Text/Fotos: David Schnapp, HO
Humms Rückkehr. Der Schweizer Daniel Humm kehrt zurück nach Europa: Am Montag öffnet sein neuestes Restaurant «Davies & Brook» im traditionsreichen Londoner Fünfsterne-Hotel Claridge’s. Der 43-Jährige verrät bei einem Besuch kurz vor dem Start, was er in der britischen Hauptstadt vorhat und zeigt Gerichte aus dem ersten Menü. Erst vor zwei Wochen wurde das Reservationssystem für «Davies and Brook» geöffnet, und jetzt schon ist das Restaurant für 60 Tage ausgebucht, rund 15'000 Reservationen wurden gemacht. «Das ist fast wie bei einem Rockkonzert», sagt Daniel Humm lachend.
«EMP» in Europa. Beim Betreten des neuen «Davies & Brook» wird klar, dies ist gewissermassen der europäische Cousin des «Eleven Madison Park» (EMP) in New York, das Daniel Humm als eines der besten Restaurants der Welt etablieren konnte. Auch in London betritt man einen grosszügigen Raum mit vielen Tischen, bequemen Sesseln, Blumen, einer Bar und der Wand entlang hängen Fotografien aus Island. Ein Gespräch mit dem Weltstar aus dem Aargau.
Daniel Humm, was brachte Sie dazu, ein Restaurant in London zu eröffnen?
Wir wurden vor etwa acht Jahren schon einmal angefragt, ob wir im Claridge’s etwas machen wollten und standen kurz vor der Zusage. Dann wachte ich am Morgen auf und meine innere Stimme sagte «Nein». Da ich meiner inneren Stimme vertraue sagte ich ab, obwohl ich dadurch viele Leute enttäuschen musste. Bald habe ich es auch bereut und dachte, der Zug sei abgefahren.
Aber es kam anders…
Zwischenzeitlich wurde zunächst das «Eleven Madison Park» zu dem, was es heute ist. Es wäre vielleicht nicht «The World’s Best Restaurant» geworden, wenn wir damals nach London gegangen wären. Es war also genau die richtige Entscheidung. Später wurden wir vom «Claridge’s» wieder angefragt, und jetzt passte es.
Ihre Vorstellung von dem Restaurant Davies & Brook haben sich immer wieder verändert. Was ist jetzt Ihr Ziel?
Meinen Leuten sage ich es so: «Wir wollen das beste Restaurant in London sein!» Das soll nicht arrogant klingen, im Gegenteil: Ich achte sehr darauf, dass wir niemals die Demut verlieren. Aber als Coach gehe ich mit meiner Mannschaft in jedes Spiel, um es zu gewinnen».
Was bedeutet das für das Konzept?
Vor acht Jahren hätte ich wahrscheinlich noch eine Kopie des «Eleven Madison Park» gemacht. Vor einem Jahr lag das Konzept irgendwo zwischen «EMP» und «NoMad» und heute würde ich sagen, ist es eine modernere Version des «EMP». Moderner in dem Sinn, dass es etwas zugänglicher ist. Es gibt Lunch-Menüs und abends gibt es nicht nur ein festes Menü sondern auch eine grosse A-la-Carte-Auswahl.
Wenn sich Konzepte laufend verändern, wie motivieren Sie Ihre Leute mitzuziehen?
Meine Ideen können sich von einem Tag auf den anderen verändern, deshalb ist es wichtig, dass ich Leute um mich herum habe, die mich schon lange kennen. Jeder in meinem Team hat andere Stärken, die ich sehe und fördere. Und meine Mitarbeiter vertrauen mittlerweile auch auf meine Stärken und folgen mir.
Sie besitzen das 3-Sterne-Restaurant Eleven Madison Park, führen die Gastronomie in den NoMad-Hotels in New York, Las Vegas und Los Angeles, dazu kommt ein Fast Food-Lokal in NYC und jetzt ein Fine-Dining-Lokal in London. Was ist eigentlich Ihre Stärke als Koch?
Es ist vielleicht vergleichbar mit einem Künstler: Der wird kein Grosser, weil er besonders gut malen kann, sondern weil er einen Moment erwischt. Als Koch ist es ähnlich, man wird nicht bekannt, weil man sehr gut kochen kann, das können viele. Man muss etwas kreieren, das in diesem Moment genau das richtige ist. Ich glaube, das gelingt mir heute auf Grund meiner Erfahrung und dem Gespür für den Ort.
Was heisst das für London?
In London zeigt sich für mich, dass sich Fine Dining verändern muss, um zu überleben. Viele Sterne-Lokale hier erinnern an vergangene Zeiten in Frankreich, sie sind etwas steif und verstaubt. Wir werden etwas völlig Neues einbringen mit unserem Stil. Wir haben zwar weisse Tischdecken, schönes Besteck und Geschirr, aber der Service ist locker, es läuft Musik und die Bar steht absichtlich so, dass man den Shaker hört, wenn ein Drink gemixt wird. Das bringt Leben in den Raum. Ich habe bereits ein Restaurant mit drei Sternen, das treibt mich nicht mehr an. Ich möchte, dass «Davies & Brook» eine Bedeutung für diese Stadt bekommt, sie bereichert und die Gäste motiviert, immer wieder zu kommen.
Erstes Test-Dinner. Abends findet ein erstes Test-Dinner für Freunde und Bekannte statt, erstmals arbeiten Service- und Küchencrew unter Normalbedingungen. Während im EMP ein Tasting-Menü mit einigen Wahlmöglichkeiten serviert wird, gibt es im «Davies and Brook» eine Auswahl an kalten und warmen Vorspeisen, Hauptgängen und Desserts aus denen man sich vier zum Preis von 98 Pfund (ca. 128 Franken) auswählen kann.
Viel Geschmack. Die ersten Gerichte erinnern stark an «Eleven Madison Park», etwa das Karottentatar mit Meerrettich, verschiedenen Kernen und Sprossen, eingelegter Senfsaat und Puntarelle, das viele Nuancen abdeckt: süss, sauer, scharf und salzig. Ein Teller mit Wintergemüse sieht unspektakulär aus, erhält aber durch eine intensive Gemüse-Pilz-Bouillon eine überraschende Tiefe mit viel Umami. Reich an Geschmack ist auch ein perfekt gebratener Kabeljau, der mit Miso, Kohlrabi und Kohl süsslich bis erdig eingebettet wird. Bei den Desserts darf natürlich «Milk & Honey» nicht fehlen, diese ikonische Süssspeise, die Humm immer wieder neu auflegt. Dieses mal mit Softeis, Honigtuille und -Karamell sowie einem italienischen Likör namens Tuaca.
Die Band Radiohead ist eine Inspirationsquelle für Ihr neues Restaurant, wie muss ich mir das vorstellen?
Radiohead hat mich immer fasziniert, weil sie sich ständig verändert haben. In der Küche von «Davies & Brook» hängt ein Display mit Begriffen, die uns an Radiohead erinnern: gedankenvoll, kreativ, cool, authentisch oder präsent. Es ist eine Art Richtschnur für unsere Arbeit.
Was ist heute eigentlich Ihre Rolle in der Küche?
Ich bin der Coach, ich kann die Leute motivieren, sie stärken und weiterbringen. Ich lege aber auch die Taktik fest: Ich bin an jedem Gericht, das wir hier zubereiten, beteiligt. Handwerklich gibt es natürlich viele Köche im Team, die besser sind als ich. Kürzlich sollte ich eine Ente vor dem Braten binden, das hat etwas Zeit gebraucht (lacht)…
>> Das Restaurant Davies and Brook im Hotel Claridge’s in London öffnet offiziell am Montag, 9. Dezember 2019. Gute Nachrichten für Schweizer Humm-Fans: Im Frühling 2020 kocht der Schweizer mit seinem Team im Zürcher Hotel Baur au Lac. Ausserdem werden während dieser Zeit auf dem Bürkliplatz zu Gunsten des Kinderspitals «Humm Dogs» verkauft. Details zu diesem Anlass werden baldmöglichst veröffentlicht.