Text: Kathia Baltisberger Fotos: Lucia Hunziker
«Ich bin der Chef!», stellt Andreas Wicki gleich klar. «Geht euch erst mal eine saubere Kochschürze anziehen», trägt Markus Wicki, 56, seinen Brüdern Andi, 51, und Thomas, 58, auf. In Tat und Wahrheit ist Markus nämlich der Chef im «Hirschen» in Oberkirch bei Sursee LU. Doch Andi drängt sich so nonchalant ins Zentrum, dass wir die eigenmächtig angeordnete Beförderung aber akzeptieren. Andreas und Thomas sind mit Down-Syndrom zur Welt gekommen. Dass sie im historischen Restaurant in der Küche arbeiten, ist für Markus Wicki das Normalste der Welt.
Grosses Bild oben: Andreas, Thomas und Markus Wicki (v.l.).
Alt und neu vereint: Hinter dem historischen Gebäude ragt das neue Hotel empor. Im Vordergrund die Terrasse.
Normal und doch ganz besonders. Andi sautiert den Blumenkohl, Thomas brät die Knödel-Scheiben an. «Am liebsten schäle ich Kartoffeln», erzählt Thomas. Die beiden Brüder sind vor allem für Rüstarbeiten zuständig, ab und zu schneiden sie auch was. «Dann ist halt mal nicht alles gleich gross geschnitten», sagt Wicki und zuckt mit den Schultern. Manchmal hätten sie auch ein «Kätsch» miteinander – genau wie alle anderen Geschwister auch. Dem 14-Punkte-Chef liegt es fern, solche Kleinigkeiten als Probleme zu bezeichnen. Da hat er schon ganz anderes erlebt.
Vor allem Rüstarbeiten machen Thomas und Andi. Manchmal dürfen sie auch etwas braten.
Der «Hirschen» stammt aus dem Jahr 1661. Das alte Haus ist auch nach dem Umbau noch erhalten.
Andi Wicki arbeitet seit 25 Jahren im Betrieb seines Bruders.
Teurer als geplant. Der «Hirschen» ist nämlich ein Mammut-Projekt. Vor über zehn Jahren entschied sich Wicki, das altehrwürdige Haus umzubauen. Nicht nur ein bisschen renovieren wollte er, sondern alles gleich richtig machen. Heute steht ein beeindruckender ovaler Neubau neben dem historischen Restaurant. 14-Punkte-Lokal mit offener Küche, Sonnenterrasse, Gourmetstübli, Hotel, Seminarräume. Das volle Programm. Die letzten Jahre waren nicht einfach für Wicki, schliesslich kostete das Projekt eine Stange Geld. «Es dauerte viel länger als geplant und es wurde teurer als geplant», sagt Wicki. Ende 2019 ist endlich alles fertig. Die Gäste hätten geniessen können, was Wicki für sie geplant hat. Doch dann schlug Corona dem Luzerner ein Schnippchen.
Im Hotel ist vor dem Restaurant und auf der Terrasse. Die Architektur des «Hirschen» ist beeindruckend.
Kein Plan B. «Das Virus kam denkbar ungünstig. Corona war der Supergau», urteilt Wicki knapp. Der Neustart erlitt einen Dämpfer mit der Wucht eines Vorschlaghammers. «Mittlerweile sind die Restaurant-Gäste zurück, aber die Zimmer sind schlecht gebucht.» Tagungsgäste und Geschäftsleute bleiben aus. Auch die Leute, die auf der Durchreise nach Italien hier halt machen fehlen. Umso erstaunlicher ist, dass Markus Wicki in seiner offenen, grossen Küche steht und pfeift – ja sogar singt. «Was soll ich denn tun? Plan A ist weitermachen. Und Plan B ist ebenfalls weitermachen.» Trübsal blasen liegt nicht drin. Viel wichtiger: Schnell schauen, dass Thomas die Knödel-Rondellen nicht verkohlen lässt.
Der eigentliche Chef: Markus Wicki kocht auf 14-Punkte-Niveau.
Verhungern muss niemand: geschmorte Rindsbacke mit Knödel.
Manchmal ein Herz und eine Seele, dann gibts wieder ein «Kätsch».
Der Foie-Gras-Dieb. Wicki richtet an. «Banditli, gib mal einen Teller!» Gemeint ist Andi. In der «Hirschen»-Küche hat jeder einen Spitznamen. «Wenn ich für zehn Gäste zehn Portionen Foie Gras bereitstelle und mich kurz wegdrehe, sind es nachher nur noch neun Portionen. Deshalb ist Andi der Bandit», erklärt Markus Wicki. «Foie Gras. Das hab ich schon gerne», bestätigt Andi und grinst als wäre er sich keiner Schuld bewusst. Die Knödel gibt’s zur geschmorten Rindsbacke und saisonalem Gemüse. Obendrauf liegt ein Wachtel-Spiegelei. Ebenfalls auf der aktuellen Karte: Ein Poulet-Involtini, gefüllt mit Feta und Tomaten. Dazu gibt’s Kräutergnocchi, Artischocken und Dörrtomaten. Thomas ist nach dem Mittagsservice geschafft. Er setzt sich zu einem Gast und moniert: «Ich brauche ein bisschen mehr frei.»
>> Hirschen Oberkirch
14 Punkte
Bahnstrasse 1
6208 Oberkirch
