Aufgezeichnet von Daniel Böniger

Niemand kocht wie Mama! Auch wenn unsere Punktechefs heute am Herd filigrane Gerichte kochen - sie wurden doch geprägt von den einfachen Speisen, die es in der Kindheit zu Hause gab. Wir haben nachgefragt, ob und wie sie sich am Muttertag dafür dankbar zeigten. 

#1: Mitja Birlo und der Zwiebelkuchen

«Meine Geschwister und ich hatten tatsächlich eine jährlich zum Muttertag wiederkehrende Tradition: Wir buken am Tag vorher zusammen einen Zwiebelkuchen, für den wir uns jeweils aufteilten. Meine zwei grossen Brüder schnitten Zwiebeln klein, bis ihnen die Tränen in den Augen standen. Meine kleine Schwester, etwa sechsjährig, schlug die Eier auf. Ich machte den Teig, eine ziemlich einfache Zubereitung aus nichts mehr als Quark, Öl und Mehl. Die Aufgaben wurden Jahr für Jahr neu zugeteilt - und auch das Rezept für den Kuchen veränderte sich: Irgendwann liessen wir den Speck weg, weil meine Schwester kein Fleisch mehr ass. Mal gab es eine Ecke auf dem Blech ohne Kümmel, weil ich dieses Gewürz damals schon nicht ausstehen konnte. Zur Familientradition gehörte, dass meine Mutter jeweils die Küche putzen musste… Zum Zwiebelkuchen, den wir am Sonntagmittag ratzefatz wegputzten, wurde jeweils eine Flasche Weisswein entkorkt. Und meine Brüder durften, anders als ich, auch schon mal ein Gläschen davon mittrinken.  

Es klingt klischeehaft, aber sowohl meine Mutter als auch meine Grossmutter haben mich kulinarisch geprägt: Es kam vor, dass es im Haus von Oma jeweils schon ganz früh morgens nach Fleisch roch, weil seit 7 Uhr ein Schmorgericht mit Kraut auf dem Herd stand. Diesen Muttertag? Da gehe ich in Berlin mit Mama in ein sardisches Restaurant in Charlottenburg - wir werden sicher eine Flasche Wein öffnen. Und ich bekomme inzwischen auch ein Glas davon!» 

 

>> Mitja Birlo kochte zuletzt mit 18 Punkten im Silver 7132, Vals. Zurzeit geniesst der frisch verheiratete Küchenchef eine mehrwöchige Auszeit, im Dezember wird er im Zürcher Hauptbahnhof ein neues Fine-Dining-Restaurant eröffnen. 

LUGANO, 29.05.2022 - Mitja Birlo (Chef Silver, Vals). Galaabend vor der GV Grandes Tables Suisse 2022 im Hotel Splendide Royal in Lugano. copyright by www.steineggerpix.com / photo by remy steinegger

Geniesst derzeit seine Auszeit - auch mit der Mama in Berlin: Mitja Birlo.

 

#2: Michaela Frank und die chinesischen Baozi

«Meine Mutter kommt ursprünglich aus China. Und es kam in meiner Kindheit vor, dass sie auch typisch Schweizerische Gerichte mit asiatischen Touch zubereitete. So würzte sie beispielsweise Zürcher Geschnetzeltes mit Ingwer, was für eine Zehnjährige wie mich natürlich gewöhnungsbedürftig war. Was ich aber liebte: ihre Baozi, gedämpfte chinesische Teigtaschen, die mit Tofu oder Hackfleisch gefüllt sind. Dazu reicht man eine Sauce aus Reisessig, Sesampaste, Sojasauce, Honig, Koriander, Chili und Knoblauch. Der Knoblauch muss - meiner Mutter, die sich mit traditioneller chinesischen Medizin auskennt, ist das wichtig - muss dabei roh sein, weil er so viel gesünder ist. Baozi wurden aufgetischt, wenn Gäste kamen. Und oft half ich vorher meiner Mutter beim Füllen des Teigs. Fürs Backen von Kuchen, Brot und Guetzli war bei uns zu Hause übrigens mein Vater zuständig. 

Ob die Eltern meine heutige Küche beeinflusst haben? Ja, ich serviere im Rank zum Beispiel eine Art Congee, ein eigentlich einfaches chinesisches Gericht, für das ein Teil Reis mit acht Teilen Wasser vermengt wird. Meine Mutter hat das jeweils für mich gekocht, wenn ich krank war, weil es sehr bekömmlich ist. Ich bereite fürs Restaurant jetzt natürlich eine pfiffigere Version zu. Und ja, die Baozi koche ich ebenfalls gern - daheim, wenn ich Gäste habe…»  
 

>> Michaela Frank war im «Focus»-Team von Nenad Mlinarevic in Vitznau, war Mitglied der Junioren-Kochnationalmannschaft und hat das Programm der Uccelin-Stiftung von Sarah und Andreas Caminada absolviert. Nun steht sie als Küchenchefin mit 13 Punkten in der Verantwortung für das Kultur-Lokal «Rank» im Zürcher Niederdorf. 

www.amrank.ch 

Michaela Frank, Chefkoechin - Kulturlokal Rank Zuerich - Feb 2023 - Copyright Olivia Pulver

Michaela Frank ass als Kind Zürcher Geschnetzeltes mit Ingwer: «Gewöhnungsbedürftig» sei es gewesen.

Congee mit geschmortem Eringer Rind, Federkohl und Winterspinat - Michaela Frank, Chefkoechin - Kulturlokal Rank Zuerich - Feb 2023 - Copyright Olivia Pulver

So wird Congee im «Rank» gemacht: mit geschmortem Eringer Rind, Federkohl und Winterspinat.

# 3: Marco Ortolani und der Eintopf namens Casoela

«Das Gericht, das mich an meine Mutter erinnert? Casoela natürlich! Das ist eine Art Choucroute garni auf italienisch… Neben Kohl werden allerlei Teile vom Schwein in dieses Schmorgericht gegeben, also Rippli, Haut, Fuss und Nase. Und um das Ganze bekömmlicher zu machen, gibt man am Ende der Kochzeit noch ein halbes Glas Grappa hinzu. Das ist natürlich schwere Kost und wird nur im Winter serviert, zwischen Ende November und Anfang März. Weil der Kohl, um einen schönen Biss zu haben, schon mal gefroren sein sollte. Wichtig: Dazu muss man ein Glas Rotwein geniessen - sogar meine Mutter, die sonst dem Alkohol komplett entsagt, macht hier jeweils eine Ausnahme und trinkt einen Fingerhut voll Wein zum Casoela.

Als Kind mochte ich diesen Eintopf noch nicht so gerne - ich musste erst die Welt bereisen, um zu verstehen, mit welch herrlichen Produkten meine Jugend in der Lombardei gesegnet war. Inzwischen liebe ich alles, was dort von den lokalen Metzgern, Bauern und Käseproduzenten hergestellt wird. Kein Wunder sassen wir sonntags jeweils während Stunden am Tisch mit der Familie… Schade nur, dass meine Mammetta Luisa, wenn ich sie heute besuche, nicht mehr für mich kocht. Sie glaubt irrtümlicherweise, dass ich das als gelernter Koch besser hinbekomme als sie…» 
 

>> Marco Ortolani, mittlerweile mit 16 GaultMillau-Punkten und einem Michelin-Stern ausgezeichnet, serviert im «La Réserve Eden au Lac» in Zürich italienische Klassiker auf höchstem Niveau. 

www.lareserve-zurich.com 

Serata Bollito Misto, im Restaurant La Reserve, Eden au Lac, Marco Ortolani, Chefkoch

Erst in der weiten Welt lernte er die Küche seiner Kindheit schätzen: Marco Ortolani.

Fotos: Olivia Pulver, Thomas Buchwalder, Remy Steinegger, Nik Hunger.