Text: David Schnapp

Nenad Mlinarevic, Sie waren im Lockdown, sind mit dem Velo von Zürich nach Zermatt gefahren, haben einen Punkt mehr und einen Stern für die «Neue Taverne» erhalten. Wie beurteilen Sie ihr Jahr?
Die Hochs überwiegen auf jeden Fall, und das Jahr hat sich angefühlt, als hätte man zwölf Monate in sechs gepackt. Seit wir im Frühling wieder aufmachen durften, waren die «Bauernschänke» und die «Neue Taverne» vom ersten Tag an voll.

Was lief trotzdem nicht so gut?
Zwischendurch hat vielleicht etwas die Zeit gefehlt, zu reflektieren. Und zu Beginn war es schwer, gute Leute zu finden. Aber ich habe auch gemerkt, dass in der Küche zu stehen und kreativ zu sein, mir am meisten liegt. Dort finde ich immer noch die grösste Freude an meinem Beruf.

Was macht das Glück in der Küche für Sie aus?
Zum einen ist es ein gelungenes Gericht, das gut schmeckt und schön aussieht. Das andere ist die Energie: In einer offenen Küche wie in der «Taverne» kann man es sich nicht leisten, auf 50 Prozent Leistung zu fahren. Das Restaurant ist ausgesprochen dynamisch, man ist immer im Austausch mit den Gästen, und manche Gerichte schicken wir 700 Mal in einer Woche. Dadurch zwinge ich mich, immer wieder Neues zu kreieren, weil es mich sonst schnell langweilen würde.

Neue Taverne 2021: Geräuchertes Tofu Tonkatsu, Sojamayo, sihsimi, Kimchi- Gurken

Modern vegetarisch: geräucherter Tofu-Tonkatsu mit Sojamayonnaise, Sishimi (Sesam, Chili, Sanchopfeffer) und Kimchi-Gurken.

Wie hat sich ihre Küche verändert in den zwei Jahren, seit Sie die «Taverne» als Gemüserestaurant führen? Zu Beginn wurde ja auch mal ein Fleisch-Jus serviert? 
Es kommen deutlich mehr Veganer und Vegetarier zu uns, deshalb haben wir auch die Küche umgestellt. Vieles kreieren wir heute von Grund auf vegan, damit wir Saucen zum Beispiel nicht mehrfach ansetzen müssen. Mir scheint, die Küche wird feiner und durchdachter. Zu Beginn mussten wir vieles erst herausfinden, jetzt haben wir eine Basis, auf die wir saisonal immer wieder neu aufbauen können

Wo zeigt sich das konkret?
Zu Beginn hatten wir etwa das Knowhow nicht, um einen Gemüsejus so anzusetzen, dass er die Tiefe eines Fleischjus bekommt.

Und, wie machen Sie das?
Wir verwenden viele verschiedene Gemüse, die in feine Scheiben gehobelt werden – Sellerie, Pilze, Zwiebeln, Karotten etwa. Dann rösten wir sie für längere Zeit im Ofen, damit sie gleichmässig karamellisieren, und setzen sie erst dann mit Wasser an. Zum Schluss legen wir beispielsweise noch Kombualgen auf, auch Miso und Hefe können den Geschmack verbessern.

Wann ist ein Gericht ein «Taverne»-Gericht?
Wenn es schmeckt und Sinn macht. Und es darf nicht langweilig sein. Für mich ist es wichtig, dass es immer einen Twist hat. Ich will die Leute überraschen: Ein spezielles Öl, eine unerwartete Zubereitungsmethode für ein Gemüse kann schon den entscheidenden Unterschied ausmachen. 

Neue Taverne 2021

Zürichs bestes Gemüserestaurant: die «Neue Taverne» (16 Punkte) in der Altstadt.

Ist die Gemüseküche nach dem Regional-Hype der neue grosse kulinarische Trend?
Auf jeden Fall. Ich war jetzt einige Male in Kopenhagen, wo das Drei-Sterne-Restaurant Geranium jetzt auf pflanzenbasierte Küche umstellt. Daniel Humm ist in New York ja vorangegangen. In Zürich ist der Trend allerdings noch nicht so angekommen, was mich erstaunt. Dabei ist das Thema wirklich interessant und bietet unglaublich viele Möglichkeiten.

Woran fehlt es bei uns?
Man muss es halt wirklich aus Überzeugung machen. Sonst kann es nicht gut werden. Aber es wird so viel über Nachhaltigkeit gesprochen, man kümmert sich um die Vermeidung von Plastik bei Verpackungen, diskutiert über Transportwege, da ist es schon naheliegend, sich über das, was wir essen, Gedanken zu machen.

Ist der nächste Schritt für Sie ein veganes Restaurant?
Das kann sicher eine Weiterentwicklung sein. Wir haben jetzt ein vegetarisches Restaurant, mit dem wir uns viel Knowhow angeeignet haben. Das lässt sich nutzen, und ich sehe grosses Potenzial für pflanzenbasiertes Fine-Dining.

Koch Nenad Mlinarevic kocht mit HolunderbeerenVitznau, 13.Juli 2016Esther Michel

«Pflanzenbasiertes Fine Dining hat grosses Potenzial»: Nenad Mlinarevic, 40.

GaultMillau Garden Party 2021: Labneh mit Tomaten-Ponzu und Zucchetti von Nenad Mlinarevic

Nenad an der GaultMillau Garden Party 20021: Labneh mit Tomaten-Ponzu und Zucchetti.

Ist für viele Gäste ein gutes Essen nicht automatisch mit Luxusprodukten wie Fisch und Fleisch verbunden?
Vielleicht, aber viele Gäste setzen sich auch mit ihren Essgewohnheiten auseinander und merken, dass es ihnen guttut, wenn sie weniger Fleisch und Fisch essen. Wir haben viele Banker als Kunden, die gerne mal vegetarisch essen, aber abends vielleicht trotzdem ein Steak bestellen. Es braucht ja nicht immer die radikalste Lösung. Wir sprechen neugierige Leute an, die gerne etwas Besonderes probieren. Ich sehe es auch den Bewerbungen: Wir bekommen viel Post von hervorragend ausgebildeten Leuten. Die haben in der Top-Gastronomie gearbeitet und genug Langoustinen und Foie Gras verarbeitet und möchten jetzt mal etwas anderes sehen.

In Kopenhagen haben Sie als Jury-Mitglied die Kochsendung «Master Chef» begleitet, die der Fernsesender 3+ erstmals in die Schweiz bringt. Wie war diese Erfahrung?
Nach «Kitchen Impossible» wollte ich eigentlich kein TV mehr machen, sondern das als interessante Erfahrung abbuchen. Aber «Master Chef» hat mich überzeugt, weil es nicht nur Unterhaltung ist, sondern tatsächlich auch ums Kochen geht. Man erlebt Menschen, die unter Zeitdruck kreativ sein müssen, und ich habe gesehen, wie sich gute Hobbyköche mit etwas Coaching zu sehr guten Hobbyköchen entwickelt haben. 

Was ist eigentlich der häufigste Fehler beim Kochen zu Hause?
Zeitmanagement und Organisation – viele Hobbyköche wissen kaum, was sie als erstes machen sollen. Wenn ich etwas schmore, das fünf Stunden braucht, muss ich damit als erstes anfangen und nicht mit der Suppe, die nur eine Stunde benötigt. Und erstaunlich viele Leute vergessen, ihre Gerichte abzuschmecken. Schon ganz zu Beginn braucht es gerade beim Schmoren etwas Salz, man muss zwischendurch wieder probieren und ganz zum Schluss natürlich nochmals. Je nach Produkt hilft etwas Säure, Schärfe oder etwas Frische. Man muss sich immer überlegen, wie ein Gericht am Ende noch besser gemacht werden kann.

Nenad Thomas Bauernschänke

«Die Vielfalt macht mir Freude»: Nenad Mlinarevic mit seinem Küchenchef Thomas Brandner in der «Bauernschänke» (15 Punkte).

Sie gehören zu den vielseitigsten Spitzenköchen der Schweiz – mit zwei Lokalen in Zürich, Pop-ups oder privaten Dinner-Anlässen in Ihrem Atelier. Wo finden Sie die grösste Befriedigung?
Die Vielfalt macht mir schon Freude, aber ich habe auch gemerkt, dass mir eine gewisse Routine guttut. Ich starte den Tag mit Kaffee und Gipfeli, dann gehe ich ins Restaurant, kümmere mich ums Mise en Place und bin meistens während dem Service da. Es geht mir ja nicht darum, möglichst viel zu machen, sondern immer wieder Neues zu lernen und Erfahrungen zu sammeln, die mich weiterbringen.

Werden Sie dennoch ruhiger?
Auch wenn man immer auf der Suche ist, hat man irgendwann fast alles ausprobiert. Mich macht es glücklich, in der Küche zu stehen. Gleichzeitig ist Routine auch gefährlich, deshalb unterbreche ich sie bewusst. Dann gehe ich in mein Atelier und mache mir Gedanken über meine Restaurants, wie sie eingerichtet sein sollten, was wir kochen, und wie wir mit den Mitarbeitern umgehen.

Diese Frage beschäftigt viele Gastronomen und Küchenchef intensiv.
Ja, es reicht mittlerweile nicht mehr, nur gut zu kochen. «Noma»-Chef René Redzepi hat das kürzlich treffend beschrieben: Es gehe darum, das beste Restaurant für die Mitarbeiter zu kreieren. Im «Noma» arbeitet die Elite der Kochkunst, ganze Teams, die sich nur um Fermentationstechniken kümmern, andere, die den Service verantworten und so weiter. Die Öffnungszeiten wurden reduziert, so dass die Leute weniger Stunden arbeiten müssen. Das Ziel muss eine inspirierende Arbeitsatmosphäre für die Angestellten sein.

Ist die Viertage-Woche die Zukunft der Gastronomie?
Es ist auf jeden Fall so, dass Restaurants, die nur vier Tage offen haben, oder ihren Leuten ermöglichen, nur vier Tage zu arbeiten, keine Probleme haben, gute Mitarbeiter zu bekommen. Mich beschäftigt die Frage intensiv, wie wir uns besser organisieren können. Mir schwebt ein Modell mit zwei Teams vor, so sind die Leute weniger Stunden im Betrieb, haben ein Leben neben dem Job, sind fitter und motivierter.

 

>> Die Channel-Serie zum Jahresende: Sieben begabte Chefs ziehen Bilanz. Heute: Nenad Mlinarevic, 16 GaultMillau-Punkte in der «Neuen Taverne», 15 Punkte in der «Bauernschänke», beide in Zürich. 

>> Mehr Infos zu «Neue Taverne» und «Bauernschänke» in Zürich

Fotos: Thomas Buchwalder, Joan Minder, Lucia Hunziker, Esther Michel, Pascal Grob