Text: David Schnapp Fotos: Joan Minder

ERSTE STATION: PARPAN. Nicht alles war früher besser. Aber dass im alten Haus von Jörg Brügger in Parpan die Zeit stehen geblieben ist, zeugt von höchstem Qualitätsbewusstsein. Seit 1892 wird hier Fleisch getrocknet. Jörg Brügger macht das noch immer so wie sein Vater und Grossvater davor. Aus Brüggers Bünderfleisch wird dann in der Küche des Restaurants Scalottas Terroir von Hansjörg Ladurner im «Schweizerhof» Lenzerheide ein Tatar. Schon so manche Spezialitäten haben die beiden gemeinsam über Jahre erarbeitet: den sorgsam gereiften Rohschinken vom Turopolje-Schwein etwa, der keinen Vergleich mit spanischem Jamón ibérico zu fürchten braucht.

 

MÄNNER VOM BERG. Ladurner, aufgewachsen bei Meran im Südtirol, und Brügger, der sein Leben mit einer unglaublichen Hingabe dem Handwerk des Fleischtrocknens gewidmet hat, sind Männer vom Berg. Dass sie seit 20 Jahren befreundet sind, hat aber nicht nur mit ihrer Herkunft zu tun, sondern auch mit der geteilten Leidenschaft für ihr Handwerk und vielleicht auch etwas mit ihrem Verhältnis zum Faktor Zeit. «Lass ihm Zeit, lass es hängen», sagt Ladurner beim Anblick eines Beinschinkens, der schon rund 18 Monate in Brüggers Haus in aller Ruhe und Stille reift. An sein Fleisch kommen nur Salz, Kräuter und Salpeter – aber kein Traubenzucker, der es schneller trocknen lassen würde. Wenn es im der Strasse zugewandten Teil des Hauses zu warm wird, hängt Jörg Brügger seine Schinken, sein Bündnerfleisch oder seine Salsiz um. Sie kommen dann in den hinteren Teil des Gebäudes, wo ein Bach und der Wald als natürliche Klimaanlage dienen. Je nach Föhn- oder Bise-Aufkommen öffnet und schliesst der Fleischtrockner jene oder diese Fenster, um die Raumtemperatur und -feuchtigkeit mit Durchzug zu regeln.

Jörg Brügger Parpan

Männerfreunde: Fleischtrockner Jörg Brügger.

Martin «Floh» Bienert

Käser Martin «Floh» Bienert in Andeer.

Hansjörg Ladurner Huhn

Hansjörg Ladruner mit einem Schweizer Huhn.

ZWEITE STATION: LAIN. Auf dem Weg von Parpan zu seinem kleinen Stück Garten- und Ackerbau sagt 15-Punkte-Chef Ladurner, 48, viele Köche hätten den Faktor Zeit aus den Augen verloren. Dass man abends den Gemüsehändler anrufen könne und am nächsten Morgen noch vor Arbeitsbeginn eine Kiste Artischocken geliefert bekomme, sei gegen jedes Gesetz der Natur: «Wenn ich im Herbst Süsskartoffeln servieren will, muss ich im Januar meinem Bauern Bescheid geben, damit er Zeit hat, etwas zu pflanzen.»

 

ROGGEN AUF 1300 METER. Oder Ladurner macht es gleich selbst. Auf seinem sechs Aren grossen Feld wächst auf rund 1300 m ü. M. auf der einen Seite Roggen, auf der andern ziehen der Koch und sein Sous-Chef René Bissig alte Kartoffelsorten und Ackerbohnen. Im März machen sich die beiden Männer, die seit 17 Jahren zusammen in der Küche stehen, jeweils daran, mit Pferd und Pflug Furchen in den Acker zu ziehen und die Saat auszubringen. Unterstützt werden sie von den Bio-Bauern Marcel Heinrich, Bruno Hassler und Andrea Parpan. 600 Kilogramm Kartoffeln gab der alpine Garten Eden im vergangenen Jahr her.

Feld Muldain Hansjörg Ladurner

Feldarbeit mit Aussicht: Hansjörg Ladurner und Sous-Chef René Bissig in ihrem Garten in Lain. 

DRITTE STATION: MULDAIN. Das Schlagwort «Eier von glücklichen Hühnern» kommt einem unweigerlich in den Sinn, wenn man Hansjörg Ladurnerbeobachtet, wie er Huhn Lisi sanft, aber bestimmt in den Arm nimmt. Lisi ist eines von rund einem Dutzend Tieren der Sorte «Schweizer Huhn», die im alten Viehstall von Petra Hartmann in Muldain ein Leben führen, wie es die Natur vorgesehen hat. Die Eier seiner glücklichen Hühner serviert Hansjörg Ladurner später, sanft gegart, auf einem Bett aus Spinat und wild wachsendem Gutem Heinrich sowie einem Maisschaum mit- feinem Popcorn-Aroma. Aber der Koch will nicht nur das Ei, sondern das ganze Huhn: «Bei mir gibt es praktisch keinen Food-Waste.» Er sehe nicht ein, warum Hühner zur Brennstoffgewinnung in einer Biogas-Anlage verwertet werden sollen. Stattdessen kocht er Suppenhühner stundenlang zart und macht daraus «Pulled Chicken» oder Pot au Feu.

Spargel und Geissfrischkäse Hansjörg Ladruner

Spargel mit Geisskäse und Rhabarber aus dem Garten.

Yak Bohnen Maluns

Yak-Ragout und -Entrecote mit Maluns und Bohnen.

Ei mit Spinat Hansjörg Ladurner

Ei mit Mais-Espuma, Spinat und Gutem Heinrich.

VIERTE STATION: SUFERS. «Einen guten Koch erkennt man an seinen Fonds», sagt Hansjörg Ladurner. Das Zubereiten von Saucen oder das langsame Schmoren von Fleischstücken, die etwas mehr Zeit und Aufmerksamkeit brauchen als Filet und Entrecôte, hat er in seiner Heimat Südtirol und später im Engadin oder im «Bellevue Palace» in Bern gelernt. «Alles andere habe ich mir selber beigebracht», erzählt der sympathische Wahlbündner. Auch manches, was die eindrucksvolle Natur seiner neuen Heimat hergibt, hat Ladurner in all den Jahren, in denen er sein Konzept einer «undogmatischen Terroirküche» entwickelt hat, selbst entdeckt. Dass das Fleisch der zotteligen, ursprünglich asiatischen Yaks mit ihrem im Vergleich zu einheimischen Rindern höheren Hämoglobinanteil im Blut ein interessantes Geschmacksbild gibt: Durch den höheren Eisengehalt schmeckt es wie eine Mischung aus Rind und Hirsch. Beim jungen Züchter Urs Heinz in Sufers wählt Hansjörg Ladurner jeweils ein neu geborenes Kalb aus und wartet dann, bis es geschlachtet werden kann. Auch auf seinen letzten Gang begleitet der Koch das Tier, «das gebietet allein schon der Respekt vor dem Tier».

Yak Herde in Sufers

Jedes Jahr ein Rind: Hansjörg Ladurner bei der Yak-Herde in Sufers.

FÜNFTE STATION: ANDEER. Seine in der umliegenden Natur verwurzelte Küche ist für Hansjörg Ladurner zwar eine Frage des Herzens und ethischer Überzeugungen, aber der Aufwand, die Zeit haben einen Preis. «Wir arbeiten verlustfrei – aber ohne einen Hotelier, der dahintersteht, wäre es unmöglich», gibt Ladurner zu. Seit 14 Jahren arbeitet der Küchenchef im Haus der Hoteliers Andreas und Claudia Züllig. Das Ehepaar hat früh erkannt, dass «Made in Switzerland» ein Erfolgskonzept sein kann.

 

DIE RICHTIGEN LEUTE. Als Grundlage nicht wegzudenken aus Ladurners Küche sind die Produkte der Sennerei in Andeer. Martin «Floh» Bienert und seine Frau, die Käserin Maria Meyer, haben sich weitherum einen Ruf als Qualitätsfanatiker erarbeitet, wenn es darum geht, Milch in Form von Käse haltbar zu machen. Butter, Quark, aber auch mal eine Sonderbestellung wie der Mascarpone auf Doppelrahmstufe, den sich Ladurner für ein Gericht gewünscht hatte, kommen aus der kleinen Dorfkäserei. «Die richtigen Leute kommen eben zusammen», sagt Käser Bienert. Und das gilt grundsätzlich für das Leben und Arbeiten des Kochs Hansjörg Ladurner.

 

NEU: DIE SPEISEKAMMER. In seinem 15-Punkte-Restaurant Scalottas Terroir konzentriert sich Ladurner ganz auf regionale Spitzenküche. Für den Winter wird das Konzept erneuert. Aus dem bisherigen Zweitkonzept mit Fondue- und Steak-Karte wird neu die «Spensa» (Speisekammer): Im begehbaren, gläsernen Kühlschrank lagern die Käse- und Fleischspezialitäten, aus denen die Gäste auswählen können. Dazu gibt es hausgemachtes Holzofenbrot, Bündner Weine und eingemachte Köstlichkeiten.