Text: Daniel Böniger

Kurzurlaub, quasi Halbtax. 12.39 Uhr, bestes Wetter am Genfersee. Auf dem Teller liegt fangfrischer Felchen, beträufelt mit einer schaumigen Kaffirlimetten-Tagetes-Mayo. Mittendrin ein grünes «Praliné» mit Saibling-Flusskrebsfüllung, gewürzt mit einem Hauch Koriander, eingewickelt in ein Kapuzinerkresseblatt. Dekoriert ist das Gericht mit zweifarbigen Zucchettistreifen… Schnell merkt man, was die Köche bei «Anne-Sophie Pic» im Lausanner Beau-Rivage so drauf haben. Und das Beste daran: Man bezahlt für den rund 90-minütigen, mehrgängigen Kurzurlaub im 18-Punkte-Restaurant faire 160 Franken, also etwa halb so viel wie beim Aufenthalt abends! (Grosses Bild oben: Besagter Fischgang aus Anne Sophie Pics Mittagsmenü.)

Austesten zwischen Zwölf und Zwei. Zahlreiche Starchefs im ganzen Land servieren mittags eine «Light-Version» ihres Abendessens. «Light» heisst in diesem Falle aber keineswegs «dünn» - denn manche Angebote bieten sich geradezu an, den Stil einer Köchin oder eines Kochs auszutesten: Im The Restaurant im Dolder Grand in Zürich etwa zeigt 19-Punkter Heiko Nieder immer am Donnerstag und am Freitag zwischen zwölf und zwei Uhr mit seinem Amuse-bouche-Menu, wie er tickt: «Wir servieren ungefähr 30 Gerichte in kleineren Portionen, es ist eine Art gehobene Tapas-Bar im Sitzen», sagt er dazu. «Der Spassfaktor ist ausserordentlich hoch. Und für uns auch beste Werbung für den Abend.»

Es geht aber noch schneller... Eine Begegnung mit dem hauseigenen Kochstil in gerade mal 90 Minuten (!) versprechen gleich zwei 18-Punkte-Chefs: Es ist dies einerseits Stefan Heilemann, der sein Restaurant Widder in Zürich jeweils am Donnerstag und am Freitag über Mittag öffnet; geboten werden in dieser Zeit pro Person dreimal zwei Gänge. Ein empfehlenswertes mittägliches Speeddating-Menü hat auch Stephane Décotterd in Glion, oberhalb von Montreux. Mehr darüber lesen Sie hier. 

 

Berlingots Anne Sophie Pic

Gefüllt mit zweierlei Käse: Die «Berlingots» von Anne Sophie Pic.

Anne-Sophie Pic, Portraits, One&Only Le Saint GeIran, Mauritius

Zeigt auch mittags, was ihr Team leisten kann: Anne Sophie Pic.

Anne Sophie Pic Dessert

So schön kann ein Mittagessen enden: Dessert mit Safran.

Für en tüüfe, gsunde Schlaf… Typisch bei Anne-Sophie Pic: die tetraeder-förmigen Ravioli «Les Berlingots», die gleich nach den Snacks und dem Gruss aus der Küche aufgefahren werden. In Lausanne sind sie gefüllt mit geschmolzenen «Moitie-moitie-Käsen» Vacherin Fribourgeois und Gruyère. Klingt deftig, ist es aber nicht: Dank wächsern gekochten Erbsen, einem Jus aus den Schoten und grünen Zebratomaten zeigt die Kreation viel Frische; dank Tonkabohne und Kurkuma nicht zuletzt Finesse… Und damit sind wir bei einem weiteren Punkt, der ganz klar für einen Besuch bei den Starchefs über Mittag spricht: Es bleiben nach dem Restaurantbesuch noch mehrere Stunden, bis man sich zur Ruhe legt. Der selige Schlaf ist also kaum gefährdet… Und: Manche Köche kochen mittags besonders leicht. Etwa 18-Punktekoch Rico Zandonella in Küsnacht, der beispielsweise seine Version eines Vitello tonnato, ein offenes Raviolo mit Lachs und Zucchini und schliesslich Beeren mit Vanilleglace und Champagner-Espuma auf die Karte setzt. Wohlgemerkt, die drei Gänge kosten unter 70 Franken.

Zig weitere Gründe für den besseren Mittagstisch. Die Liste mit Gründen, die für ein Essen bei Starchefs über Mittag sprechen, lässt sich weiter verlängern: Weil vielerorts weniger Tische gebucht werden, das Team aber trotzdem vollständig präsent ist, wird man mit höchstmöglicher Aufmerksamkeit umsorgt. Die (unvermeidlichen) Handyfotos der einzelnen Gerichte werden wegen des Tageslichts in aller Regel besser. Weil man gut noch heimreisen kann, spart man sich die Übernachtung im Hotel.  Und fragen Sie Weininteressierte: Der menschliche Gaumen ist über Mittag sensorisch um Längen aufmerksamer - und damit dürfte auch das Esserlebnis grösser sein. 

Davidoff 10' präsentiert von Sam Reuter, mit Heiko Nieder 2023

Heiko Nieder bietet mittags eine «Tapas-Bar zum Sitzen» an.

Team Tanja Grandits at work. - Story: Tanja Grandits, GaultMillau Schweiz, Köchin des Jahres, 19 Punkte, Restaurant Stucki, Basel 2019 - © Lucia Hunziker

Tanja Grandits: Lockt im Sommer mit Terrasse ins Restaurant Stucki in Basel.

Jeremy Desbraux (Koch, Kuechenchef) - Georges Wenger - Le Noirmont, 27.8.2018 - HO

Auch Jérémy Desbraux hat im Jura einen speziellen Mittagsmehrgänger.

Bloss kein schlechtes Gewissen! Ja, sei es nun bei Tanja Grandits in Basel, deren Terrasse sich für den kleinen Break mitten im Tag geradezu anbietet. Sei es im «Maison Wenger» in Le Noiremont, wo das «Discovery Menu» von Jérémy Desbraux nur mittags erhältlich ist - gönnen Sie sich ruhig mal einen solchen Mittagstisch! Zurück nach Lausanne: Das Dessert bei «ASP»? Ein Tartelettes mit Mandelcreme, süssem Pfirsich und luftigem Safranschaum, dann noch Friandises... Kein Wunder, verschwindet das schlechte Gewissen bald wieder, dass Freunde und Bekannte zur gleichen Zeit irgendwo in einer Betriebskantine ein schlichtes Menü 1 verputzt haben! 

 

Fotos: Regis Colombo, HO, Thomas Buchwalder, Lucia Hunziker.