Text: David Schnapp Fotos: Ellin Anderegg

Um 8.30 Uhr geht’s los. Mitten in Zürich eröffnet ein neues Restaurant mit grossen Ambitionen unter der Leitung des Engadiner Starchefs Dario Cadonau («In Lain, Brail, 17 Punkte im GaultMillau): Das «1904» an der Löwenstrasse nahe dem Globus-Warenhaus ist Cadonaus Schritt ins Unterland, und für die grösste Stadt der Schweiz hat der talentierte Koch und Hotelier natürlich ein passendes Konzept entwickelt. Das Restaurant öffnet schon morgens um 8.30 Uhr, in einem grossen, gemütlichen Lounge-Bereich können Geschäftsleute Sitzungen abhalten und bekommen dazu Frühstück serviert.

 

Höchstens 32 Gäste. Mittags gibt es im Restaurant-Bereich einen Business-Lunch und Cadonau verspricht «eine gepflegte Küche aus guten Produkten, aber ohne Schnickschnack. Wir wollen hier puristische Gerichte zubereiten – ganz anders als im Engadin, aber passend für die Stadt», sagt Cadonau. Nachmittags ist das Restaurant ebenfalls für Besprechungen offen und abends wird dann für höchstens 32 Gäste auf hohem Niveau gekocht. Dario Cadonau steht dabei nicht selbst am Herd, dafür ist Executive Chef Thomas Bissegger zuständig.

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Cadonaus Mann in Zürich: Thomas Bissegger richtet den Apero an.

Überraschende Wahl des Küchenchefs. Das ehemalige Mitglieder der Schweizer Koch-Nationalmannschaft ist eine eher ungewöhnliche Besetzung. Bissegger war zuletzt Berufsschullehrer in der Hotel & Gastro Formation in Weggis, und hat nicht jahrelange Erfahrung in der Spitzengastronomie. «Als sich Thomas als Kandidat für den Posten beworben hat, war ich zunächst überrascht», gibt Dario Cadonau zu. «Aber wir haben uns sofort verstanden und für Thomas ist das eine Riesenchance an so einem Standort in einem solchen Lokal. Der Fokus liegt für mich auf der Umsetzung und der Zusammenarbeit, da spielt es nicht so eine Rolle, ob einer davor schon zehn Jahre Punkte gekocht hat. Im Gegenteil: Das geht meistens schief, weil so jemand dann zu stark festgefahrene Vorstellungen hat», erklärt Cadonau seine Wahl.

Apero im Restaurant 1904 Zürich

Apero: Tatar mit Kaviar, Maccaron mit Räucheraal, Taco mit Lattich.

Hamachi im Restaurant 1904

Vorspeise: Hamachi mit fermentierten Pflaumen und Bohnensud.

Stage bei Daniel Humm. Thomas Bissegger ist ein überlegter, freundlicher junger Mann. Er ist ehrgeizig, aber auch bescheiden genug um zu wissen, dass es noch «eine Weile dauert, bis ich meine eigene Handschrift und meinen Stil gefunden habe», wie er sagt. Vor seinem Start in der Zürcher City hat Bissegger einige Stages absolviert. «Bei Daniel Humm hat es mir sehr gut gefallen, er ist für menschlich und kochtechnisch ein Vorbild», sagt der Küchenchef, der zwei Wochen in New York im «Eleven Madison Park» gearbeitet hat. Wertvolle Erfahrungen habe er auch im «Testkitchen» in Kapstadt gesammelt oder beim Schweizer Felix Episser, der heute in Burma lebt und kocht.

Spargel Dessert im Restaurant 1904 Zürich

Überraschendes Dessert: Weisser Spargel mit Buttermilch und Yuzu von Thomas Bissegger.

Weltoffene Küche. Asiatische Aromen und Techniken spielen auch in Thomas Bisseggers Küche im «1904» in Zürich eine Rolle, wie er zum Beispiel beim Hamachi-Tatar zeigt. Das rohe Fleisch der Makrele wird auf fermentierten Pflaumen angerichtet. «Umeboshi» heissen die in Salz eingelegten Steinfrüchte in Japan. Bissegger aber hat sie «dem hiesigen Geschmack angepasst» und etwas milder zubereitet, so dass eine schöne Harmonie entsteht. Ein Bohnensud rundet dieses Gericht ab, das typisch ist für Cadonaus und Bisseggers kulinarischen Vorstellungen für ihr edles Zürcher Lokal: «Eine weltoffene internationale Küche aus den besten Produkten», kündigen sie an.

Holz und Marmor. Namensgeber des Lokals an prominenter Zentrumslage ist schliesslich auch die legendäre britische Automarke Lagonda, die im Jahr 1904 ihr erstes Modell – ein Dreirad mit Zweizylindermotor – auf den Markt brachte. Heute gehört Lagonda zu Aston Martin, die Designer aus London sind denn auch für die Einrichtung des «1904» verantwortlich, das hauptsächlich aus exklusiv hergestellten Möbeln, italienischem Marmor sowie Schweizer Holz gebaut wurde. Wie in Dario Cadonaus Hotel «In Lain», verantwortet auch in Zürich Bruder Marco die aufwendigen Holzarbeiten. Spektakulär ist der Raumtrenner aus Dutzenden Holzzylindern, die wie ein umgekehrter Vulkan aus der Decke zu wachsen scheinen.

Raum und Privatsphäre. «Grosszügigkeit war uns wichtig», sagt Dario Cadonau über das Design und die Platzverhältnisse im «1904». Wer hierher zum Essen kommt oder eine Besprechung abhält, soll Raum und Privatsphäre geniessen können. Zürich erhält ein Restaurant, wie es in dieser Art kein zweites gibt, und einen talentierten Küchenchef, der mit präzisen, reduzierten und aus hochwertigen Zutaten bestehenden Gerichten auf sich aufmerksam machen will.