Fotos: Samuel Müller

Ungleiches Paar am Pass. Es ist ein ungewöhnliches Bild am Pass einer kleinen geschäftigen Küche, das sich einem unbeteiligten Zuschauer bietet: Da ist ein älterer, gut gelaunter Mann in einer eleganten weissen Kochjacke, die ein wenig an eine zweireihige Anzugjacke erinnert. Und da ist ein grossgewachsener junger Koch, der offensichtlich eng und mit blindem Verständnis mit seinem Kollegen zusammenarbeitet. Wir sind im Herz des Restaurants Bareiss im gleichnamigen Hotel im Schwarzwald, ausgezeichnet mit drei Michelin-Sternen seit 2008 und zuletzt 19 GaultMillau-Punkten. Der 61-jährige Mann ist Claus-Peter Lumpp, der Chef des Restaurants, der junge Kollege ist ein 31jähriger St. Galler. Der GaultMillau zeichnet ihn als «Schweizer Star im Ausland 2026» aus. 

Lupp Bettschen am Pass

Rücken an Rücken oder Hand in Hand: Claus-Peter Lumpp und Cyril Bettschen in der Küche.

«Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit.» Der «Star im Ausland» im GaultMillau Schweiz 2026 arbeitet seit 2020 im «Bareiss» und hat mittlerweile die Rolle als operativer Küchenchef inne. Dabei hatte der Sankt Galler Bettschen davor kaum Erfahrung in der gehobenen Gastronomie: Ausbildung im Hotel Säntispark, zu den prägenden Stationen gehörte das Hotel Bellvue in Bern oder ein Engagement in Dubai: «Da haben wir auch mal Caterings für 1500 Leute gemacht», erzählt Bettschen. Nachdem er das Uccelin-Programm absolviert hatte, bewarb sich der junge Koch spontan im «Bareiss». «Die Familie meiner Freundin kannte das Haus gut», nennt er mit erfrischender Heiterkeit den Grund dafür. Und Claus-Peter Lumpp hat, wenn es Qualitätsmerkmale von Leuten geht, die er engagiert, ein simples Prinzip: «Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit sind das wichtigste für mich.» Was das Kochen angehe, müsse ohnehin jeder, der hier anfange, auf das gewünschte Niveau gebracht werden. Damit ist auch gemeint, führt Lumpp aus, dass man Fehler machen könne. Schwierig werde es nur, wenn jemand nicht zu seinen Fehlern stehe. Und, fügt er an, denselben Fehler dreimal zu machen, sei auch nicht akzeptabel.

Restaurant Bareiss

Klassiker im Schwarzwald: Tisch im Restaurant Bareiss.

Apero Etagere Bareiss

Tradition in Silber: die Apero-Etagère zum Start ins Menü.

«Sehr kreativ.» Nach der Lockdown-Zeit habe man wegen des anschliessenden Ansturms der Gäste «wahnsinnig viel zu tun» gehabt. Und in genau dieser Zeit habe sich Cyril Bettschen eben gerade durch Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit hervorgetan, so Claus-Peter Lumpp. «Ausserdem ist er sehr kreativ, da muss ich ihn manchmal sogar etwas bremsen», fügt er lachend an. Denn es sei ihm irgendwann klar geworden, dass er die Verspieltheit in seiner Küche ablegen müsse: «Heute geht es nur noch um Geschmack, Geschmack, Geschmack.» Das habe durchaus auch wirtschaftliche Gründe, so Lumpp. «Mein Anspruch ist, dass wir mit diesem Restaurant etwas zum Gewinn dieses Unternehmens beitragen», sagt er. 

Claus-Peter Lumpp

Freundlich-kooperativer Führungsstil: Claus-Peter Lumpp (61).

Ausnahmefigur Lumpp. Claus-Peter Lumpp ist eine Ausnahmefigur in der deutschen Spitzengastronomie. Vom «Guide Michelin» wurde er 2025 mit dem «Mentor Chef Award» ausgezeichnet, zu seinen Schülern zählen unter anderem Andreas Caminada, der Österreicher Thomas Dorfer (Landhaus Bacher) oder Christoph Rüffer, der eben für sein Restaurant Haerlin in Hamburg den dritten Stern erhalten hat. Lumpp hat bereits seine Lehre im «Bareiss» gemacht, welches damals noch ein einfaches Kurhotel war. Neben einigen kurzen Abstechern in andere Küchen – unter anderem zu Alain Ducasse ins «Luis XV» in Monaco oder in die «Kunststuben» von Horst Petermann in Küsnacht – war der sympathische Koch seinem Stammhaus ein Berufsleben lang treu. Von Patron Hermann Bareiss wurde er früh mit der Aufgabe betraut, das Restaurant auf das höchstmögliche Niveau zu führen.

Blick in die Bareiss Küche

Neue Perspektive: Cyril Bettschen am Pass.

Kohlrabi und Roioos Tee

Klassische Küche mit modernem Einschlag: Kohlrabi und Roioos-Tee als Amuse Bouche.

Vertrauensbeweis. Wohl auch deshalb sind Loyalität und Aufrichtigkeit in Lumpps Küche Werte, an denen sich auch Cyril Bettschen orientieren muss. Und das ungewöhnliche Paar verbindet durchaus auch die Tatsache, dass beide ohne viel Erfahrung in der gehobenen Gastronomie in dieser besonderen kulinarischen Disziplin gelandet sind. «Mir war das zu Beginn eher fremd», gibt Bettschen freimütig zu. Und Lumpp gesteht gleichzeitig, dass es ihm nicht einfach gefallen sei, dem jungen Kollegen Verantwortung zu übertragen. «Oft ist etwas schneller gemacht, als dass man es lange erklären muss. Aber bewusst Aufgaben abzugeben, ist ein bewusster Vertrauensbeweis, damit der andere lernen kann», sagt Lumpp. Bettschen sei für ihn die Schnittstelle zum Team, und ein Küchenchef nütze nicht viel, wenn er nichts entscheiden könne.

Am Pass Bettschen Lumpp

Harmonie auf engstem Raum: Claus-Peter Lumpp und Cyril Bettschen beim Anrichten am Pass.

Klarheit am Telefon. Während der Mittagsservice langsam Fahrt aufnimmt, ist Cyril Bettschen deshalb noch am Telefon mit einem Gemüse-Lieferant und erklärt diesem mit unmissverständlicher Klarheit, welche Qualität er erwartet. Wird das Menü geschrieben tauschen sich die beiden Köche aus, eine Idee des jungen Schweizers, die es zuletzt auf die Karte geschafft hat, war ein Steinpilzraviolo mit Zitronenthymian und einer modischen Hippe. Nur die Hippe ist wieder verschwunden – «zu verspielt», fand Claus-Peter Lumpp, der seinen Führungsstil im Übrigen als «freundlich-kooperativ» bezeichnet.

Foie Gras Mais Cassis

Aus dem Degustationsmenü: Gänsestopfleber mit Mais und Cassis.

Mittagsmenü Perlhuhn

Aus dem Mittagsmenü: «Label Rouge»-Perlhuhn mit Kürbis und Zitronen-Verbene.

Stummes Ballett. Der Service in der erstaunlich kleinen Küche, wo sechs Köche am sehr kompakten Herdblock arbeiten, wirkt jetzt wie ein stummes, aber perfekt synchrones Ballett. Claus-Peter Lumpp und Cyril Bettschen wechseln blind die Positionen, der eine brät Kaisergranat, der andere richtet an – oder umgekehrt. Muss der eine spontan irgendwo eingreifen, macht der andere für ihn nahtlos weiter. Der Ausdruck «Wir arbeiten Hand in Hand», bekommt hier eine wortwörtliche Bedeutung. Gleichzeitig sind Worte dafür keine notwendig, die Handgriffe und Abläufe sitzen so präzise wie beim Zusammenbau eines Uhrwerks. Dabei macht man sich die Aufgabe nicht so einfach wie möglich. Zwei Menüs plus Lunch-Option, eine vegetarische Variante sowie zusätzlich ein aufwendiges A-la-Carte-Angebot stehen zur Auswahl. Patissier Stefan Leitner, ebenfalls seit über 20 Jahren im «Bareiss», bestückt ausserdem jeden Tag einen Petit-Fours-Wagen mit Kuchen, Torten, Madleines, Frucht-Gelées und vielem mehr. Genau diese Art von Grosszügigkeit und Herzlichkeit machen das Haus schliesslich einzigartig.

Petit Fours Wagen Bareiss

Grosszügigkeit und Herzlichkeit: der tägliche Petit-Fours-Wagen aus der Patisserie.

Rolle für die Zukunft. «Ich sehe uns als Gemeinschaft», sagt Claus-Peter Lumpp am Ende über sein Team, aber auch über seine Vorstellung, wie ein familiengeführtes Hotel funktionieren sollte. Und Cyril Bettschen ist längst Teil dieser Gemeinschaft, in der er in den letzten fünf Jahren als Mensch und als Koch wachsen konnte: «Ich habe in der Zeit hier sehr viel gelernt als Koch, bin aber auch als Mensch reifer geworden», sagt er. Claus-Peter Lumpp traut seinem jungen Schweizer Kollegen offensichtlich viel zu. «Er kann das und will das», sagt er. Wie Bettschens Rolle in Zukunft aussehen wird, wird sich zeigen. Aber in der «Bareiss»-Tradition von Loyalität und langem Atem spricht viel dafür, dass man ihn in einigen Jahren immer noch am Pass dieser kleinen, aber aussergewöhnlichen Küche finden wird.