Sie sind GaultMillaus «Pâtissière des Jahres 2026». Was macht Ihre Desserts aus?
Keine Ahnung, ob ich etwas besser mache als andere. Aber meine Desserts sind nicht allzu schwer, nicht zu süss, sondern eher frisch. Das sagen mir zumindest die Gäste häufig.
Bekamen Sie nach dem Gewinn der Auszeichnung viele Gratulationen?
Ich hatte noch nie so viele Nachrichten auf dem Telefon, mein Instagram-Account ist fast explodiert. Gefühlt war ich 48 Stunden am Antworten schreiben – irgendwann musste ich raus in den Wald spazieren gehen, weil ich einfach nicht mehr konnte.
Sicher hat auch Ihr Chef, Silvio Germann, gratuliert. Bei ihm wird Teamspirit grossgeschrieben.
Silvio war tatsächlich einer der Ersten! Und ja, der Teamgeist ist wichtig. Zusammen kann man alles schaffen, davon sind Silvio, der zweite Souschef Lukas Messmer und ich überzeugt. Wir leben das vor, und so tickt darum auch das ganze Team. Ist der Service nicht ausreichend besetzt, bringt einer der Köche auch mal einen Gang raus. Wenn am Bahnhof vor dem Restaurant Abfall am Boden liegt, wird er aufgelesen. Und als im Sommer jemand vom Zimmerservice krank war, gingen wir auch mal ein Bett beziehen. Dieses Denken kommt von ganz oben, also von Andreas Caminada, so wird es auch im Schloss gemacht.
Sie essen alle täglich zusammen.
Tatsächlich frühstücken wir zusammen um elf Uhr vor dem Mittagsservice. Und abends gibt es ein Essen, das immer jemand anderes aus dem Team zubereitet.
Was sind am Teamtisch die grossen Themen?
Die Bundesliga sorgt regelmässig für viel Diskussionsstoff. Silvio ist grosser Dortmund-Fan, mein Herz schlägt für Stuttgart und, ja, wir haben halt auch die Bayern-München-Fans.
Was sonst?
Immer wieder diskutieren wir heftig, ob Ananas auf die Pizza darf. Ich bin mit dieser Meinung aber ziemlich allein auf weiter Flur. Die Themen gehen also weit über den typischen Arbeits-Talk hinaus.

«Er ist grosser Dortmund-Fan»: Silvio Germann, Starchef im «Mammertsberg».

Strahlt mit dem Mercedes um die Wette: Steffi Mittler mit ihrer Auszeichnung.

Die «Patissière des Jahres» macht im Advent auch mal Guetzli: Steffi Mittler.
Sie sind ja Patissière und Sous-Chefin – welcher Posten ist eigentlich arbeitsintensiver?
Die Patisserie nimmt deutlich mehr Zeit in Anspruch, auch wenn ich schon mal am Pass stehe, wenn Silvio mal unterwegs ist. Schliesslich habe ich ja auch Köchin gelernt. Kommt hinzu, dass ich den Sous-Chef-Posten ja mit Lukas teile. Ich bin vor allem für organisatorische Dinge zuständig, also Bestellungen, Dienstpläne, die Planung von Caterings.
Sie können mir sicher sagen, wie sich ein guter Hauptgang von einem guten Dessert unterscheidet.
Die Unterschiede sind nicht so gross, spannend muss es immer sein. Man kombiniert verschiedene Konsistenzen und Temperaturen: kalt, warm, gefroren, knusprig, cremig beim Dessert. Beim Hauptgang gibt die Sauce Kraft. Man hat Crunch, ein weiches Püree und so weiter.
Wieso gelingen dann die Desserts manchen Küchenchefs nicht perfekt?
Ich denke, es hat mit Übung zu tun. Ich koche ja regelmässig an allen Posten, aber einen guten Hauptgang zu kreieren, würde mir wohl schwer fallen.
Kann es ein Nachteil sein, als Patissière erst ganz am Ende des Mehrgängers dran zu sein?
Ich finde, der Start und das Ende eines Menüs sind beide wichtig. Wer gut beginnt, dem werden spätere Fehler verziehen. Die Gefahr bei den Desserts: Man kann, wenn man es falsch macht, jemandem den ganzen Abend verderben. Darum ist die Aufgabe schon herausfordernd, aber ich lasse mich davon nicht einschüchtern.
Wie kompliziert darf ein Dessert sein?
Ich versuche, nichts zu erzwingen. Lieber dekliniere ich zwei, drei Zutaten durch, serviere sie in verschiedenen Konsistenzen. Wichtig ist auch: Man muss erkennen können, was man isst.
Maximal drei Aromen?
Das ist nicht in Stein gemeisselt. Es kann ja auch mal etwas Schokolade oder Zitrone dazukommen.

Das ist die Bühne, die das «Mammertsberg»-Team gemeinsam bespielt.

Zu Steffis Desserts gehören meist Buchteln, hier mit Aprikose & Joghurt.
Und wie ist Ihr Verhältnis zu exotischen Früchten – von wegen Ananas?
Wir sind hier im Thurgau, wir kommen gut ohne Mango oder Kiwi aus. Im Frühling gibt es Rhabarber und Sauerampfer aus dem Garten. Dann kommen die Beeren, die hier richtig gut sind. Dann Aprikosen, Kirschen, Zwetschgen, zuletzt Quitten von der Nachbarin, logisch auch Äpfel. Alles kommt aus einem Umkreis von maximal zehn Kilometern! Nur die Pfirsiche überlasse ich Sommelier Giuseppe Lo Vasco für seinen Bellini. Tatsächlich glaube ich, dass ich hier diejenige bin, die am saisonalsten und am regionalsten vorgeht. Der Sanddorn aus dem Bündnerland, den ich zurzeit verwende, ist bei mir die exotischste Zutat.
Nur Früchte als Basis? Keine Schokolade oder Vanille?
Dann wird das Dessert eben sehr schnell zu schwer. Schokolade spare ich mir eigentlich lieber auf für die Friandises. Zum Kaffee braucht es nicht mehr allzu viel Säure.
Gibt es eine Zutat, die Sie nächstes Jahr mal probieren möchten?
Was mir im Kopf rumspukt, sind Pilze. Getrockneten Igelstachelbart kann man offenbar als Glace servieren. Er erinnere, hat mir ein Händler erzählt, geschmacklich an Kokosnuss. Ich glaube aber, da muss ich Silvio noch überzeugen.
Was passiert, wenn Silvio und Sie sich über ein Dessert nicht einig sind?
Wenn er oder ich nur kleinste Zweifel haben, kommt das Dessert nicht ins Menü.
Sie beginnen das neue Jahr gleich mit Ferien. Wohin geht’s eigentlich?
Ich möchte unbedingt an die Sonne. Nach drei Jahren Trips nach Südamerika reizt es mich, nach Asien zu reisen. Aber ich bin da immer sehr spontan und habe noch nichts gebucht. Was ich sicher möchte, ist surfen, tauchen und am Strand liegen.
Ihr Chef Silvio Germann geht zu Jahresbeginn in den «Hangar 7» in Salzburg. Müssen Sie da denn nicht mit?
Doch, ich und Lukas gehen zuerst hin, instruieren die Teams und bereiten alles vor. Wenn Silvio kommt, soll möglichst alles parat sein. Und wenn er in Salzburg ist, hüten wir den «Mammertsberg». Unser Urlaub beginnt hier ja erst am 12. Januar.
Nehmen Sie aus den Ferien auch mal Inspiration mit?
Inspiration nimmt man immer mit, aber eher indirekt. Für meinen Geschmack sind die Süssspeisen in den warmen Ländern ja alle viel zu süss. Wenn es richtig heiss ist, brauche ich keinen Zucker mit Zucker und nochmals Zucker.

Der «Mammertsberg» liegt gleich neben dem Bahnhof Freidorf im Thurgau.
Hand aufs Herz: Haben Sie schon mal eine Dessertidee geklaut?
Sicher nicht bewusst, sicher nicht eins zu eins. Noch gehen mir die Ideen nicht aus. Aber ich glaube kaum, dass ich bei Kombinationen jeweils das Rad neu erfinde.
Und wenn wir grad dabei sind: Gibt es Kolleginnen oder Kollegen, die Sie nächstes Jahr unbedingt besuchen möchten?
Wir haben halt alle in der Gastronomie immer die gleichen Arbeitstage, und so ist das zeitlich immer ganz schwierig, wenn man jemanden besuchen will. Das gelingt viel zu selten. Ich habe aber vor, nochmals ins «Igniv» nach Bad Ragaz zu gehen, bevor es schliesst. Dort hatte ich ja meine erste Anstellung nach der Lehre.
Welche Restaurants stehen sonst auf Ihrer Bucket List?
Ich möchte zu Clare Smyth ins «Core» nach London. Und zu Marco Campanella ins «La Brezza» im Tessin. Soll es in erster Linie um die Desserts gehen, würde ich – wieder und wieder – zu Tanja Grandits. Was Patissier Julien Duvernay da leistet, ist schlichtweg phänomenal.
>> Stephanie Mittler ist Chef-Pâtissiere und Sous-Chefin im «Mammertsberg» in Freidorf TG. Das 18-Punkte-Restaurant hat sie mit Silvio Germann und Andreas Caminada im Oktober 2022 eröffnet. Sie ist in der Nähe von München aufgewachsen. Danach arbeitete sie u.a. in Bad Ragaz und in Zürich im «Igniv», später als Chef-Pâtissiere im «Schloss Schauenstein» in Fürstenau.
Bilder: Fabienne Bühler, Digitale Massarbeit, Adrian Bretscher, Remy Steiner

