Text: Urs Heller

Atemlos durch die Nacht. Da haben sich zwei gefunden: Benoît Carcenat, Meilleur Ouvrier de France 2015 («MOF»), gestählt in der Weltklasseküche von Crissier. Und Gastgeber Mathieu Quetglas, GaultMillaus «Sommelier des Jahres 2022». Gemeinsam rocken sie ein kleines, feines Boutiquehotel beim Bahnhof von Rougemont VD. Gemeinsam sorgen sie für eine der spannendsten Küchen im Land. Reaktion der (auffallend jungen) Gäste: Sie sind begeistert. Und auch ein wenig atemlos. Die kleinen kulinarischen Bomben werden vor allem zu Beginn des Menüs in scharfem Tempo gezündet.

Restaurant Valrose in Rougement Aussenansicht VD 2022

Aussteigen, schlemmen: Im «Valrose» beim Bahnhof Rougemont VD kocht 17-Punktechef Benoît Carcenat.

Mini-Millefeuille & Fonduetörtchen. Die Karawane der Amuse-bouches ist Blickfang und Versprechen zugleich: Benoît Carcenat setzt auf die besten Produkte des Pays-d’Enhaut und des Saanenlands, aber er führt sie auf ein neues Level. Best of? Ein Millefeuille aus mikroskopisch dünnen Schichten von Trockenfleisch aus Intyamont und Käse aus Les Forts. Das ist erstklassige Pinzettenarbeit, aber die macht Sinn: Der Goût der Region, genial eingefangen. Forelle aus Neirivue in Graved Lachs mit Kumquats und Meerrettich aus Chateau d’Oex und ein Fonduetörtchen mit Williamsbirne und Périgord-Trüffel runden das begeisternde Starter-Kit ab.

Amuse-bouches Rande Saibling Restaurant Valrose in Rougement VD 2022

Pinzetten-Arbeit beim Amuse-bouche: Rande und Saibling.

Vorspeise mit Kaviar Restaurant Valrose in Rougement VD 2022

Drei Nocken zum Start: Kaviar, Sauerrahm, Quinoa.

Dessert Lychi mit Champagner-Glace Restaurant Valrose in Rougement VD 2022

Auch der Patissier hat Klasse: Litchi mit Champagner-Glace.

Die Magie der Zwiebel. Geht noch mehr? Klar doch. Chef Carcenat serviert eine verblüffende Zwiebelbouillon («Gratinée à l’oignon»), an der er mehrere Tage arbeitet: «Ich versuche, dieses traditionelle Bauerngericht neu zu interpretieren und in die Gourmetküche zu transportieren. Mit den gleichen Zutaten, aber mit moderner Technik.» Konkret: Eine ganz «normale» Zwiebelsuppe wird mit riesigem Aufwand geklärt und konzentriert (Carcenat: «Cryo-Konzentration»). Für den typischen Gratin-Geschmack stellt die Brigade ein ÖI aus verbranntem Käse her. Auf einem dehydrierten Zwiebelchip wird eine cremige Masse aus Etivaz serviert. Alles klar? Wunderbar!

Coquilles St. Jacques im Teig Restaurant Valrose in Rougement VD 2022

Jakobsmuschel, im Beignet versteckt. Mit Périgord-Trüffel.

Zwiebelbouillon Restaurant Valrose in Rougement VD 2022

Die Zwiebel-Suppe des Jahres: «Gratinée à l’oignon» by Benoît Carcenat.

Foie gras im Steinbutt! Es kann losgehen mit dem eigentlichen Menü. Drei Nocken liegen elegant im Teller: Quinoa, Sauerrahm und vor allem Kaviar, «Kaluga Queen» aus chinesischen Seen; ein Hauch von Wodka Tonic darf nicht fehlen. Der nächste Gang wird am Tisch tranchiert. Im Beignet eine hochklassige und hochpreisige Jakobsmuschel aus der Bretagne, dazu Trüffel aus dem Périgord und eine klassische Sauce, die jeder «MOF» im Schlaf beherrscht: Sauce Périgeux. Zum genialen Steinbutt mit Foie gras mittendrin gibt es korrekterweise eine Quellenangabe: Der Pariser Star Thierry Marx hat’s erfunden. Carcenat serviert zum Turbot noch ein paar eingelegte schwarze Johannisbeeren, was jeden Sommelier herausfordert. Mathieu Quetglas hat die Lösung. Sake Katori 80. Ziemlich genial.

Langustine in der Glasglocke. Und nochmals wird am Tisch gezaubert: Eine Langustine wird serviert, zubereitet bei 200 Grad und in nur zwei Minuten. Sie wird unter einer gläsernen Glocke im Chasselas geräuchert. Akzente setzen bei diesem Gang Steckrüben und vor allem eine Prise Yuzu. Der Hauptgang ist weniger spektakulär, aber natürlich ausgezeichnet: Paleron (Schulterstück) vom Saanenland-Rind, mit dunklem Bier und Sobacha. Der Patissier geht das hohe Niveau im Haus mühelos mit: Jocelin Jaquet, wegen den Covid-Einschränkungen in Rougemont statt wie geplant in Hongkong, kombiniert extra-schwarze Felchlin-Schokolade mit Grapefruit. Volltreffer!

Pairing by Quetglas. Wer Carcenat rühmt, muss auch Quetglas loben. Der Südfranzose hat sich gut eingelebt in der Schweiz, kennt sich sehr gut aus mit Schweizer Wein und lässt dem Gast die Wahl zwischen zwei Pairings: eher klassisch oder ziemlich verwegen. Unsere Entdeckung diesmal: Ein «Olorosso» aus der geheimnisvollen Méta-Phusis-Linie von Steve Bettschen. Quetglas sorgt mit einem jungen, flinken Serviceteam für gute Laune. Im Gourmetrestaurant genauso wie im kleinen Bistro («Le Café») nebenan. 

>> Fotos: Nicolas Righetti / Lundi 13, François Wavre / Lundi 13, HO

www.valrose.ch