Fotos: Thomas Buchwalder

Escalope de Veau à la façon du Patron. Die Sache nahm 2021 nach den Corona-Schliessungen ihren Lauf. Damals beschloss Philipp Buholzer, Gastgeber im «Old Swiss House» in Luzern, die mit dem Vermerk «Escalope de Veau à la façon du Patron» umschriebene Hausspezialität künftig auf der Speisekarte in aller Kürze nur noch «Wiener Schnitzel» zu nennen. Das panierte Fleisch wird im Traditionsbetrieb seit über 80 Jahren angeboten, aktuell wird es von rund 70 Prozent aller Gäste bestellt, 1400 Portionen sind es monatlich. Vom Service, adrett mit Dirndl bekleidet, wird das Kalbfleisch mit filigranen Handgriffen am Tisch in Ei und Parmesan gewendet. Dann mit Brotbröseln paniert und in einer Kupferpfanne mit gut 100 Gramm geschmolzener Butter zubereitet. Warum diese Änderung der Bezeichnung? «Wir haben damals die Karte vereinfacht, machten sie statt drei- neu zweisprachig. Und im Volksmund ist Wiener Schnitzel für alle bestens verständlich», so Buholzer. Grosses Bild oben: Im «Old Swiss House» wird das Wiener Schnitzel mit Brösmelinüdeli serviert.

 

1,2 Millionen Tiktok-Klicks. Der Aufschrei erfolgte in den letzten Tagen: Die Tiktokerin Gigip_8 hatte begeistert von der Spezialität im Luzerner «Swiss Old House» berichtet. «Trust me, you have never tasted a Wienerschnitzel like this», schrieb sie. Der Post wurde 1,2 Millionen Mal geklickt, über 6000 Mal kommentiert. In gefühlt ganz Österreich machte sich eine kollektive Empörung breit: Wie kann man diese Speise (gut schmeckt sie, da herrscht Einigkeit) überhaupt «Wiener Schnitzel» nennen? Wo sie sich doch in zwei wesentlichen Dingen von der österreichischen Machart unterscheidet? Erstens wird das Fleisch zu Beginn der Zubereitung nicht in Mehl gewendet. «Das gäbe eine allzu grosse Sauerei», wie es eine Serviceangestellte dem Schreibenden vor Jahren mal erklärt hat. Und zweitens ist, wie bereits erwähnt, Parmesankäse eine der Zutaten. Anders gesagt: «… you have never tasted a Wienerschnitzel like this.» 

 

Philipp und Hanny Buhelzer („Old Swiss House“, Luzern). (c) Bruno Voser

Sie schreiben «Old Swiss House»-Geschichte: Philipp Buholzer und seine Mutter Hanny (Foto von 2016).

Restaurant Old Swiss House 2020

70 Prozent der Gäste im «Old Swiss House», Luzern bestellen das Wiener Schnitzel.

Restaurant Old Swiss House 2020: Magda

Hier kocht der Service: Das Wiener Schnitzel wird direkt am Tisch zubereitet.

War das helvetische Cordon bleu zuerst? Unsere östlichen Nachbarn haben nun also beinahe Schaum vor dem Mund. «Des is ka wiener schnitzel!!!!!!!!!», heisst es in einem Kommentar. Offensichtlich geht der Humor in solchen Dingen schnell verloren – so auch, wenn immer wieder behauptet wird, das österreichische Schnitzel sei ein Abkömmling des italienischen Costoletta alla milanese. Oder dass sogar die Mauren schon im Mittelalter golden panierte Schnitzel kannten. Als wohl früheste nachgewiesene Erwähnung des Wiener Schnitzels in Österreich gilt übrigens Maria Anna Neudeckers «Allerneuestes allgemeines Kochbuch» von 1831. Wir halten dagegen: Das «Kulinarische Erbe der Schweiz» setzt die Erfindung des Cordon bleus, also des mit Schinken und Käse gefüllten, panierten Schnitzels, im Jahre 1808 an. 

Pizza Hawaii, ein Verkaufsschlager. Kurzum: Die Erfindung von Gerichten kann selten genau datiert und verortet werden. Zudem ist die Weiterentwicklung von traditionellen Rezepten halt wirklich sehr, sehr menschlich: Hätten die Japaner die alleinige Hoheit über die Sushi-Zubereitung inne, gäbe es bis heute keine köstlichen California Rolls. Und dürften einzig die Italiener über den Belag von Pizzas entscheiden, gäbe es wohl auch keine Version «Hawaii» mit Schinken und Ananas – in Australien immerhin mit 15 Prozent Marktanteil die beliebteste Variante. Der freigeistige Umgang mit kulinarischen Traditionen muss also nicht per se schlecht sein. Das findet nicht zuletzt Philipp Buholzer: «Für uns ist diese Tiktok-Sache einfach die beste Werbung, die wir haben können.» 

 

>> www.oldswisshouse.ch


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