Text: David Schnapp | Fotos: Joan Minder

Zwei Köche im Kunsthaus. im Eingangsbereich des Zürcher Kunsthaus-Neubaus von David Chipperfield treffen sich an diesem Freitagmorgen erste vereinzelte Besucher und einige kleinere Gruppen – sowie ein sympathisches, ungleiches Paar, das ganz in der Nähe wohnt: Sie im eleganten schwarzen Outfit, er im dunklen Anzug, mit weissem Hemd und einer feinen Lederkordel der italienischen Modemarke Prada um den Hals. Elif Oskan und Markus Stöckle, sie gelernte Köchin und Patissière, er gelernter Koch, führen insgesamt drei Restaurants in Zürich und sind regelmässige Kunsthaus-Besucher. «Das tut einfach den Augen so gut», sagt Stöckle.

Elif & Markus als Installation. Kurze Zeit später liegen die beiden selbst wie lebende Kunstgegenstände nebeneinander auf der ausladenden Marmortreppe, die nach oben in die eigentlichen Ausstellungssäle führt. Das augenzwinkernde Posing lässt für einen Moment die Grenzen zwischen Besuchern und Kunst verschwimmen. Elif und Markus sind für eine Hundertstelsekunde eine Installation. Und ohne den Vergleich zu sehr strapazieren zu wollen: Auch das Selbstverständnis, wie die beiden Gastronomie betreiben, ist letztlich eine Form kulinarischer Performance Art. Hier, auf der Marmortreppe, treffen sich die verschiedenen Kunstformen ziemlich bildhaft. Elif Oskan, 33, und Markus Stöckle, 35, sind gewissermassen das Traumpaar der jungen Zürcher Gastronomieszene, haben völlig unterschiedliche kulturelle und geografische Hintergründe, kochen in komplett gegensätzlichen Stilen und ergänzen sich vielleicht gerade deshalb so perfekt wie Fleisch und Sauce, wie Leinwand und Farbe.

Hummerschnitzel Rosi

Bayrisch für Fortgeschrittene: Hummerschnitzel mit flüssigem Kern im «Rosi».

Elif und Markus Kunsthaus Bar

Gemeinsame Wohnung, aber getrennte Restaurants: Elif und Markus in der Kronenhalle Bar.

Baklava Gül

Türkisch für die Seele: Elif Oskan bäckt das wohl beste Baklava der Stadt Zürich.

Gute Seele im «Gül». Elifs Eltern kommen als Flüchtlinge in den 1980er-Jahren nach Zürich. Der Vater war in der alten Heimat Türkei als Fuhrhalter tätig, später arbeiten die Eltern als Reinigungskräfte und führen einen kleinen Lebensmittelladen. Heute trifft man Vater «Baba» Oskan immer im «Gül», im Restaurant seiner Tochter, wo er Gäste begrüsst, Chai ausschenkt und als die sprichwörtliche gute Seele des Lokals fester Bestandteil von dessen unwiderstehlichem Charme ist.

Kreative Freiheit. Wer sich mit Elif Oskan länger unterhält, trifft auf eine lebensbejahende junge Frau, die sich einen unbeschwert positiven Zugang zu den Herausforderungen des persönlichen und beruflichen Alltags verschafft hat, der es ihr ermöglicht, Dinge auf eine Art zu sehen, an die man selbst noch nicht gedacht hätte. «Kunst», sagt sie etwa unvermittelt, «muss ich gar nicht verstehen. Weil das Gefühl, das ich beim Betrachten eines Bildes habe, schliesslich frei ist. Es ist mein Gefühl.» So unterschiedlich Elif Oskan und Markus Stöckle im Einzelnen sein mögen, in dieser Denkschule der kreativen Freiheit treffen sie sich unmittelbar.

Bauernhof im Allgäu. Markus Stöckle wächst als einer von vier Brüdern auf einem Bauernhof in Bayern auf. Dass man Selbstbestätigung über die Arbeit an einem gemeinsamen Ganzen erlangt, ist für ihn früh schon selbstverständlich. Zum ersten Mal begegnen sich die beiden allerdings in Bray, einem ländlichen Vorort von London, als sie im «Fat Duck», im weltberühmten Drei-Sterne-Restaurant des britischen Autodidakten und Ausnahmekochs Heston Blumenthal, arbeiten. «Im Schokoladenraum haben wir uns kennengelernt», sagt Stöckle. «Ich dachte, Markus sei viel älter», sagt Elif lachend.

Markus und Team im Rosi

Ein bisschen schräg und ziemlich unkonventionell: Markus Stöckle mit seinem Team im «Rosi».

Grosser Fragender. England ist aber nicht nur der Ort, wo die Liebe offensichtlich hinfällt. Die konzentriert kreative Atmosphäre prägt die beiden. «Welcome Questioner», willkommen Fragender, steht heute noch zuvorderst im Menü-Booklet des «Fat Duck», und das sagt fast alles darüber aus, wie Heston Blumenthal als grosser Fragender mental durch die Welt der Küche reist – und wie heute auch Elif und Markus versuchen, mit Neugierde und unkonventionellen Ansätzen ihre Idee von zeitgemässer Gastronomie zu realisieren.

Menü wie eine Achterbahnfahrt. In seinem holzgetäferten Quartierrestaurant Rosi bedient sich Stöckle historischer Gerichte oder bäuerlicher Traditionen und schafft daraus etwas, was er selber ganz bescheiden «Wirtshausküche» nennt. Was aber natürlich eine hintersinnige Untertreibung ist. Vielmehr wird im «Rosi» eine der kreativsten Küchen in Zürich serviert, der Aufwand für manche Saucen ist unglaublich gross, die technischen Finessen bewegen sich auf einem faszinierenden Niveau. Wie eine geschmackliche und emotionale Achterbahnfahrt führt einen das Menü von selbstgezüchteten Camembert-Bakterien zu fluoreszierenden Pilz-Flans oder zu einem Hummerschnitzel mit Salat, für dessen Sauerrahmdressing 40 verschiedene Zutaten verwendet werden. Dabei ist Stöckle mal Koch, mal Gaukler, verteilt mit Schnaps beträufelte Heliumballone und freut sich, wenn elegante Damen vom Zürichberg das Gas einatmen und sich dann fröhlich mit Donald-Duck-Stimmen unterhalten.

Schwammerl Sulz Rosi

«Typisch Markus»: Fluoreszierende Pfifferlings-Sulz mit Trüffel und Dashi im «Rosi».

Elif und Markus Gül

Gastronomie als Performance-Kunst: Elif Oskan und Markus Stöckle hinter dem Vorhang im «Gül».

Iskender Kebap Gül

«Markus' Lieblingsgericht»: Kebab nach Iskender-Art mit fermentierten Tomaten und Poulet.

Türkischer «Soulfood». Im deutlich grösseren «Gül», das mit dem «Gül Express» beim Hauptbahnhof einen kleinen Imbiss-Ableger hat, gestaltet Elif Oskan mit einem hohen Frauenanteil im Team eine ganz andere, aber ebenso einladende wohnliche Atmosphäre der Gastfreundschaft. Hier beginnt alles mit dem Team: «Ich würde nie jemanden engagieren, den ich nicht auch meinen Eltern vorstellen könnte», sagt sie. Im «Gül» wird eine mit den Mitteln der hochstehenden Küche verfeinerte Variante türkischen «Soulfoods» serviert. Letztlich ursprüngliche, oft rustikale Gerichte, die aber unter Elif Oskans Einfluss raffiniert und fein balanciert erscheinen. Etwa die Interpretation des Iskender Kebaps mit grilliertem Pouletschenkel, Sauce von fermentierten Tomaten, Dickrahmjoghurt, Gewürz-Brot-Crunch und Paprikabutter. «Das ist Markus’ Lieblingsgericht», sagt Elif Oskan. Es habe deshalb einen besonderen Platz auf dem Menü.

Team Gül

Frauen prägen die Küche: Elif Oskan mit einem Teil ihres Team im «Gül».

Keine unangenehmen Themen. Das Gastronomenpaar teilt zwar viel, aber gerade weil die Arbeit viel Raum einnehme, müsse sie räumlich getrennt werden, sagt Elif Oskan. Anders als die meisten Gastronomenpaare leben die beiden zwar zusammen, arbeiten aber getrennt. Und unangenehme Arbeitsthemen werden zu Hause weggelassen. «Manchmal muss man sich halt auf die Lippen beissen», sagt sie. Schliesslich wollen sie sicherstellen, dass es mit unkonventionellen Ideen weitergeht. Laut Markus Stöckle geht es in der Kreativität darum, «gegen die Wand zu laufen, damit ein Loch entsteht und man dahinter eine neue Sphäre betreten kann». Ein schöner Ansatz – in der Küche ebenso wie für die Liebe.