätte ich einen...

 

Wie haben Sie von dieser Spitzenbewertung erfahren?

Ich weiss es nicht einmal genau. Ich müsste in meinem Büro nachfragen. Ich war drei Wochen in den Ferien, wanderte im Aostatal und hatte mein Telefon ausgeschaltet. Letztes Jahr konnte ich nie frei nehmen wegen unseren Problemen mit der Trockenheit. Nach der Ernte und den Kellerarbeiten war ich richtig kaputt; ich hatte diese Auszeit sehr nötig. Beim Heimkommen entdeckte ich über 200 SMS und Mails. Die muss ich jetzt noch beantworten muss, aber die Glückwünsche freuen mich natürlich. 

 

Und dann ist auch noch ein Fest mit Ihrem Team angesagt?

Klar, das ist geplant, sobald wir die Zeit dazu finden.

 

Liegt vom 100-Punkte-Wein «Grain par Grain Petite Arvine des Claives 2020» noch ein Vorrat in Ihrem Keller?

Ich habe damals zwölf Flaschen für mich behalten, die anderen waren bereits verkauft. Meine privaten Kunden, die schon seit vielen Jahren ihren Wein bei mir direkt beziehen, haben ihn letztes Jahr vorbestellt und bereits abgeholt. Da wussten wir noch nichts von dieser Auszeichnung.

Marie-Thérèse Chappaz

Wunderschönes Weingut in Fully: Die Domaine Chappaz.

Garten Party 2022 Bad ragaz Sarah Vonesch / Marie Thérèse Chappaz

Die Palette der erfolgreichen Winzerin reicht von Petite Arvine, über Ermitage bis hin zu Syrah und Cabernet Sauvignon.

Man spricht von 400 Franken pro Flasche. Stimmt das?

Nein, da haben die Medien mächtig übertrieben. Die 3,75-Dezi-Flasche wurde für 140 Franken verkauft, das ist mein regulärer Preis. Und auch die Meldung, dass man den Süsswein nur erhält, wenn man ein paar Flaschen Fendant und Dôle mitbestellt, stimmt nicht. Meine einfacheren Weine sind ebenfalls beliebt und verkaufen sich gut. Ich habe es nicht nötig, sie als eine Art Druckmittel einzusetzen.

 

Sie sind sicher sehr stolz auf diesen Grain par Grain. Gibt es weitere «Coups de Coeur» unter ihren Weinen?

Ich liebe alle meine Weine. Aber ich muss sagen, dass kein anderer Wein die 100 Punkte so sehr verdient wie diese süsse Petite Arvine 2020. Das hat Stephan Reinhardt schon richtig gesehen. Sie ist von einer Reinheit, von einer Magie, die ich noch nie zuvor erreicht habe. Ein wirklich aussergewöhnlicher Wein, gelesen mit hundertprozentiger Botrytis.

 

Wie ist er entstanden?

Die Trauben wurden spät geerntet, Beere für Beere wurde einzeln abgelesen, ohne die Stiele. Insgesamt sieben Mal sind wir durch den Rebberg gegangen, bis sich der Edelschimmel bei jeder Beere perfekt entwickelt hatte. Gepresst haben wir sie von Hand auf einer kleinen Presse. Süssweine waren halt immer schon mein «truc», meine Passion.

 

Für viele junge Winzerinnen und Winzer sind Sie ein Vorbild, viele haben bei Ihnen gelernt. Bilden Sie immer noch Stagiaires aus?

Ja, es sind jedes Jahr mehrere. Einige kommen nur für fünf Wochen während der Ernte, andere bleiben ein Jahr. Darunter waren auch Valentina Andrei, die jetzt in Saillon ihren eignen Keller hat, Nadine Strasser, die in Laufen-Uhwiesen das Gut Besson-Strasser führt und Laetitia Roduit von der Cave Les Follaterres in Fully. 

 

Stephan Reinhardt, der Parker-Experte für die Schweizer Weine, sagte einmal, bei ihm gebe es keine Masterclass ohne einen Chappaz-Wein. Kennen Sie ihn persönlich?

Er war während den vergangenen Jahren zweimal bei mir auf dem Weingut. Sein grosses Interesse für die Rebberge und den Keller hat mich beeindruckt. Er wollte nicht nur den Wein, sondern auch die Reben sehen. Für die Degustation nimmt er sich viel Zeit, er verweilt lange bei jedem einzelnen Wein und zeigt viel Respekt für das Produkt und auch für den Winzer. Normalerweise bestellt er via Swiss Wine die Flaschen, die er degustieren will, man sieht sich nicht persönlich. Ich freue mich, dieses Jahr im Dolder Grand in Zürich mit ihm zusammen die Marsanne-Masterclass durchführen zu dürfen. 

 

>> www.chappaz.ch