Text: David Schnapp

Christian Bau, Sie sind 54 Jahre alt und stehen immer noch jeden Tag am Pass, filetieren Fisch, kochen mit, richten an. Warum tun Sie sich das an?
Das tue ich mir nicht an. Ich mache das aus Freude. Ich bin aus voller Überzeugung Koch. Aber natürlich gab es Phasen, wo es mir weniger Spass gemacht hat. Während der Trennung von meiner ersten Ehefrau, mit der ich den Betrieb gemeinsam geführt hatte, war es weniger leicht. Ich bin jetzt seit sieben Jahren in einer neuen Partnerschaft. Zusammen mit meiner Frau Sarah und langjährigen Mitarbeitern führe ich das Restaurant. Mit diesen Menschen zusammenzuarbeiten, macht mir viel Freude. Ich sehe das nicht als Last, sondern komme wirklich gerne zur Arbeit. Ich filetiere auch gerne Fisch oder breche Langustinen aus.

Weil das niemand so gut kann wie Sie?
Ich wünsche mir manchmal, es gäbe mehr junge Menschen mit derselben Leidenschaft für den Beruf und einem vergleichbaren fachlichen Wissen.

Finden Sie keinen oder gibt es keinen, der so viel Leidenschaft, so viel Wille hat wie Sie?
Nein, das kann ich so nicht unterstreichen. Wir haben eine gute Mischung im Team, nicht zu alt, nicht zu jung. Und meine Frau ist jetzt im zehnten Jahr hier. Die ist eine Maschine! Sarah kann jeden Posten kochen, die filetiert Fisch genauso wie ich und bricht jeden Hummer genauso präzise aus.

Also können Sie ein wenig abgeben?
Manchmal muss ich es ja. Jetzt sitze ich mit Ihnen zum Gespräch, aber in der Küche muss es weiterlaufen. Wenn ich zurück bin, sind die ersten Hummer gekocht, die Fische filetiert. Aber ich habe den Anspruch, vieles selbst zu machen, und ich habe ein Qualitätsverständnis und eine Arbeitsethik, die junge Menschen oft noch nicht haben. Sie können mich nachts um 4 Uhr wecken, und dann weiss ich, wo ich das Messer ansetzten muss, um einen Steinbutt in zwei Minuten zu filetieren. 

Die Gastronomie hat Ihnen viel gegeben. Hat Sie Ihnen auch etwas genommen?
Ja, Lebensqualität und ein Familienleben. Ich würde aber trotzdem 95 Prozent wieder genauso machen.

Was würden Sie anders machen? 
Die ersten Jahre in meiner Personal- und Menschenführung wären sicherlich anders als heute. 

Christian Bau

«Ich bin aus voller Überzeugung Koch»: Christian Bau am Pass seines Restaurants.

Was haben Sie falsch gemacht?
Ich war nie der Typ, der Menschen angefasst oder mit Kraftausdrücken beschimpft hat, das hat es bei mir nie gegeben…

…Aber?
Sie müssen sich das so vorstellen: Ich wurde mit 23 Jahren in der «Schwarzwaldstube», dem damals besten Restaurant der Republik, Sous-Chef einer Küchenbrigade von 16 Mann. Ich wurde zum Bluthund gemacht, und damals war der Umgang anders als heute. In einer Küchenbrigade voller Männer, voller Testosteron musste man Ellbogen haben, um zu bestehen. Ich hatte in Harald Wohlfahrt einen wunderbaren Chef, aber ich musste vieles für diesen Chef regeln.

Wie muss man sich das vorstellen?
Ich habe die Leute bei Laune gehalten, geführt, und ich habe auch die notwendigen Gespräche im Kühlhaus geführt, die der Chef nicht führen wollte.

Gespräche im Kühlhaus sind ein typisches Relikt aus dieser Zeit, oder?
Ich weiss nicht, was Sie über Gespräche im Kühlhaus wissen. Aber das war so: Gespräche unter Männer, die man im Auftrag des Chefs geführt hat, weil der mit irgendwas nicht zufrieden war, wurden nicht im Büro geführt. Man ging ins Kühlhaus, dort gab es keine Zuhörer, und dann habe ich kommuniziert, was mir in Auftrag gegeben wurde. 

Wie war das für Sie?
Seien wir ehrlich: Früher wurden die Köche über Angst geführt. Man hat geglaubt, dass sie so funktionieren und Leistung bringen würden. 

Amber Jack mit Blumenkohl, Yuzu, Kombu & Caviar

Aus dem Menü «Paris – Tokyo»: Amber Jack (Bernsteinmakrele) mit Blumenkohl, Yuzu, Kombu und Kaviar.

Steinbutt · Beurre rouge · Ochsenmark

«Ich filetiere gerne Fisch»: Steinbutt mit Beurre rouge und Ochsenmark.

Wann haben Sie gemerkt, dass das nicht funktioniert?
Viel zu spät. Eigentlich habe ich das erst mit meiner zweiten Ehefrau realisiert. Sie ist als junge Mitarbeiterin zu mir gekommen und fiel mir schnell als grosses Talent auf. Die Geschichte ist schnell erzählt: Meine erste Ehe ging zu Ende, ich habe Sarah bald befördert, weil sie schnell und präzise war und allen was vorgemacht hat. Nach zweieinhalb Jahren wurde sie Sous-Chef, wir waren deshalb viel zusammen unterwegs. Und so hat sich das entwickelt. Aber sie war nicht der Grund dafür, dass meine erste Ehe gescheitert ist. 

Und Sarah hat Ihnen gesagt, «so geht es nicht»?
Wenn ich mal über den Herd rübergeschimpft habe, hat sie mich früh schon an der Kochjacke gezupft und gesagt, «Chef, der Junge hat grad Liebeskummer, bleiben Sie bei sich!» So hat das angefangen. Und als wir ein Paar wurden, hat sie mich immer wieder angehalten, runterzukommen und ist mir in der Küche auch mal ins Wort gefallen und hat mich eingebremst. Heute ist Sarah die Schnittstelle für alle und alles. Sie hat keine andere Auffassung von Qualität als ich, aber sie macht es mit ihrer weiblichen Intuition anders.

Sie wirken fast erleichtert darüber.
Ja, natürlich. Wenn man permanent unter Schlafentzug leidet und diesen Druck auf dem Kessel hat, macht einen das kaputt. 

Was treibt Sie an?
Menschen glücklich zu machen.

Das sagt sich so leicht. 
Ja, aber das ist so. Ich habe das grosse Glück, jeden Abend direktes Feedback von den Gästen zu bekommen. Das gibt mir eine gewisse Erfüllung.

Sarah und Christian Bau

«Meine Frau ist eine Maschine!»: Sarah und Christian Bau.

Und was hat Sie als 23-Jähriger angetrieben, als Sie der «Bluthund» von Harald Wohlfahrt waren?
Damals ging es darum, nach oben zu kommen. Ich habe mit 14 das Kochen angefangen. Demnächst stehe ich seit 40 Jahren in der Küche. Mein Lehrmeister hat mich zwar zuerst weggeschickt, weil er darauf bestanden hat, dass ich die Schule beende. Aber ich war trotzdem immer im Betrieb. Ich habe gemerkt, dass mir das etwas gibt – eine Familie und Rückhalt. Und ich wollte immer nach oben und hatte einen klaren Plan. Ich war nie arrogant oder überheblich, ich hatte Ansprüche an mich selbst und an meine Arbeit. Mein Anspruch war, der Beste zu sein. 

Das klingt nach einem anstrengenden Leben unter ständigem Druck. Deshalb nochmals meine Einstiegsfrage: Warum machen Sie das?
Weil es mir Spass macht. Das ist mein Leben. Aber ja, es ist anstrengend und exzessiv, und ich bin überzeugt, dass man es nur durchhält, wenn man auf Drogen und weitgehend auf Alkohol verzichtet. Ich bin jetzt seit 28 Jahren in diesem Restaurant und habe noch nie hier mit Gästen ein Glas Krug oder so getrunken. Das würde ich nie machen. Weiss- oder Rotwein trinke ich höchstens, wenn ich selbst auswärts esse.

Warum wollten Sie als 14-Jähriger in die Küche, das ist eher ungewöhnlich?
Meine Eltern haben sich getrennt, als ich zwei Jahre alt war. Meine Mutter hat mich als 17-Jährige bekommen, ich bin bei ihr aufgewachsen. Sie kam vom Bauernhof, war das jüngste von sieben Kindern und masslos überfordert. Oft wurde ich ins Zimmer eingeschlossen, damit meine Mutter feiern gehen konnte. Ich wollte schnell von zu Hause weg. 

Sie haben in der Gastronomie eine Familie gefunden?
Dort habe ich zum ersten Mal einen Rückhalt verspürt. Mit Menschen an einem grossen Tisch zu sitzen und zu essen, war für mich eine neue Erfahrung. Mein Lehrmeister war sehr streng, da wurde man auch mal am Ohrläppchen durch die Küche gezogen oder musste den Boden des Kühlhauses mit der Zahnbürste sauber machen. Aber ohne ihn wäre ich vermutlich abgedriftet. Der wusste um meine Situation, und hat das als Erziehungsauftrag für sich verstanden.

„Japanisches Meer“ – Kampachi · Meeresfrüchte · Strandkräuter

Signature Dish: «Japanisches Meer» mit Kampachi, Meeresfrüchte und Strandkräutern.

Gin Tonic – Dessert aus Gurke, Limone & Gin Tonic

Dessert-Klassiker von Christian Bau: Gurke, Limette und  Gin Tonic.

Haben Sie noch Kontakt zu Ihren Eltern?
Nein, mein Vater ist 2018 verstorben und ob meine Mutter noch lebt, weiss ich nicht. Ich habe den Kontakt irgendwann abgebrochen. Als ich mit 16 die Ausbildung offiziell angefangen habe, bin ich bald nicht mehr nach Hause zurück. 

Lassen Sie uns über Ihre Küche sprechen: Sie haben die französisch-japanische Fusion erfunden. Mittlerweile gibt es eine ganze Generation junger Köche, die mit Yuzu, Miso und Dashi arbeitet. Erfüllt Sie das mit Stolz oder Ärger über die Nachahmer?
Heute macht mich das stolz. Ich muss hier aber kurz ausholen: Als ich mit 27 Jahren hier auf Schloss Berg angefangen habe, war das ein neues Projekt. Ich sollte ein Konzept erstellen und habe auf die Landkarte geschaut: Wir sind zwischen Frankreich, Belgien und Luxemburg, also habe ich französisch gekocht. Aber mein Herz hat nicht dafür geschlagen. Nachdem in relativ kurzer Zeit der dritte Stern kam, habe ich zu meinem Chef gesagt, «ich will so nicht weitermachen».

Nämlich, wie?
Ich habe abends in Lackschuhen und Bundfaltenhosen meine Runde durchs Restaurant gemacht, wie ich das von Harald Wohlfahrt kannte. Aus den Lautsprechern erklangen die drei Tenöre, die Kellner waren wichtiger als die Gäste, es gab den Käse- und den Bonbonniere-Wagen – alles unter dem Dogma der grossen Klassik.

Und was wollten Sie stattdessen?
Ich war schon mit Harald Wohlfahrt häufig in Asien, mich haben die Menschen, die Märkte, die Geschmäcker in Thailand oder Hongkong fasziniert. Es wurde mir dann erlaubt, moderate Anpassungen zu machen. Das war 2006, ich war 34 Jahre alt und wollte im Geist des Revoluzzers alles verändern: Ich habe Jeans angezogen, war unrasiert und habe die Tischdecken von den Tischen genommen. Am Anfang war das alles nur plakativ – viel Zitronengras, Ingwer und Hoisin-Sauce. Mit der Zeit hat sich aber die Richtung Japan manifestiert. Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» hatte mich 2009 gebeten, ein japanisches Menü zu machen für einen Bericht. Sie erschien unter dem Titel «Banzai, Herr Bau!» und war der Startschuss.

Victors Fine Dining Christian Bau

Eines der besten Restaurants Europas: «Victor's Fine Dining by Christian Bau».

Wie ging es weiter?
Wir haben keine Gemüse- oder Geflügelbrühe mehr verwendet, sondern Dashi. Es gab jede Menge Ponzu, japanische Zitrusfrüchte und so weiter. 2011 kam das Buch «Bau.Stil» heraus mit allen detaillierten Originalrezepten, und es gab immer mehr Nachahmer. Am Anfang hat es mich gegrämt, wenn Kollegen plötzlich auch Dashi-Beurre-Blanc serviert haben, heute nehme ich das locker. 

Wie oft sehen Sie Ihre eigenen Ideen auf Tellern anderer Köche?
Durch Instagram und Facebook fast täglich. Ich gehe selbst häufig essen, lese und sehe viel und muss schon manchmal schmunzeln. Aber Kopie ist heute für mich die höchste Form der Anerkennung. Mein Beitrag zur Hochküche in Deutschland wurde ja oft gewürdigt.

Gibt es Schüler, auf die Sie besonders stolz sind?
Natürlich, es gibt mittlerweile acht oder neun ehemalige Mitarbeiter mit zwei Sternen, 17 oder 18 mit einem Stern. Ich freue mich für jeden, der den Weg mit mir gegangen ist und jetzt Erfolg hat. 

Viele japanische Zutaten, Würzmittel und Halbfertig-Produkte lassen sich beim Fine-Food-Shop Nishikidōri in Paris bestellen. Wieviel davon darf in einer Spitzenküche verwendet werden?
Wir stellen unsere eigene Dashi oder Ponzu her. Wir arbeiten mit frischen Zitrusfrüchten, Miso-, Yuzu- und Ingwer-Öl machen wir ebenfalls selbst. Aber wir verwenden auch Shiro-Dashi, mit der wir vielleicht mal Espressolöffel-weise eine Sauce abschmecken. Das kann man natürlich verurteilen, aber darüber mache ich mir keine Gedanken, weil ich die Sache wirklich ernst nehme. Eben war ich wieder in Japan und bin mit einem Füllhorn an Rezepten zurückgekehrt.

Sie verwenden Blauen Hummer, französische Langustine oder Fische vom Tokyoter Fischmarkt, wie man sie in Deutschland oder der Schweiz nur sehr selten ihn ähnlicher Qualität serviert bekommt. Ist es einfacher, mit solchen Produkten zu kochen oder eine Aubergine zuzubereiten?
Für mich wär’s schwieriger, eine Aubergine zuzubereiten (lacht). Aber die Produktbeschaffung ist exorbitant anspruchsvoll. Man muss sich bei manchen Lieferanten ein Standing über Jahre oder gar Jahrzehnte erarbeiten. Wenn ich fünf Kilogramm Thunfisch bestelle, will ich einen besonderen Zuschnitt. Vom Toro will ich eine möglichst zwölf Zentimeter dicke Scheibe haben. Das bekommt man nicht selbstverständlich. Wir tun viel dafür, eines der Restaurants mit den besten Produkten zu sein. Ich frage meinen Lieferanten zuerst nach der Grösse, nach dem Fettgehalt und erst dann nach dem Preis. 

Christian Bau

«Ich will so nicht weitermachen»: Christian Bau.

bau.stein | Asian Flavors – Pan Dan & exotische Früchte

Oft kopierter Stil: asiatische Aromenmit Pan Dan und exotischen Früchten.

Ist die Luxusküche noch aktuell, hat sie eine Zukunft, oder ist sie vorbei?
Diese Art von Küche wird nie vorbei sein, dafür gibt es immer eine Nachfrage. Sie könnten auch fragen, ist Fine Dining vorbei? Das ist das grosse Thema in deutschen Zeitungen. Aber es wird immer Gäste für diese Art von Gastronomie geben. Wir sehen ja den Zuspruch. Ich habe eher den Eindruck, dass die Zeiten für Restaurants, wo es viel um Gemüse, Regionalküche und Storytelling geht, schwieriger sind. Ich habe gar nichts gegen regionale Produkte, oft reichen aber einfach die Mengen nicht. 

Wenn Ihr Arbeitgeber Sie bitten würde, die Bar-Karte für das Hotel neu zu schreiben. Hätten Sie dafür auch Ideen?
Ja, natürlich. Ich glaube schon, dass ich dafür erfahren genug und ausreichend weit gereist bin.

Hätten Sie Lust, noch etwas ganz anderes zu machen?
Ja! Ich hätte Lust auf etwas, bei dem ich meine Herzensküche einbringen könnte: einen guten Sauerbraten, geschmorte Rinderrouladen, Kalbskopfsalat mit Sauce Gribiche. So eine Küche findet man kaum noch. Ganz weit weg von rohem Fisch, Edamame und Soja-Vinaigrette… 

Gibt es einen Geschmack aus Ihrer Kindheit, der Sie geprägt hat?
Der Sauerbraten meiner Oma war für mich eine Benchmark in Geschmack. Bei meinen Grosseltern gab es nur wenig Fleisch, gekocht wurde auf Holzfeuer. Diese Gerüche haben mir imponiert, und ich liebe Schmorgerichte bis heute sehr. 

Sie selbst servieren kein Fleisch mehr im Menü, was ist der Gedanke dahinter?
Zum einen geht es darum, die japanische Art noch mehr zu betonen: In einem Kaiseki-Menü gibt es kein Fleisch, allgemein wird in Japan sehr wenig Fleisch gegessen, ausser man geht in ein Wagyu-Restaurant. Und zum andern ist das ein Alleinstellungsmerkmal: Ein Restaurant unserer Güteklasse hat den Auftrag, einen Schritt weiterzudenken und anders zu sein als die andern.

 

>> Christian Bau (Jahrgang 1971) gehört zu den besten Köchen Europas. Sein Restaurant Victor’s Fine Dining by Christian Bau im saarländischen Perl-Nennigwird seit 2005 durchgehend mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet, 2018 ernannte ihn der GaultMillau zum Koch des Jahres mit 19,5 Punkten. 2019 erhielt er den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland, seit 2019 ist er Ehrenbotschafter der japanischen Küche. Bau ist der erste Deutsche und erst der dritte Europäer, dem diese Ehre zuzeilt wurde. Mit seinem Menü «Paris – Tokio», das er kurz nach dem Erhalt des dritten Sterns eingeführt hat, gehört Christian Bau zu den einflussreichsten Küchenehefs der letzten 20 Jahre. Der französisch-japanische Fusion-Stil hat unzählige junge Köche inspiriert und einen neuen Stil etabliert. Bau ist in zweiter Ehe mit Sarah verheiratet, die auch Sous-Chefin seines Restaurants ist.

Fotos: HO Victor's Residenz Hotels