Fotos: Olivia Pulver

David Frei, ganz direkt gefragt, braucht St. Moritz überhaupt ein neues Fünf-Sterne-Hotel?
Das werde ich oft gefragt, und ich sage ganz klar: ja! Wir sind kein neues «Palace» oder «Kulm» oder «Suvretta House», sondern wir schliessen eine Lücke. Es gibt tolle etablierte Fünf- und Vier-Sterne-Häuser in St. Moritz, aber nichts dazwischen. Mit unseren überschaubaren 74 Zimmern und einem Ganzjahres-Betrieb bieten wir etwas Neues, und das hat sich seit der Eröffnung im August 2023 bereits ausbezahlt. Wir können beispielsweise als neues Hotel viel besser mit den Raten spielen.

Was bedeutet das?
Wir bieten zwar keine Dumping-Raten an, können aber durch die flexible Preisgestaltung neue Gäste für St. Moritz begeistern. 80 Prozent bei uns sind beispielsweise zum ersten Mal als Besucher hier im Ort. Und wir bieten neben den Zimmern im komplett renovierten Jugendstilbau auch Zimmer im Neubau an, welche mit den raumhohen Fenstern und Seeblick etwas bieten, was es sonst nicht gibt.

The Grace Eingang

Ein Boutique-Hotel für St. Moritz: der untere Eingang zum «Grace».

Executive Committee - Grace St. Moritz - Copyright Olivia Pulver - 12/2023

«Etwas, was es sonst nicht gibt»: General Manager David Frei.

The View Restaurant

«Tranparentes Haus»: Tisch im Restaurant The View mit Seeblick.

Das «Grace La Margna» hat lange gebraucht, bis es fertig war. Wie haben Sie die Entstehung erlebt?
Man muss wissen, dass das Haus längere Zeit eine Bauruine war, bevor der neue Eigentürmer übernommen und sofort mit dem Bau begonnen hat. Ab 2020 ging es dann gut voran, auch wenn der ursprüngliche Plan, schon 2022 zu eröffnen, leider utopisch war. Wir hatten auf der Baustelle viele Herausforderungen, aber das war noch überschaubar im Vergleich, was ich von anderen Bauprojekten höre.

Wie wurde die Zeit bis zur tatsächlichen Eröffnung überbrückt?
Wir hatten schon viele Mitarbeiter rekrutiert, die dann ein halbes Jahr lang auf der Lohnliste standen und hier in der Zwischenzeit intensiv mitgearbeitet haben – es wurde überall angepackt und entsprechend sehen die Leute dieses Hotel heute als ihr Baby an und sind hochmotiviert.

Was unterscheidet das Hotel von den Häusern im Ort, die auf eine lange Geschichte zurückblicken können?
Unser Personal ist jung und kommt locker daher. Wir haben keine Stammgäste, die seit Generationen zu uns kommen, sondern ein jüngeres Publikum mit entsprechender Einstellung. Deshalb können wir auch Vieles neu machen. Das Wichtigste dabei ist, dass es uns gelingt, einen speziellen «Vibe» zu erzeugen.

Die Lage des Hotels oberhalb des Bahnhofs in einer Serpentine der Via Serlas ist sehr speziell. Können Sie dies zu Ihrem Vorteil nutzen?
Wenn man vorbeifährt, sieht man von unten, in der Kurve und von oben einmal das ganze Haus inklusive Restaurant. Es ist auffällig, wie viele ganz langsam am Hotel vorbeifahren und hineinschauen. Und gerade in der Zwischensaison, wenn die anderen Hotels geschlossen sind, kann man bei uns trotzdem etwas essen. Wir wollen ein offenes transparentes Hotel sein. Wir wollen keine Schwellenangst erzeugen und auch die lokale Bevölkerung soll uns mögen.

Grace Zimmer

80 Prozent Gäste, die erstmals nach St. Moritz reisen. Zimmer im historischen Teil des Hotels.

Wie ist es für einen Hotelier, etwas ganz Neues beginnen zu können?
Für mich war das eine einmalige Chance. Als mit dem Bau begonnen wurde, hatte man noch kein fertiges Konzept. Zuerst war ein Vier-Sterne-Hotel angedacht, dann hat man das erweitert, und ich hatte mit meinem Team unglaubliche Freiheiten und einen grossen Vertrauensvorschuss der Eigentümer. Welche Untersetzer für Gläser oder welche Vasen etwa angeschafft werden sollten – wir konnten jedes Detail entscheiden. Die Wünsche der Besitzer waren recht bescheiden, es sollte zum Beispiel im Restaurant eine Pizza Diavola geben.

Und die gibt es jetzt?
Die gibt es, und sie ist wirklich super. Auch wenn unser Restaurant The View keine Pizzeria ist. 

Gute Gastronomie ist in St. Moritz zu einem wichtigen Unterscheidungsmerkmal geworden, internationale Spitzenköche betreiben hier Restaurants oder kommen für Pop-ups ins Dorf, einheimische Starchefs leisten exzellente Arbeit. Welche Pläne haben Sie?
St. Moritz ist tatsächlich eine Food-Destination geworden, das ist schon auffällig. Im «The View» bieten wir eine Art Reise ums Mittelmeer im Sharing-Style an. Unsere Küchencrew unter der Leitung von Executive Chef Andrea Bonini bringt die verschiedensten Einflüsse der Region auf den Teller, macht aber keine italienische Küche, denn die gibt es im Ort schon zur Genüge. Wir setzen auf gute frische Produkte, die hochwertig zubereitet werden. Neben «The View» sind wir auch stolz auf «The Stack», das ist unsere Brasserie, die erst im Dezember 2023 gestartet ist, aber noch etwas Zeit braucht, um sich zu etablieren.

Was kommt bei den Gästen an?
Klassisches Fine Dining ist nach meiner Erfahrung nicht mehr so gefragt, und es ist ausserdem schwierig, damit Geld zu verdienen. Was gut funktioniert, sind lockere Konzepte und Casual Fine Dining. Ich habe grossen Respekt vor Konzepten wie «IGNIV by Andreas Caminada», welche die beiden Welten zusammenbringen. 

Eben fand zum 30. Mal das St. Moritz Gourmet Festival statt: Gibt es Überlegungen, das «Grace» in den Anlass zu integrieren?
Die gibt es tatsächlich, wir sind mit den Organisatoren im Gespräch und wollen uns wenn möglich in die höheren kulinarischen Kreise vortasten (lacht). Das Gourmet Festival ist einer der wichtigen Events in St. Moritz, dadurch kommen viele tolle Gäste und natürlich hervorragende Köche ins Engadin.

Food The View - Grace St. Moritz - Copyright Olivia Pulver - 12/2023

Mittelmeer als Thema: Wolfsbarsch mit Fenchel, Miesmuscheln und Safran im «The View».

Executive Committee - Grace St. Moritz - Copyright Olivia Pulver - 12/2023

Verantwortlich für die Küche des Hauses: Executive Chef Andrea Bonini.

Food The View - Grace St. Moritz - Copyright Olivia Pulver - 12/2023

Auch fleischlos wird man glücklich: Lauch mit veganer Beurre Blanc.

 

Welches ist als Hoteldirektor Ihre grösste Herausforderung, macht Ihnen etwa die Personalsuche Sorgen?
Die Personalsuche ist für uns tatsächlich kein Problem. Wir geben jungen Leuten die Chance, den nächsten Schritt zu machen. Das Durchschnittsalter im Team beträgt lediglich 28 Jahre. Die Erfahrung ist da naturgemäss nicht so gross, dafür ist die Motivation enorm hoch. Fähigkeiten kann man antrainieren, deshalb suchen wir nach Persönlichkeiten. Man sollte auch nicht immer den Fachkräftemangel thematisieren, das wirkt auf viele Kandidaten nämlich eher abschreckend.

Was ist denn stattdessen Ihre wichtigste Aufgabe? 
Das Haus als Ganzjahresdestination zu etablieren, ist unser wichtigstes Ziel. St. Moritz will auch gesamthaft in diese Richtung gehen, und ohne die Unterstützung des Ortes, wäre das für uns nicht zu schaffen. Immer mehr Boutiquen beispielsweise haben zwischenzeitlich ihre Öffnungszeiten ausgedehnt. 

 

>> David Frei (38) ist seit Oktober 2021 Managing Director des neu eröffneten Fünf-Sterne-Hotels Grace La Margna in St. Moritz. Der Aargauer ist Absolvent der renommierten EHL in Lausanne und war zuletzt unter andrem Chef Concierge im Tschuggen Grand Hotel in Arosa oder Front Office Manager im Grand Resort Bad Ragaz.