Radikal regional. Man merkt es seinem Dialekt sofort an: Manuel Zünd stammt aus dem Kanton Bern. Kulinarisch ist der 36-Jährige aber durch und durch Bündner. Was Zünd im «Atelier Vert», dem vegetarischen Fine-Dining-Lokal des Hotels Alpengold in Davos, auftischt, stammt zu fast 100 Prozent aus Graubünden. Die einzigen Ausnahmen: Salz, Hefe, Vanille, Schokolade und – wenn man es ganz genau nimmt – Trüffel. Letzteren bezieht er bei Urs Horni und Andrina Bisaz in Bad Ragaz SG, 50 Kilometer von Davos und einen Katzensprung von der Bündner Herrschaft entfernt. «Urs und Andrina ist es gelungen, Burgundertrüffel von erstaunlicher geschmacklicher Intensität zu züchten. Zuvor hat mich diese Sorte nie recht überzeugt», erklärt der leidenschaftliche Koch. Im aktuellen «Atelier Vert»-Menü veredelt der Ragazer Trüffel ein fluffiges Mais-Safran-Brötchen mit Sauerrahm. Bild oben: Manuel Zünd und sein Kastanienschaum mit Quittenkompott und Quitten-Kombucha-Glace.

Atelier Vert

Knusprige Versuchung: Roggen-Taco mit dehydriertem Kürbis vom Biohof Dusch, gebeiztem Eigelb, selbstgepresstem Hanföl und gerösteten Hanfsamen.

Immer auf der Suche. Für Zünd ist jedes spezielle Produkt, das er in seiner Wahlheimat entdeckt, wie Weihnachten. «Kürzlich konnte ich mir sogar ein paar Kilo Bündner Mandeln sichern», erzählt er mit leuchtenden Augen. Möglich gemacht hat dies sein guter Draht zur in der Herrschaft ansässigen Organisation Swiss Nuss. Senf musste Zünd bis vor eineinhalb Jahren noch von ausserhalb der Kantonsgrenzen zukaufen, dann wurde er bei Jürg Adank in Fläsch fündig. Im Weinbaudorf in der Herrschaft gedeiht auch Safran vorzüglich. 

Atelier Vert

Das Mais-Safran-Brötchen mit Sauerrahm veredelt Burgundertrüffel aus Bad Ragaz.

Atelier Vert

Erfrischung zum Start: Kombucha mit Holunderblüten und selbst gezüchteten Spirulina-Algen.

Atelier Vert

Zum Essen fast zu schön: Kohlrabi mit Quark, Sauerrahm und Kapuzinerkresse.

Weltmeister in Luxemburg. Ehe Manuel Zünd 2021 nach Davos kam, arbeitete er unter anderem für Markus Arnolds «Rooftop Brasserie & Bar» auf dem Dach des Berner Globus und im «Oak Grill» auf dem Bürgenstock, wo ihn GaultMillau mit 14 Punkten auszeichnete. Im «Atelier Vert» sind es nun sogar 15 Punkte. «Für die Sichtbarkeit unseres Restaurants ist das sehr wichtig, und natürlich tut die Anerkennung dem ganze Team gut, auch mir», sagt der junge Chef, der mit der Schweizer Kochnationalmannschaft 2022 beim Culinary World Cup in Luxemburg triumphierte.

Tempeh aus Gerste und Kastanien. Dass ein Restaurant sein eigenes Brot bäckt, ist inzwischen recht verbreitet. Zünd tut im «Atelier Vert» aber nicht nur das, er presst auch Öl, stellt veganen Käse aus Baumnüssen her oder verwandelt heimische Produkte in Tempeh, dessen traditionelle Basis eigentlich Sojabohnen sind. «Zunächst haben wir nur aus Rollgerste Tempeh gemacht, nun gelingt uns das auch mit Kastanien aus dem Bergell», führt der stets neugierige 15-Punkte-Koch aus. Der süssen Seite der Kastanien huldigt Zünd mit einem Marronischaum, den ein Quittenkompott und eine erfrischende Quitten-Kombucha-Glace begleiten.

Atelier Vert

Zu jedem Gericht gibt es eine Tafel mit spannenden Informationen über die verwendeten Produkte.

Atelier Vert

Bao-Bun mit süsslichem Safran-Senf, Polenta und Popcorn-Crumble. 

Essig statt Zitrusfrüchte. Als Säureakzent setzt Manuel Zünd nicht wie die meisten seiner Kolleginnen und Kollegen den Saft von Zitrusfrüchten ein, sondern hausgemachten Essig. Seit 15 Jahren hat er sich dieser Kunst verschrieben und greift bisweilen sogar auf eine getrocknete und pulverisierte Essigmutter zurück. Auch Verjus, der Saft unreifer Trauben, hilft ihm, seinen Gerichten einen frischen Kick zu geben. Und wie sieht es mit der Schärfe aus? «Pfeffer haben wir in Graubünden keinen, dafür gibt es im Hotelgarten diverse Chilisorten, die wir trocknen», erklärt Zünd.

Manuel Zünd

Manuel Zünd siegte 2022 mit der Schweizer Kochnationalmannschaft am Culinary World Cup in Luxemburg.

Atelier Vert

Walderdbeer-Rüebli-Essenz mit hausgemachtem Gersten-Tempeh, Rüebli-Kimchi, gepoppter Rollgerste und Schnittlauchöl. 

Spirulina-Algen aus eigener Zucht. Was im «Atelier Vert» auf den Tisch kommt, überzeugt geschmacklich so sehr, dass es eigentlich keines Storytellings bedarf. Zünd ist es aber wichtig, dass die Gäste auch etwas über die Biodiversität Graubündens erfahren. Deshalb kommen er und die anderen Chefs während des Essens regelmässig an die Tische. Zu jedem Gang gehört ausserdem eine kleine Tafeln, auf der die Hauptkomponenten der Kreationen und ihr Ursprung verzeichnet sind. Die Spirulina-Algen, die Zünd für einen Kombucha mit Holunderblüten verwendet, gedeihen übrigens im Restaurant selbst, in zwei gläsernen Zylindern neben der Bar.

Rotationsverdampfer und Röteli. Das liebste Spielzeug des Kochs ist der Rotationsverdampfer, mit dem er den unterschiedlichsten Produkten ihre Essenz entzieht. Darunter Arvennadeln, deren Duft so typisch ist für Graubünden. So entsteht eine Sphäre, die mit Pfifferlingen und eingemachten Tannenschösslingen als Amuse Bouche gereicht wird. Auch der Bündner National-Likör Röteli darf im «Atelier Vert»-Menü nicht fehlen: Er verfeinert ein Pre-Dessert mit thermophil fermentiertem und deshalb schwarzem Sellerie, Hafer-Crumble, Sellerie-Creme, gefriergetrocknete Kirschen und Balsamessig.

>> GaultMillau und American Express scouten junge, begabte Köche, die die Zukunft vor sich haben, für die Liste «Talente 2026». Fortsetzung folgt.

Fotos: HO, Alex Kühn