Angst vor Nörglern. «Ich habe fest an die kompromisslose Herangehensweise geglaubt, realisierte aber nicht, dass wir gewisse Gäste ausschliessen», sagt Daniel Humm gegenüber der «New York Times» zu seiner Entscheidung, im «Eleven Madison Park» wieder Fleisch zu servieren. Der Schritt ist dem kochenden Superstar aus dem Aargau nicht leichtgefallen. «Ich fürchte mich davor, dass die Leute sagen werden: Oh, er ist ein Heuchler. Aber ich weiss, dass ich der pflanzenbasierten Küche den grössten Dienst tue, wenn ich auch Leute mit anderen Vorlieben am Tisch sitzen lasse.» Bild oben: Daniel Humm vor seinem Restaurant.
Pflanzen bleiben Trumpf: Kürbis mit Tonburi (Kaviar des Feldes) aus dem Herbstmenü 2021.
Wichtige Einnahmen fehlten. Finanziell sei der Erfolg seines Restaurant seit der Einführung des veganen Menü wechselhaft gewesen, erklärt Humm. Und es sei zunehmend schwieriger geworden, die dafür nötige Kreativität aufrechtzuerhalten. Am höchsten seien die Ausfälle im Bereich privater Events, einem wichtigen Standbein des «Eleven Madison Park». «Es ist nicht einfach, mit pflanzenbasierter Küche ein Corporate-Dinner für 30 Personen zu verkaufen.» Überdies waren die Weinverkäufe rückläufig. «Wein-Aficionados sind der Meinung, dass Grand Crus nur zu Fleisch wirklich passen», so Humm.
Vegan ist weiterhin möglich. Das angepasste Menü, das ab dem 14. Oktober serviert wird, sieben bis neun Gänge umfasst und 365 Dollar kostet, verzichtet grösstenteils weiter auf tierische Produkte. Die Gäste haben aber die Wahl, bei einigen Gerichten von Gemüse auf Fleisch, Fisch oder Seafood umzuschwenken. Es kann zum Beispiel zum Start eine Auster geben und später ein wenig Hummer oder die berühmte Dry-aged-Ente mit Honig und Lavendel. Humm denkt auch darüber nach, ein Pouletgericht einzubauen. Wer vollumfänglich vegan essen möchte, kann das weiterhin tun.
Eine neue kulinarische Sprache. In einem Newsletter an seine Gäste zieht Humm insgesamt aber eine sehr positive Bilanz der rein veganen Epoche. «Wir haben eine neue kulinarische Sprache geschaffen: Millefeuille ohne Butter, Meringue ohne Eier, Mandelmilch-Ricotta, Sonnenblumen-Butter, Koji-Fonds, Cashew-Schlagrahm, sogar Kaviar des Feldes. Wir liessen uns von Kulturen inspirieren, die wir zuvor übersehen hatten.» Dass das «Eleven Madison Park» 2022 das erste vegane 3-Sterne-Restaurant der Welt wurde, habe ihm ein Gefühl gegeben, als könne er auf Wasser laufen, betont der Kultchef.
Bald zurück: Humms Signature Dish, Ente mit Honig und Lavendel.
Der Entschluss reifte über Monate. Humm sagt, er habe Anfang Jahr auf einer Griechenland-Reise angefangen darüber nachzudenken, wieder Fleisch ins Menü zu nehmen. Dort wohnte er in den Bergen der Schlachtung einer Ziege bei und spürte, dass der Hirte, der das Tier tötete, sehr respektvoll vorging. Auch Zuschriften von potenziellen Gästen brachten ihn zum Nachdenken. Eine Frau etwa schrieb: «Ich wünschte, ich könnte mit meinem Mann bei Ihnen essen, er würde aber niemals mitkommen.» So habe er realisiert, dass er mit dem «veganen Dogma» Menschen ausschliesse, sagt Humm.
Fotos: Ye Fan, Evan Sung, David Schnapp, HO