Text: Anita Lehmeier I Fotos: Claudia Goedke

«Der beste Pâtissier der Welt». «The World’s Best 50 Restaurants» kürte René Frank 2022 zum besten Patissier der Welt. Sein «Coda» im Berlin Neukölln ist mit 17 Punkten und zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet. Die Bewertungen von Gästen und Profis sind voll des Lobes, des Staunens und der Superlative. Die Besonderheit: Hier werden ausschliesslich Desserts serviert, volle 16 Gänge. Wer beim Begriff Dessert-Restaurant nun einen Overkill an Süssem erwartet, sich ins Zucker-Sahne-Schokolade-Paradies träumt, irrt gewaltig. Die Kreationen, die Frank seit sieben Jahren im «Coda» serviert, sind keineswegs immer süss, Zucker findet in der Küche gar nicht statt. Vielmehr basieren Franks Gerichte statt auf herkömmlichen Kochtechniken auf dem klassischen Patissier-Handwerk. Sie erweitern die Vorstellung von Nachspeisen in eine neue, überraschende Dimension. Was Frank und sein Team bieten, geht weit über die Idee des Desserts als letzten Gang im Menü hinaus, es ist die Dekonstruktion klassischer Dessert-Bilder. Grosses Bild oben: «Popsicle» mit Kaviar (l.) und René Frank.

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Bildschön und süss: Schoggi-Mousse mit Kirchererbse, Haselnuss, Shiitake.

Exterior, Restaurant Coda, Berlin

Zwischen Kebab-Buden und Frisören liegt das «Coda» in Berlin Neukölln.

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Heisse Kombi: Kaffee und Sellerie mit Cironé-Cheesecake.

Profi-Kurse bei Felchlin. Im Frühling teilt René Frank seine Handwerkskunst mit Schweizer Chefs. Vom 22. bis 25. April gibt Frank Kurse zum Thema «Bean to plate – Schokoladendesserts auf Weltklasse-Niveau» bei Max Felchlin AG in Ibach/SZ Schwyz. Es geht um besonders leichte und komplexe Dessertkreationen rund um Kakao und Schokolade, die sich in der ambitionierten Küche gut umsetzen lassen. «Ich freue mich, diesen hochrangigen Chef für einen Kurs bei uns in Ibach zu haben», sagt Erich Keller, Verkaufsleiter bei Max Felchlin AG. Frank kennt Felchlin-Produkte von früher. Für das «Coda» stellt er die Schoggi, die im Dessert-Menü auch mitspielt, allerdings selbst her. «Aber natürlich bin ich Fan von guter Schweizer Schokolade – wer nicht?», meint der Weltmeister der Desserts.

Stuttgart, Barcelona, Paris, Tokio. Dass er Koch werden wollte, war René Frank schon als Kind klar. «Den Berufswunsch schrieb ich ins Poesiealbum eines Schulfreundes – neben Kommissar!», erinnert sich der 39-jährige Allgäuer schmunzelnd. Beides habe sich bewahrheitet, meint Frank. Er sei als Koch doch wie ein Kommissar auch stets auf der Spurensuche, nur eben nach dem guten, originalen Geschmack.  Der grosse Garten und die Wertschätzung seiner Eltern für Essen als Alltagskultur sei ihm Inspiration gewesen. «Mein Vater war Müller. Er arbeitete eine Zeitlang in der Mühle Schaffhausen, von daher stammt auch meine Liebe zur Schweiz», sagt Frank. Seine Karriere führte ihn in zahlreiche hochdekorierte Häuser in der ganzen Welt, angefangen von der Oexle’s Speisemeisterei und der Zirbelstube in Stuttgart. Dort trat der erstmals eine Stelle als Patissier an – weil keine andere frei war. Ein Zufall, der zur Berufung wurde. Er besuchte Kurse in der berühmten Chocolaterie Oriol Balaguer in Barcelona, am Culinary Institut of America in New York und bei Alain Ducasse in Paris. Er machte Station bei Georges Blanc in Frankreich und bei Lampart’s in der Schweiz, bevor er in Japan in den Dreisterne-Betrieben Nihonryori RyuGin in Tokio und im Kikunoi in Kyoto beim Umami-Guru Murata landete. Die japanische Kaizen-Philosophie habe ihn sehr geprägt, mein Frank, die stete Veränderung zum Besten sei zu seinem Antrieb geworden. Auch die Leidenschaft für das beste Produkt und die Schnitttechnik brachte Frank von Japan mit nach Hause. «Die Schnitttechnik kann ausschlaggebend für den guten Geschmack sein, nicht nur beim Fisch, auch beim Gemüse», weiss der Starchef aus Erfahrung.  Von 2010 bis 2016 war er Chef-Patissier im «La Vie» in Osnabrück, wo er erstmals Patissier des Jahres wurde. 

Rene Frank und Julia Leitner

Julia Leitner (r.) ist René Franks rechte Hand im «Coda».

Interior, Restaurant Coda, Berlin

Das Interieur ist bewusst dunkel, schlicht und elegant gehalten.

«Wir machen es nicht besser, aber anders.» 2016 wagte René Frank den Schritt in die Selbstständigkeit. Zusammen mit Oliver Bischoff, Designer und Gastro-Entwickler, eröffnete er im hippen Bezirk Berlin Neukölln das «Coda» als Dessert-Bar. Coda, ein Begriff aus der Musikwelt, bedeutet so viel wie Ausklang, Anhang. Die Idee war, experimentelle Patisserie, erschwinglich für alle, anzubieten. «Wir haben am Anfang den Gästen auch gesagt, sie sollen gern vorher anderswo was essen und dann zu uns kommen», erinnert sich Frank. Mit der Zeit entwickelte sich die Idee, das Dessert ganz neu zu denken und die Nachspeise zur Hauptrolle zu machen. Das Konzept hatte Erfolg. Gäste und Kritiker überschlugen sich schon bald mit Lob, aus dem Geheimtipp wurde eine Destination. Was genau macht nun das «Coda» besser als alle anderen? «Wir machen es nicht besser, nur anders», meint Frank in aller Bescheidenheit. Wer schon im «Coda» speiste, weiss es: Es ist anders – und besser!

«Überzeit? Gibt es nicht.» Bis heute geblieben sind das japanisch Puristische im Innern, wo Holz, Stein, dunkle Farben und gedämpftes Licht dominieren. Und das unscheinbare Äussere, die mit Graffiti bemalte Fassade, der bescheidenen Schriftzug. Die Schilder von GaultMillau und Michelin hängen nicht am Eingang, sondern in der Küche. Ein sichtbares Zeichen für die Wertschätzung des Teams. «Ein zentraler Punkt unserer Philosophie», betont Frank. «Bei uns macht niemand unbezahlte Überzeit oder arbeitet 16 Stunden!» Diese Ausbeutung der Angestellten, früher gang um gäbe im Metier, sei ihm stets sauer aufgestossen. Ein Kasernenton in der Küche und eine strenge Hierarchie habe im «Coda» schlicht keinen Platz. Über Personalmangel kann sich Frank, anders als viele in der Branche, folglich nicht klagen. Seine Souschefin Julia Leitner – sie war mit 23 schon Patissière des Jahres geworden in ihrer österreichischen Heimat – ist seit den Anfängen des «Coda» an Franks Seite. Das Team besteht heute aus 15 bis 16 Mitarbeitenden, gearbeitet wird in zwei Schichten: sechs Leute in der Früh-, zehn in der Abendschicht. Grössten Wert legt Frank auch auf die Produkte und deren Zubereitung. «Der Verzicht auf industriell verarbeitete Produkte ist für mich in der Spitzengastronomie eine Selbstverständlichkeit. Wir machen alles selbst von Grund auf, auch die Schokolade». Das alles hat seinen Preis:  Im «Coda» haben maximal 28 Gäste Platz. Abends ab sieben Uhr gibt’s je ein Seating von Dienstag bis Donnerstag ab 244 Euro, am Freitag und Samstag ab 274 Euro. Zum Fine-Dining-Erlebnis gehört ein Drink-Pairing. Und das einmalige Erlebnis, was ein Dessert alles sein kann.

 

>> René Franks Kurse finden vom 22. bis 25. April bei Felchlin statt und richten sich an Profis. Anmeldung: www.shop.felchlin.com/b2b