Text: Caroline Micaela Hauger | Fotos: Thomas Buchwalder

Ein Luzerner am Bodensee. Silvio Germann ist im Garten anzutreffen. Nicht am Kräuter zupfen oder Rüebli ernten: Er mäht den Rasen. Wir sind auf dem «Mammertsberg» im thurgauischen Freidorf. Die kleine Gemeinde liegt fünfzehn Autominuten von St. Gallen entfernt, direkt beim Bahnhof. Der Blick auf den Bodensee ist traumhaft und das Anwesen, um dessen Pflege sich der Chef gerade persönlich kümmert, gehört seit kurzem zu den besten Gourmet-Adressen des Landes. Germann ist ein waschechter Luzerner, aufgewachsen mit zwei Brüdern in Grosswangen bei Willisau. In den letzten sieben Jahren startete er als Küchenchef im «Igniv by Caminada» im Grand Resort Bad Ragaz durch. 18 GaultMillau-Punkte, zwei Michelin-Sterne. Dass er nun in «Mostindien» gelandet ist, darüber reibt er sich selbst die Augen. «Die Gegend ist wunderschön, das Potential berauschend. Ja, ich bin glücklich hier.» Der Shootingstar ist gekommen, um zu bleiben.

«Den Gerichten eine Seele einhauchen.» Silvio Germann ist GaultMillaus «Koch des Jahres 2024» und mit erst 34 Jahren einer der Jüngsten mit dieser Auszeichnung. Dass er so eine steile Karriere hinlegt, hätte er selber nie gedacht. Vielleicht ist er aber auch nur bescheiden. Der Sohn eines Schulhausabwarts und einer Mutter, die super kochen kann, wollte eigentlich nie nach den Sternen greifen. Die stolzen Auszeichnungen sprechen eine andere Sprache. «Ich liebe es, Gerichten eine Seele einzuhauchen und die Gäste ins Universum der Sinne zu entführen.» Seine Vision: Eine knackige, trendige, aussergewöhnliche Küche. Sein Team: Jung und engagiert. Sein Spirit: Weltoffen und kreativ. Kollegialität und Vertrauen steht für Germann an erster Stelle, «denn Kochen ist und bleibt Teamarbeit. Wenn ein Chef ein Arschloch ist Chef, klappts nicht.» Er selber bezeichnet sich eher als ruhiger, besonnener Typ, der auch in hektischen Momenten einen kühlen Kopf bewahrt. Laut wird er selten. Und wenn, dann tuts im gleich wieder leid.

Silvio Germann, Koch des Jahres, 2024

Team Mammertsberg: (v.l.) Carolin Gerling, Giuseppe Lo Vasco, Silvio Germann, Jonas Grundner, Steffi Mittler.

Silvio Germann, Koch des Jahres, 2024

Für das perfekte Pairing geht es öfter mal in den Keller: Giuseppe Lo Vasco und Silvio Germann.

Eine zweite Küche. Nur für die Starters! Seine Kreationen sind gradlinig und doch verspielt. Beim Finish legt er selbst Hand an, setzt mit der Pinzette Blüten und Sprossen drauf, auch mal am Tisch, draussen bei den Gästen. Ein Diner «chez Silvio» beginnt im Dachstock des Landschlosses. Eine zweite (!) Küche wurde eingebaut, nur für die Amuse-bouche-Gerichte. Die jungen Köche bringen selbstbewusst und locker ihre Snacks an die kleinen Salontische, mit kurzer, knapper Erklärung. Die spektakulärsten Dinger: eine Tartelette mit Tomate und Kimchi, die im Mund beim ersten Zungenschlag förmlich explodiert. Und ein Cracker mit Sbrinz und Trüffel. Über die ikonische Treppe von Architektin Tilla Theus, mittlerweile in eine schwarze Folie verpackt, geht’s dann runter ins entspannt-elegante Restaurant. Im Menü: Makrele, Saibling, Sommerreh, Iberico-Schwein (Bellota) – und zwischendurch die kleinsten und vielleicht auch besten Gnocchi der Welt, mit Nussbutterschaum. Die volle Ladung Umami!

Silvio Germann, Koch des Jahres, 2024

Sommelier Giuseppe Lo Vasco: Auch für witzige, alkoholfreie Getränke zu haben.

Silvio Germann, Koch des Jahres, 2024

Die Frau an Silvios Seite: Anwältin Monja Mätzler.

Silvio Germann, Koch des Jahres, 2024

Das macht der Chef! Silvio Germann mäht den Rasen. 

Ein kulinarisches Freiluftmuseum. Bis zum Bodensee sind es fünf Kilometer. Klar, dass der See die Küche beeinflusst. Felchen, Zander, Forelle, Aal stehen regelmässig auf der Karte. Die Gegend: Ein kulinarisches Freiluftmuseum. Wenn im Frühling die Obstbäume blühen, blickt man auf ein Meer aus Weiss. Ob Fleisch, Gemüse, Obst: Das meiste stammt von den umliegenden Produzenten. Auch die Desserts von Chef-Pâtissière Stephanie Mittler sind Hingucker, mit eigener Aromatik. Süss, sauer, betörend: Vom Lavendelmousse, der Aprikosentarte, dem Haselnuss-Eis bis zur Thurgauer Blaubeere mundet alles wie im Schlaraffenland. Schlemmen im «Mammertsberg» hat seinen Preis. Drei Gänge gibts für 184 Franken, fünf Gänge für 238 Franken. Die Weinbegleitung kostet extra. Total im Trend: Biologisch gereifte Naturweine. Und witzige, alkoholfreie Zaubertränke, wie Kombucha auf Verbene-Basis. Germann heckt viele Gerichte aus, zusammen mit seinem Souschef Jonas Grundner und Sommelier Giuseppe Lo Vasco. Die besten Ideen kommen ihm beim Autofahren. Noch wohnt der leidenschaftliche Golfspieler in Bad Ragaz. Nach dem letzten Service am Sonntagabend fährt er müde, aber glücklich nach Hause. Mittwoch früh reist er wieder an.

Die Schlossgeister von Mammertsberg. Die tolle Atmosphäre mit einem Mix aus historischen und modernen Elementen gefällt Silvio Germann. «Das Haus hat eine Wohlfühl-Seele. Und wie in jedem anständigen Schloss gibt es auch bei uns Geister. Aber keine Angst: Es sind alles gute Geister!» Der Mammerstsberg gehört zur Caminada-Collection. Silvio Germann übernahm mit seinem Mentor Andreas Caminada die Pacht des Hotels mit Lounge, Bar, Fumoir und Weinkeller (4000 Flaschen, 850 Positionen). Es ist sein erstes eigenes Projekt, trägt seine Handschrift. «Fois Gras habe ich von der Karte gestrichen. Trüffel und Kaviar hingegen mag ich sehr und verwende es gern.» Die erste Wintersaison war hart für den ambitionierten Koch, der nun auch Geschäftsmann ist. «Als im Februar weniger Gäste kamen als erwartet, bekam ich ein wenig kalte Füsse.» Im Frühling füllte sich das Reservationsbuch schnell wieder. Dann treffen sich die Gäste im Schlossgarten, gestaltet von Enzo Enea.

«Au-Pair» im Welschland. Silvio Germann ist sich gewohnt, ins kalte Wasser zu springen. Weil er mit 16 keine Lehrstelle als Koch bekam, ging er als Au-Pair ins Welschland. Dann klappte es doch noch, in einem gutbürgerlichen Restaurant in Sempach. Zwei Jahre arbeitete er bei Sandro Steingruber im Waldhaus Flims. Weil Steingruber mit Caminada befreundet war, durfte er bei seinem Idol auf Schloss Schauenstein in Fürstenau probearbeiten – mit 22 Jahren! «Ich war komplett überfordert, aber wir waren uns von Anfang an sympathisch.» Nach einem Job in São Paulo unterbreitete ihm Caminada die Idee, ein weiteres Restaurant zu eröffnen. «Eine unglaubliche Chance. Ich konnte von Anfang an mitentscheiden.» Wie erklärt sich Germann, dass ausgerechnet er sowohl im «Igniv» als auch im «Mammertsberg» zur Nummer 1 wurde? «Ich denke, ich hatte einfach Glück.» Was für ein charmanter Tiefstapler. Die Frau an seiner Seite: Monja Mätzler, früher Golf-Profi (Handicap 0,4), heute Juristin in der Kanzlei ihres Vaters.

www.mammertsberg.ch


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