Text: Urs Heller I Fotos: Thomas Buchwalder
So jung. Und schon so gut! Marco Campanella, 33, kocht im elegant renovierten Swiss Deluxe Hotel «Eden Roc» in Ascona überragend, geht konsequent seinen eigenen Weg. Geschmack ist King, und dafür scheut der Tessiner keinen Aufwand. Er arbeitet an einer perfekten Sauce oder an einem tiefen Fond schon mal drei Tage lang. Und er hat seine Tricks: Die Salzlake, je nach Produkt unterschiedlich dosiert, ist seine Geheimwaffe. Die Umami-Jagd ist permanent im Gang. Ausruhen auf Lorbeeren ist nicht sein Ding. Einer wie er ist süchtig nach Inspirationen. Die findet er, auch auf langen (Ferien-)Reisen nach Japan und Korea. 19-Punktechef Marco Campanella ist GaultMillaus grösste Entdeckung seit Andreas Caminada. Das ist 20 Jahre her.
Der kleinste Caesar’s Salad der Welt. Klasse haben bereits die aufregenden Starter. Ein «Ravanello» (Radieschen) mit asiatischer Mayo ist immer dabei. Neue kleine Kunstwerke kommen dazu. In einem Malz-Taco entdecken wir Rind und Aal; letzterer wird unerschrocken in Coca-Cola eingelegt, was den Fisch spürbar angenehmer macht. In einer Waffel stecken Algen, Kimchi und marinierter Wels («in carpione»). Und dann ist noch dieser verblüffende «Caesar Salad», wohl der kleinste der Welt: Hühnerfleisch, Cantabrico-Sardellen, Limettenzesten, Kopfsalat, konfiertes Eigelb, verpackt in eine elegante Sphäre. Das ist Fingerfood vom anderen Stern! Auf vergleichbarer Flughöhe das Amuse-bouche: Randen-Tatar mit einem kleinen Randen-Sorbet. Sorgt an diesem heissen Sommerabend für willkommene Abkühlung. Meerrettich wird noch darüber geraffelt, in Schärfe und Menge perfekt dosiert.
Signature Dish: Marco Campanellas Kaisergranat.
Stiller Chef, grosse Küche: Marco Campanella.
Ein starker Auftritt, auch für den Lostallo Lachs!
Die «Bisque di Gochujang». Ein «normaler» Lostallo-Lachs in einem 19-Punktemenü? Geht schon, wenn einer wie Campanella Regie führt. Der Lachs wird trocken gebeizt und mariniert, in Stangensellerie, Apfel, Dill und Koriander eingelegt, kriegt so eine buttrige Konsistenz. Dazu ein Lachs-Sashimi, serviert auf einer Mini-Brioche. Dann der Höhepunkt im «Menu Inspirazione»: Kaisergranat aus Norwegen! Der edle Scampo ruht eine Viertelstunde in der Salzlake, wird scharf angebraten und kriegt gleich zwei Saucen in den Teller. Einen raffinierten, zitronigen Amalfi-Schaum mit Erbsli drunter, eine «Bisque di Gochujang». Gochujang? Der Chef war mit seiner jungen Familie in Korea in den Ferien: «Das Land hat mich kulinarisch fast noch mehr beeindruckt als Japan. Ein Miso-Paradies!» Campanella hat drei Kilo dieser exklusiven Chili-Paste eingekauft und diskret im Koffer in die Schweiz importiert. Umami entsteht nicht einfach so: Drei Ansätze und milde Kokosmilch sind nötig, bis der Chef endlich zufrieden ist mit dem Ergebnis. Campanella ist ein «Side Dish»-King. Also gibt’s noch ein Kingfish-Tatar mit frittierten Gambaretti obendrauf. Auf einem dritten Teller liegt ein salziges Cannolo, gefüllt mit einer Krustentier-Glace. Nicht erschrecken, aber die Köpfe von Scampo und Carabinero werden dafür auch verwertet!
Merluzzo & Dashi-Beurre blanc. Merluzzo nero? So heisst im Süden der Black Cod, den Matsuhisa Nobu weltweit berühmt gemacht hat. Campanella setzt im Gegensatz zum japanisch-peruanischen Guru nicht auf Süsse, sondern auf Säure. Er mariniert den Cod 45 Minuten lang, lässt ihn einen Tag im Kühlschrank ruhen, dämpft ihn dann bei 42 Grad, flämmt ihn mit hoher Feuerkraft ab. Die letzten weissen Spargeln der Saison, die Kult-Händler Caspar Ruetz im Badischen stechen liess, liegen zusammen mit dem Merluzzo in einer grossartig ausbalancierten Dashi-Beurre blanc. Dazu gibt’s Sepia-Spaghetti, Alici (Sardellen) sorgen für den Umami-Extrakick. Ein Ravioli schafft es im «La Brezza» immer ins Menü. Verblüffende Variante diesmal: Iberico-Schweinebäggli in der Füllung, Paprika und Bärlauchknospen in der Sauce. Campanellas Team verarbeitete 250 Paprikas, um schliesslich drei Liter (veganen) Saft zu haben. Aufwand total!
Marco Campanella ist Teamplayer. Seine Köche bleiben ihm über Jahre hinweg treu, in Ascona und in Arosa.
Alles vom Lamm. Auch die Zunge. Alfred von Escher, Zürichs berühmter «Artisan en Comestibles», hat bei Campanella einen fixen Startplatz. Sisteron-Lamm ist es diesmal, mehrere Wochen zusätzlich abgehangen. «Mir ist es wichtig, vom Tier alles zu verwenden», sagt der Chef. Also gibt es nicht nur den noblen Rücken, sondern auch einen Zungensalat (!) und auf «Pita Bread» den Lammbauch. Und die Lammhaxe? Steckt kleinstteilig in der wunderbaren Sauce. Vegan geht auch. Ein «Menu Moving Mountains» liegt auf, mit Sellerie, Morchel und Haselnuss im Hauptgang.
Team Campanella. Campanella kann sich bei seinem Sprint an die Schweizer Spitze auf starke Verbündete verlassen. Alessio Sauro ist sein verlässlicher Souschef, Livia Bucheli die ehrgeizige Pâtissière. Ihr Auftritt: Waldbeeren-Sorbet, am Tisch mit Stickstoff und Schwingbesen zubereitet, eine Aprikosen-Variation, erstklassige Friandises. An der Front machen die beiden Restaurantleiter Katrin Wilhelm und Nicola Russo tiefenentspannt einen prima Job. Russo ist auch für die Weinbegleitung zuständig, kennt die Küche des Chefs, kombiniert sehr gut. Dass es kein einziger Schweizer Winzer ins Line-up schafft, ist allerdings etwas unfreundlich.