Text: Urs Heller

Bergamo, St. Moritz, Shanghai, Ho Chi Minh City. Drei Michelin-Sterne im Mutterhaus in Brusaporto bei Bergamo, 18 GaultMillau-Punkte und zwei Sterne in St. Moritz: «La Famiglia Cerea» ist Weltklasse. Und auch auf der ganzen Welt gefragt. Shanghai und Portofino sind bereits eröffnet, Ho Chi Minh City und Milano (mit «Dav», der zweiten Linie) folgen demnächst. In der Schweiz hat das Swiss Deluxe Hotel «Carlton» vor neun Jahren den Jackpot geknackt und die fröhlichen Fratelli ins Engadin geholt. Nächstes Jahr wird der Vertrag verlängert. Hoffentlich. Die Cereas sind für das «Carlton», das sonst nicht gerade für aufregende Küche bekannt ist, Gold wert. Der Clan hat für St. Moritz eine erstklassige Lösung gefunden: «Il cognato», Schwager Paolo Rota, ist der Resident Chef. Hie und da fährt «Bobo» Cerea zur Verstärkung über den Bernina-Pass. Grosses Bild oben: Das ganz besondere Familienbild. Die Cereas aus Brusaporto bei Bergamo.

Paolo Rota

Der Statthalter der Familie Cerea im Engadin: Schwager Paolo Rota

Carlton Hotel

Fünf leuchtende Sterne über St. Moritz: Das «Carlton». 

Was für ein «Tee»! Pilz & Parmesan! Die Cereas sind der Stolz Italiens, kochen auf höchstem Niveau. Und trotzdem soll es in ihren Restaurants ganz unkompliziert zu und her gehen. Sie wollen ihre Gäste nicht nur mit Spitzenprodukten eindecken, sie wollen auch Verblüffen, zum Schmunzeln verführen. Dass die «Olive» zum Start zwar aussieht wie eine Olive, aber keine ist und in Anlehnung an den Piemont-Klassiker Casoncello mit Fleisch und einer Pistazie als Kern gefüllt ist, gehört fix zum Programm. Drei neue Starters kommen dazu: «Piuma di Tartufo nero», Trüffel auf einem hauchdünnen Chip, mit der grossen Pinzette wunderschön angerichtet wie ein Tannenzweig. Ein zweiter, knuspriger Chips mit Fenchel und vor allem mit Vongole folgt. Man greift von Hand zu, wie in einer gemütlichen Trattoria. Unglaublich gut dann der «Tee», der in eine kleine Tasse eingegossen wird: «Tè di Funghi»! Steinpilze, Shiitake, Parmesanschaum, Kartoffelschaum. Schon fast magisch, wie die einzelnen Komponenten abgestimmt sind und zusammenfinden.

 

Spaghetto ohne Spaghetti. «Crudo D’Amare» ist im «Da Vittorio» ein Klassiker. Die besten Meerfische und Krustentiere werden roh und in unglaublicher Frische präsentiert. Ein Element schaffte es auch in unser «Carta Bianca»-Menü (sieben oder zehn Gänge): Der rohe Scampo-Schwanz, angerichtet mit einer Birnencrème, aufgepeppt mit geeisten Jalapeño-Kügelchen. Auch die Languste durfte nicht fehlen. Allerdings musste man gründlich nach ihr suchen: Sie lag unter dünnen Scheiben von grünem Apfel und Kohlrabi, auf einer fantastischen Mayo, aufgebaut mit Katsuobushi (Bonito-Flocken). Dass man Spaghetti auch ohne Spaghetti zubereiten kann, erfahren wir auch noch: «Spaghetto di Tonno» heisst das Gericht. Statt Pasta wickelt man Thunfisch-Streifen um die Gabel und tunkt sie in eine hervorragende «Bagna Cauda».
 

Kabeljau

Exzellent: Kabeljau mit Wasabi und Dashi.

Ei auf Ei, Beluga Kaviar, Restaurant Da Vittorio, Carlton Hotel St. Moritz, GR

© HO via Carlton Hotel, Byline Olivia Pulver


Uovo all’uovo! Der verrückte Eier-Cocktail. 

Apfel Tarte Tatin, Restaurant Da Vittorio, Carlton Hotel St. Moritz, GR

© HO via Carlton Hotel, Byline Olivia Pulver


Ein Klassiker reloaded: Die Tarte Tatin der Cereas.

Paolo Rotas «Uova all’uovo». «Da Vittorio» ist Teamwork. Jeder Chef steuert seinen «Signature Dish» bei. Schwager Paolo Rota hat beispielsweise wochenlang an seinem «Uovo all’uovo» gearbeitet. Im hohen Martini-Glas entdeckt man ein Hühner-Rührei, ein pochiertes Wachtelei, Lachs-Eier, Kartoffel-Espuma und Apfelkompott. Die teuersten «Eier» kommen im letzten Moment und in hoher Dosierung dazu: Beluga Kaviar «Royal Belgian». Geschüttelt, nicht gerührt, heisst es bei James Bond, wenn der Martini im klassischen Glas serviert. Mit dem grossen Löffel durchstechen und geniessen, lautet hier die Gebrauchsanweisung. Ein Cocktail zum Niederknien.

«Die Taube im Nest». Wir erholen uns bei «Fingerfood»: Ein wunderbare «Alice» wird im Fish’n’Chips-Stil im Zeitungspapier serviert. Dann gibt’s einen ungewohnt süsslichen Risotto mit geräucherten Kürbis-Scheiben und Hummer, schliesslich fantastische Ravioli. «Kastaniencrème, Löwenzahn, Borretsch», erklärt uns der Chef. Über dem Tortello schwarzer Trüffel aus der ersten Liga: «Tartufo nero pregiato», ausgebuddelt in Norcia (Umbrien). Dann darf der junge Koch Luca raus zu den Gästen: Er hat im «Noma» Kopenhagen gearbeitet und seine Liebe zur nordischen Küche entdeckt. Ergebnis: Eine riesige Kugel aus Moos, drinnen verborgen Brust und Schenkel einer Taube, dazu eine geniale Sauce mit Knochenmark. «Wir verwenden alles von der Taube», sagt Luca und serviert noch einen knusprigen Chips-Toast mit Taubenleber und Taubenherz! Poetische Umschreibung auf der Karte: «Die Taube in ihrem Nest». Den Schlussapplaus sichert sich die muntere Pâtissière Carolina: Eine feine Glace aus Milch und Molke, ein perfektes Pistazien-Soufflé mit erstklassiger Vanilleglace, ein Cannolo wie in Sizilien, nach Wunsch gefüllt. Und knusprige «Fasnachtshüechli».

Bobo (l.) & Chicco Cerea.

Die «Masterminds» des beeindruckenden Cerea-Imperiums: Bobo (l.) & Chicco Cerea.

Paccheri Da Vittorio

Ein Cerea-Gericht geht um die Welt: Paccheri mit dreierlei Tomaten. 

Und die «Paccheri alla Vittorio»? Die fehlen natürlich nicht. Der jüngste Gast im Restaurant hat sie sich gewünscht. Chefsache: «Bobo» Cerea bereitet diesen Hausklassiker direkt am Tisch zu, gibt die Sauce aus dreierlei Tomaten, dreifach geriebenen Parmesan und Olivenöl dazu. Der Junge isst einfachheitshalber direkt aus der riesigen Kupferpfanne, löffelt alles weg; so geht Kindergeburtstag in St. Moritz. Showtime auch bei der Zabaione. Die Chefs kommen mit einem Korb voller Eier, Marsala und dem grossen Schwingbesen an den Tisch, legen rhythmisch und mit Muskelkraft los. Typisch Cerea: Die weltberühmten Köche sind sich nicht zu schade, auch ganz «normale» italienische Gerichte anzubieten. Sie wollen eigentlich nur das eine: Glückliche Gäste. Glücklich waren wir.

 

>> www.carlton-stmoritz.ch

>> www.davittorio.com

 

Fotos: Olivia Pulver, Beatrice Pilotto, Martin Schnetzler, Fabrizio Donati