Text: Urs Heller Fotos: Thomas Buchwalder

«Notgänse aus Anjou». Gänse halten sich nicht immer brav an Termine. Eigentlich müssten sie pünktlich zu Martini, also am 11.11., ihr ideales Kampfgewicht von dreieinhalb bis vier Kilo erreichen, um fristgemäss in den Ofen und auf den Festtagstisch zu kommen, doch das war diesmal nicht der Fall. «Die Gänse haben Verspätung», ärgert sich Fredy von Escher, der «artisan en comestibles» und Vogelhändler Nummer 1 der Schweiz. Die Köche wollten trotzdem ein Exemplar. Von Escher lieferte: Nicht wie üblich die Prachtsexemplare «Excellence Miéral» von Jean-Claude Miéral aus der Bresse, sondern Vögel aus Anjou im unteren Teil der Loire. «Notgänse», schnaubt Fredy von Escher, der Qualitätsfanatiker aus Zürich-Wollishofen.

Hugues Blanchard kocht eine Martini-Gans 2020

Hugues Blanchards Gans-Geheimnis: Sieben Stunden im Ofen, alle 20 Minuten arosieren.

Die Supergans von Hugues Blanchard. An grosse Vögel wagen sich (leider) nur noch wenige Köche. Einer von ihnen ist Hugues Blanchard, 16-Punktechef im Grand Casino Luzern (grosses Bild oben). Das elegante Erststock-Restaurant «Olivo» ist sein Revier – und die Martini-Gans sein Signature Dish. Für den erfahrenen Franzosen war die Geschichte mit diesem mächtigen Vogel keine Liebe auf den ersten Biss. Blanchard: «Ich musste auf besonderen Wunsch unseres Verwaltungsratspräsidenten Guido Egli Martini-Gänse braten, aber das war zunächst ein echter Blindflug. Ich hatte keine Ahnung, wie lange und bei welcher Hitze der grosse Vogel im Ofen sein muss, damit Brust und Schenkel saftig, knusprig und perfekt auf den Tisch kommen. Ich begann mit drei Stunden, aber das war offensichtlich zu wenig.»

 

Den Gänse-Code geknackt. Mit der Zeit hat Blanchard den Code geknackt. Er weiss: 1. Gänse immer bei von Escher bestellen, der hat die besten Exemplare.  2. Gänse für sieben (!) Stunden bei 120 Grad in den Ofen schieben. 3. Alle 20 Minuten sorgfältig arosieren! Fett ist die Gans nur bei der Anlieferung. Im Teller wirkt der Vogel erstaunlich leicht, und der tiefe Jus dazu ist wie von einem anderen Stern. «Ich bin immer noch ein wenig nervös, wenn ich Gans auf die Menükarte schreibe», gesteht der Chef. Müsste er eigentlich nicht sein: Gans by Blanchard ist eine Supergans.

Hugues Blanchard kocht eine Martini-Gans 2020

Es ist angerichtet: Hugues Blanchards Gans, Paradegericht im Casino Luzern (Restaurant Olivo).

Bei Giovannini und Speth. Hugues Blanchard ist ein sehr erfahrener Chef und sein Restaurant Olivo der kulinarische Hotspot der Stadt. Top-Gericht auf der Herbstkarte: Hausgemachte Pappardelle, mit perfekt gebratenem Hummer und einer verführerischen, leichten Bergamotte-Sauce! Der Chef denkt nicht daran, sich auf den Lorbeeren auszuruhen. Vor kurzem war Gstaads Ikone Robert Speth für eine Woche bei ihm als Coach und Kollege in der Küche, bei Franck Giovannini in Crissier buchte Blanchard einen zweitägigen Kurs: Das war ein fantastisches Erlebnis. Unglaublich auch, wie elegant Francks Köche die einzelnen Teller anrichten.» Und: In Crissier gibt es täglich grosses Geflügel. Eine Tradition des Hauses.

«Zu anstrengend für junge Köche.» «Artisan en comestibles» Fredy von Escher macht sich Sorgen: «Immer weniger Chefs haben Lust und das Talent, «la volaille entière», also im Ganzen zuzubereiten. Für junge Köche ist das offenbar zu anstrengend. Sie bereiten ihre Gerichte lieber sous-vide zu.» Der Kundenkreis wird kleiner. Von Escher: «Stefan Heilemann ist heute der Vorreiter, auch Kuchler junior bestellt immer wieder grosse Vögel. Allerdings etwas weniger als sein Vater Wolfgang.» Einen kleinen «Röstigraben» gibt es übrigens auch hier, bei Enten und bei den Fasanen: «Die Romands bevorzugen weibliche Tiere, die Deutschschweizer Männchen», beobachtet der Vogelhändler aus Wollishofen.

 

>> www.grandcasinoluzern.ch

www.alfredvonescher.ch