Text: Knut Schwander Fotos: Lucia Hunziker, Remy Steinegger

«Ich bin sicher, dass dies die richtige Entscheidung ist». Seit 26 Jahren steht Didier de Courten als selbstständiger Koch am Herd. In dieser langen Zeit hat er nur zweimal gefehlt – bei den Beerdigungen von Philippe Rochat und Benoît Violier. Jetzt will der gefeierte und mit höchsten Ehren ausgezeichnete Chef (19 GaultMillau-Punkte, 2 Michelinsterne) per Ende Jahr sein Gourmetrestaurant in Sierre schliessen und sich ab Anfang 2021 auf die Brasserie L’Atelier Gourmand (15 Punkte) konzentrieren. «Dies nicht als Verzicht, sondern als Rhythmuswechsel und als neue Ausrichtung», erklärt er seine Wahl und sein Bestreben, mehr Bewegungsfreiheit zu finden.  

 

In Ihren insgesamt 36 Jahren am Herd haben Sie sich mit riesigem  Engagement der Haute Cuisine gewidmet. Was treibt Sie an, nun einen neuen Weg einzuschlagen?

«Ich liebe meinen Beruf. Doch im Lauf der Jahre wurden die administrativen Aufgaben und Anforderungen immer grösser. Ich habe heute das Gefühl, mich nicht mehr auf meine eigentlichen Prioritäten konzentrieren zu können. Gewisse Gäste haben immer höhere Erwartungen, die man kaum mehr erfüllen kann. Andere sind sich nicht bewusst, wie viel eine Gastronomie auf höchstem Niveau kostet: Weit mehr, als man hier in Sierre verlangen kann. Das alles weckt in mir manchmal das Gefühl, mit einem Ferrari über einer holprige Bergstrasse zu fahren.»

 

Ist es denn nicht genau dieser hohe Anspruch, der Sie in der Küche immer angetrieben hat?

«Als 16-Jähriger war ich hier im Terminus ein Lehrling, der noch nichts wusste von grosser Gastronomie. Als ich dann die Fotos von Gerichten der «Grandes Tables de Suisse»-Köche sah, machte es Klick. Ich war hingerissen und spürte: Genau das will ich auch machen. Also schrieb ich alle Chefs dieser Vereinigung an. Bernard Ravet engagierte mich, später arbeitet ich mehrere Jahre bei Gérard Rabaey. Ich habe es nie bereut.»

LUGANO, 28.04.2019 - Chef Didier De Courten. S. Pellegrino Sapori Ticino 2019 'Official Night Didier De Courten': Frank Oerthle meets Didier De Courten (Le Terminus, Sierre) at Ristorante Galleria Arte al Lago, Lugano. copyright by www.steineggerpix.com & www.saporiticino.ch 2019 / photo by remy steinegger +++ no resale / no archive +++

Alles im Griff: Didier de Courten gehört zu jenen Spitzenköchen, die am liebsten selber zupacken.

Was hat denn jetzt geändert?

«Wenn man jung ist, empfindet man die Komplexität unseres Berufs als anregendes Ziel. Heute, mit 52, wird sie manchmal zur Bürde, obwohl ich immer noch grosse Passion verspüre. Die Corona-Krise zwang mich zu einer Auslegeordnung. Eines Tages kam ich vom Jogging in der Natur zurück und sagte zu meiner Frau: «Carmé, ich habe etwas begriffen: Wir schliessen!».

 

Und was versprechen Sie sich dadurch?

«Ich möchte freier sein. Auch wenn meine Frau sagt, dass ich mich nie ändern werde, hoffe ich doch, wieder ein bisschen mehr Zeit für mich selber zu haben. In all den 27 Jahren als Selbstständiger habe ich in meinem Betrieb nur zweimal gefehlt, um an den Begräbnissen von Philippe Rochat und Benoît Violier teilzunehmen. Sogar bei der Geburt meines Sohnes stand ich in der Küche. Wenn man zu viel gibt, ist man irgendwann mal ausgelaugt. Das will ich nicht. Jetzt bin ich glücklicherweise noch voll in Form, und weil ich das auch weiterhin bleiben möchte, strebe ich einen Wechsel an.»

 

Sie wollen Ihr Gourmet-Restaurant schliessen und sich auf die Brasserie konzentrieren. Warum nicht umgekehrt?

«Wäre ich in Genf, Paris oder Mailand hätte ich vielleicht diese Option gewählt. Aber ich bin in Sierre. Es wird immer schwieriger, ein eigenes Unternehmen mit 42 Mitarbeitenden auf diesem Niveau zu führen und Ende Jahr mit einer positiven Bilanz abzuschliessen.»

 

Heisst das: Die Gourmetküche rentiert nicht mehr?

«Es ist nicht so, dass das Restaurant Didier de Courten nicht gut besucht wäre. Wir sind oft ausgebucht, sehr viele Gäste sind begeistert und sagen es uns auch. Aber auf uns lastet ein dauernder Druck, und dieser nimmt zu. Es war der Moment um mich selber zu fragen: «Ist es das, was du dir wünschst?».

 

Verstärken die Gastroführer diesen Druck?

«19 von 20 Punkten zu erreichen ist wunderschön. Und der Gedanke an einen dritten Stern hat mich nie belastet. Der Erfolg in den Guides gestattet es mir heute, den Weg in Freiheit wählen zu können. Gleichzeitig ist es auch dieser Erfolg, der die Erwartungen der Gäste hochschraubt, so dass auch die höchsten Leistungen auf den sozialen Netzen oft am meisten kritisiert werden. Jeder dieser negativen Kommentare macht mir zu schaffen.»

 

Denken Sie, dass die Zukunft der grossen Gastronomie gefährdet ist?

«Das Interesse der Gäste ist ungebrochen. Und es gibt viele junge Berufsleute, die uns ablösen können. Aber die Haute Gastronomie verursacht auch extrem hohe Kosten und verlangt eine hohe Präsenz. In unserer Region ist das Angebot an guten Restaurants noch immer sehr gross.»

Ihr Sohn ist ebenfalls Koch und hat mit Ihnen gearbeitet. Was hält er von Ihrer Entscheidung?

«Im Moment verdient Philippe seine Sporen als Unteroffizier ab - genauso wie ich es in seinem Alter getan habe. Im ersten Moment war er betrübt. Aber es ist die Gelegenheit für uns, ein neues Projekt zu entwickeln. Und für ihn, seine eigene Geschichte freier zu gestalten.»

 

Und Sie selber? Sind Sie nicht traurig?

«Nein, ich empfinde keinerlei Traurigkeit, weil ich sicher bin, die richtige Wahl getroffen zu haben. Zudem werde ich mit dem neuen Brasserie-Konzept meinen Weg fortsetzen. Ich weiss, wohin ich will.»

 

In welche Richtung wollen Sie Ihr Atelier Gourmand entwickeln?

«Es soll seinen Charakter behalten, aber auf einen jüngeren Touch und eine verfeinerte Karte setzen. Ich will meinen Werten treu bleiben und gedenke nicht, mich der von mir ungeliebten «Bistronomie» zu verschreiben. Wir verfügen über alle nötigen Einrichtungen, um es besser zu machen. Mit den heutigen Preisen, aber mit einem gut überlegten Angebot.»

 

Was geschieht mit dem grossen Saal des bisherigen Restaurants?

«Er wird für grössere Gesellschaften zur Verfügung stehen. Aber ich möchte ihn auch der Kunst in ihren verschiedensten Formen widmen, regelmässige Events veranstalten, sei es mit Musik, Malerei, Literatur. Natürlich immer in Verbindung mit meiner Küche.»

 

Was meint die Winzerfamilie Rouvinez als Besitzerin des Hauses zu Ihrer Entscheidung?

«Wir pflegten immer ein Verhältnis des Vertrauens. Während der Corona-Zeit zeigten sie sich uns gegenüber sehr wohlwollend. Als Unternehmerfamilie verstehen sie diesen Wechsel als eine positive Entwicklung und unterstützen uns bei den nötigen Vorbereitungen.»

 

Hat Covid-19 bei Ihren Überlegungen eine Rolle gespielt?

«Es war eine Prüfung. Das «Terminus» existiert seit 1890 und war in dieser langen Zeit noch nie während zwei Monaten geschlossen. Das hat mich nachdenklich gemacht. Der Lockdown hat als Beschleuniger gewirkt. Es hat mir gezeigt, dass ich die Freiheit der Wahl habe. Und ich bin glücklich, dass ich dieses Unternehmen im Sinne meiner Familie weiterführen kann. Meine Grosseltern waren Landwirte. Gute Produkte zu veredeln und jedes Essen im Restaurant als Fest zu gestalten, scheint mir so schön und erstrebenswert wie noch nie.»

 

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