Text: David Schnapp | Fotos: Olivia Pulver

Bauernhof und Gaststätte. Auf dem Weg ins Berner Seeland, im Grenzgebiet zwischen den Kantonen Solothurn und Bern, riecht es nach Landleben und Entschleunigung. Das Reiseziel ist ein alter Riegelbau aus dem frühen 19. Jahrhundert – ursprünglich natürlich ein Bauernhaus, seit langem aber auch eine Gaststätte. An der einen Seite des Gebäudes ist noch die fest verankerte Stange zu sehen, wo früher die Pferde der Reisenden festgebunden wurden, und der frühere Stall ist heute ein Teil des Restaurants.

Jonas Ingold, Kuechenchef, Restaurant zum Löwen - Messen - 16. August 2023 - Copyright Olivia Pulver

Seit 1822: der Gasthof Löwen in Messen SO wurde ursprünglich als Bauernhaus gebaut.

Einer von hier. Die historische Schönheit des Ortes wurde geschickt bewahrt, gleichzeitig wird im Löwen in Messen SO eine zeitgemässe Gastgeber- und Küchenkultur gepflegt. Verantwortlich dafür ist die Familie Graber, die das Haus in siebter Generation führt, sowie ihr Küchenchef Jonas Ingold. Der 27-Jährige ist in der Gegend aufgewachsen: «Gleich dort, hinter dem Wald in Scheunen», sagt er. Den Ort mit damals 70 Einwohnern gibt es nicht mehr, er wurde 2014 zur Gemeinde Jegenstorf fusioniert. Aber der junge Koch ist geprägt von einer Kindheit auf dem Hof der Grosseltern, «wir hatten eigenes Vieh, Obstbäume, und ich war kulinarisch sehr verwöhnt», sagt er rückblickend.

Jonas Ingold, Kuechenchef, Restaurant zum Löwen - Messen - 16. August 2023 - Copyright Olivia Pulver

Historische Gaststube: einer der drei Restaurant-Räume im Löwen.

Jonas Ingold, Kuechenchef, Restaurant zum Löwen - Messen - 16. August 2023 - Copyright Olivia Pulver

«Ich habe hier freie Hand»: Küchenchef Jonas Ingold.

Streetfood in Chile. Die Kombination aus ländlicher Abgeschiedenheit und einem Sinn für guten Geschmack hat in Jonas Ingold den Wunsch geweckt, sich beruflich mit der Küche zu beschäftigen: «Meine Kindheit war wunderschön, aber als Teenager hat es mich weggezogen. Ich dachte, ‹als Koch steht dir die Welt offen›, ich wollte Reisen und Sprachen lernen», sagt er. Als er knapp zwanzig Jahre alt war, hatte Ingold schon rund 23 Länder auf eigene Faust bereist, er hatte in Chile Empanadas als Streetfood verkauft, ging davor aber auch als Au-pair in die Romandie und arbeitete in England oder eine Saison lang in Zermatt.

Jonas Ingold, Kuechenchef, Restaurant zum Löwen - Messen - 16. August 2023 - Copyright Olivia Pulver

Wilde Kräuter und Blumen aus dem eigenen Garten: letzte Feinarbeit beim Anrichten.

Wagyu TatarKalte Kräuter-Kraftbrühe | Eigelbereme | Schlottendl Gartenkräuter Brotchips - Jonas Ingold, Kuechenchef, Restaurant zum Löwen - Messen - 16. August 2023 - Copyright Olivia Pulver

Aus der Region: Wagyu-Tatar, Kräuter-Consommé, Eigelbcreme und Kräuter vom aktuellen Menü.

Probieren und Fehler machen. 2019 nahm Ingold ein Angebot aus der Heimat an: Die Grabers wollten ihr Restaurant modernisieren, und für den jungen Vater kam das genau zur richtigen Zeit: Der Küchenchef hatte in Chile auch seine heutige Frau kennengelernt, das Paar hat zwei Kinder im Alter von drei und sechs Jahren. «Als ich im ‹Löwen› angefangen habe, gab es Cordon-Bleu und vielleicht Entenbrust à l’orange. Aber ich habe freie Hand bekommen und konnte mich ausprobieren. Das erste Experiment war ein Vier-Gang-Menü, das sehr gut ankam. Also haben wir damit weitergemacht», sagt Ingold über seinen Weg vom reisenden Koch zum erfolgreichen Küchenchef mit heute 15 Punkten und einer Handschrift, die sein grosses Talent offensichtlich macht. Er habe viel ausprobiert, dabei Fehler gemacht und nie aufgegeben, so Ingold.

Das ganze Team am Burger essen - Jonas Ingold, Kuechenchef, Restaurant zum Löwen - Messen - 16. August 2023 - Copyright Olivia Pulver

Mitarbeiteressen: Jonas Ingold und «Löwen»-Besitzer Sebastian Graber mit ihrem jungen Team.

Jonas Ingold, Kuechenchef, Restaurant zum Löwen - Messen - 16. August 2023 - Copyright Olivia Pulver

Chef am Grill: Jonas Ingold brät die Burger-Pattys für Mitarbeiter und Lunch-Gäste.

Menü und Klassiker. Denn Ingold ist nie grossen Köchen nachgereist, seine Handschrift hat er weitgehend selbst entwickelt. Er lässt sanft die aromatischen Erfahrungen seiner Wanderjahre einfliessen und mischt dies mit einem ausgeprägten Sinn für Zutaten aus dem Umland und einem Gefühl für die aromatische Balance. «Wir haben uns bewusst für Schweizer Produkte entschieden. Ich liebe zwar Seafood, aber wir haben hier nun mal kein Meer», so der Koch. Ingold ist fest verankert in der Region, und das meint auch, dass im «Löwen» neben dem Tasting-Menü oder gutbürgerlichen Klassikern wie Roastbeef und Wiener Schnitzel ein Mittagsmenü angeboten wird. In der einladenden Beiz trinkt mittags Maler «Fridu» eine Stange an der Bar, und für das Lunch-Menü werden Burger-Pattys auf dem Holzkohlegrill gebraten.

Erst Ragout, dann Pinzette. Kochen, findet Jonas Ingold, sei zuallererst Handwerk. Das bringt er gerne auch jungen Leuten bei. Zu seinem Team gehören drei Auszubildende – in jedem Lehrjahr einer. «Wenn du kein Ragout kochen kannst, musst du auch nicht mit der Pinzette Blüten auf einem Gericht platzieren», erklärt Ingold seine Prioritäten bei der Ausbildung. Ausserdem werde nicht mit Rezepten gekocht: «Eine Karotte schmeckt im Frühling anders als im Herbst. Wenn man sich stur an Vorgaben hält, lernt man nichts und wird dem Produkt auch nicht gerecht», sagt der Küchenchef mit Überzeugung. 

Burger, Stör, Wagyu. Den Balanceakt zwischen Landgasthof und anspruchsvoller Küche meistert Jonas Ingold mit bewundernswerter Sicherheit. Der Burger vom Grill sieht ebenso einladend aus wie sein «momentanes Lieblingsgericht»: Geräucherter Stör aus der Oona-Zucht in Frutigen mit Kaviar, Gurkentatar, fermeniertem Aprikosen-Chutney und Jalapeño-Mayonnaise sowie mit einer Gurkenkaltschale. Ingold steht für eine sorgfältige Küche, die einen mit Harmonie und konsequentem Wohlgeschmack überzeugt. Das Wagyu-Tatar mit Fleisch aus Lobsingen hat genau die richtige Fettstufe, die Zwiebel-Consommé mit Kräuteröl dazu ist ein Beleg für handwerkliche Feinarbeit, die Jonas Ingold so wichtig ist. Seinen publikumsnahen Stil pflegt Ingold bewusst: «Es bringt nichts, etwas zu kochen, für das ich keine Gäste finde», sagt er zum Schluss mit dieser Portion bodenstämmigem Realitätssinn, der ihn ebenso auszeichnet wie die Reiseerfahrungen, welche er ausserhalb von Messen gemacht hat.

>> GaultMillau und American Express scouten junge, begabte Köche, die die Zukunft vor sich haben, für die Liste «Talente 2023». Fortsetzung folgt.

www.loewen-messen.ch