Text: Urs Heller

Tim Raue I: Der geniale Sangohachi-Zander. Unterwegs im Engadin. Klar, gibt es fast überall Kaviar und feuerroten Hummer. Aber die grossen St. Moritzer Chefs haben längst anderes auf dem Radar: Währschaftes. Überraschendes. Tim Raue etwa, der berühmteste, beste und frechste Chef Berlins, holt sich den Fisch für sein Menü im «Kulm Hotel» (The K by Tim Raue) nicht aus der Bretagne oder aus Island, sondern aus dem Lago Maggiore. «Die Zander-Qualität in der Schweiz ist hervorragend. Kriegen wir in Deutschland so nicht.» Christian Singer, sein Statthalter vor Ort, serviert uns den «Zander des Jahres»: 12 Stunden lang eingelegt in Sangohachi, einer japanischen Reispaste, mariniert, mit grünem Rettich, Sauerampfer und Sake in der Beurre Blanc. Aufregend zart, aufregend gut!

 

Tim Raue II: Eisbein. Vom Spanferkel. Natürlich setzt Tim Raue auch Wagyu und Kalbskamm auf die Karte; wir sind schliesslich in St. Moritz. Aber für «Foodies» gibt es noch eine Alternative: Eisbein. Vom Spanferkel. «Third cut», gewissermassen. Raue und seine Köche geben dieser eigentlich sehr bodenständigen Berliner Spezialität eine neue Dimension: Mit Dashi, gelben Erbsen und Ingwer. Das staunt auch die Konkurrenz! «Das Eisbein war fantastisch», lobte Marcel Skibba vom nahen «Igniv». Hausmannskost im Luxusrestaurant ist gerade angesagt bei deutschen Spitzenköchen: Der Hamburger Kevin Fehling serviert auf der «MS Europa» Labskaus und Fischbrötchen, edel getunt natürlich.

Turopoljeschweine - Zu Beschuch auf dem Bio Hof Dusch der Familie Blunier-Hanimann in Paspels - die Familie züchtet Rinder, Kälber, Schafe - Demeter Hof - Copyright Oivia Pulver

Schweizer Schwein! Marcel Skibba setzt auf die Rasse Turopolje.

Georg Blunier-Hanimann - Zu Beschuch auf dem Bio Hof Dusch der Familie Blunier-Hanimann in Paspels - die Familie züchtet Rinder, Kälber, Schafe - Demeter Hof - Copyright Oivia Pulver

Seine Schweine, Rinder und Schafe begeistern die Chefs: Georg Blunier, Biohof Dusch.

Marcel Skibba I: Turopolje-Schwein. Auch Andreas Caminadas St. Moritzer Chef Marcel Skibba (17 Punkte) mag es schweinisch. Er serviert im «Badrutt’s Palace» butterzarten Schweinbauch. Das Schwein? Turopolje, ein robustes Exemplar von Domleschger Biohof Dusch. Die letzte Dosis Hitze kriegt der Bauch direkt vor dem Gast: Das Fleisch brutzelt auf einem kleinen Tischgrill; Weisskohl und Zwetschge gibt es dazu.

Marcel Skibba II: Tauben-Strudel, Taubenleber. Skibba begeistert im «Igniv» ein internationales Publikum, vor allem mit einem sanften Saibling, einer grandios poelierten Langustine und einem Egli, das ihm Hans-Peter Gubser aus dem Walensee hievt und per WhatsApp anbietet. Im Hauptgang dreht sich dann (fast) alles um die Taube: Taubenbrust, in einem, hübschen Strudel verpackt (mit Sellerie und eingelegter Fricktaler Kirsche). Taubenleber, verpackt in einer Maultasche, die im Sterne-Restaurant jetzt Gyoza heisst. «Huhn war letztes Jahr. Jetzt ist die Taube dran.» Testnotiz: Skibba kocht immer selbstsicherer, immer besser.

 

Martin Dalsass I: Die Kabier-Rippe. Absatzsorgen hat der Appenzeller Bauer und Pionier Sepp Dähler auf seinem gepflegten Hof Blindenau in Stein AR nicht. Das Fleisch seiner liebevoll und mit riesigem Aufwand gezüchteten Kabiere ist heiss begehrt. Die raren Filets vor allem. Der Südtiroler 18-Punktechef Martin Dalsass (Talvo, St. Moritz-Champfer) kauft, was andere nicht wollen. Kabier-Haxen und Kabier-Rippe beispielsweise. Die Rippe wird 14 Stunden sanft geschmort, dann am Tisch vom mächtigen Knochen geschnitten. Spannender als Kobe und Wagyu, die auch auf der Karte sind. Dalsass:  «Ich kann es kaum erwarten, bis mir der Sepp die nächsten Tiere liefert.» Der Südtiroler verblüffte mich übrigens auch mit einer ziemlich gewagten Kombination: Balfego-Tuna und Lardo. Passte! Der Chef: «Den Speck habe ich zusammen  mit meinem Tessiner Metzger selber gemacht. Nächste Woche wird gewurstet: Ich mache meinen eigenen Salami!»

Martin Dalsass II: Der geheimnisvolle Koa-Saft. Das neue Code-Wort unter Köchen? Koa. So heisst ein Produkt, das neu auf dem Markt ist. Eigentlich ein Abfallprodukt, der bisher kaum genutzte Saft der Kakaobohnen. Der Schwyzer Felchlin-Manager Erich Keller versorgt die Köche mit den ersten geheimnisvollen «Fläschli», und die sind hin und weg. Romana Jann («Adler», Ried-Muotathal) macht daraus ein tolles Dessert. Marcel Skibba verwendet den Saft für seine Pralinen. Und Martin Dalsass ist am intensivsten auf dem Koa-Trip: «Schmeckt wie Lychee. Wird im Sommer meine Karte prägen.» Eine erste Kostprobe kriegte ich bereits: Diskret verpackt in eine wunderbare Foie gras-Tranche. Ein Gläsli «zum Probieren» gab es für mich auch. Noch besser als Koa ist Martis Fingerlime-Risotto. Zitronig, erfrischend, explosiv. Besser geht nicht.

 

>> Fotocredit: Gian Giovanoli, Jörg Lehmann für Callway Verlag, Olivia Pulver, Thomas Buchwalder, Gaudenz Danuser, Karl-Heinz Hug

www.kulm.com
www.badruttspalace.com
www.talvo.ch