Text: David Schnapp Fotos: Thomas Buchwalder
Jetlag um Mitternacht. Am Nachmittag habe ich geschlafen, dann einen Bauernschüblig mit Kartoffelsalat gegessen und anschliessend nochmals geschlafen. Als ich um 23.30 Uhr wieder bei Eigenbrötler Daniel Amrein und seinem Sohn Sven zum Dienst erscheine, fühlt es sich etwas an wie Jetlag. Aber für Müdigkeit ist keine Zeit, das Tempo zieht jetzt ziemlich an. Am zweiten Tag meiner kurzen Schnupperlehre bei einem der besten Bäcker der Schweiz, werden die Teige vom Vortag aufgearbeitet, zu Broten geformt und gebacken.
«Ich war schnell überfordert.» Während es am ersten Tag noch recht entspannt voranging, zieht das Tempo nun merklich an. Neben Daniel Amrein ist nun auch sein Sohn Sven in der Backstube. Ich stehe am Holztisch mit den beiden Bäckerinnen Esther und Claudia. In einem schwindelerregenden Tempo portionieren die beiden Profis Teig und formen daraus mit wenigen geschickten Handbewegungen Brote und Brötchen. Meine Versuche, dabei halbwegs mitzuhalten, bleiben Versuche. Schon die Koordination der Bewegungen mit den Händen stellt eine Überforderung dar. Den Teigling mit der einen Hand zu drehen und gleichzeitig mit der andern leicht auf die Arbeitsfläche zu schlagen, ist noch schwieriger, als es aussieht.
Holzofen & Motorräder. Im Obergeschoss hat Daniel Amrein ein ehemaliges Café zu einer Art persönlichen Bäckereiwohnzimmer umgestaltet. Ein gewaltiger Holzofen aus hunderten schwarzen Ziegelsteinen dominiert den vorderen Teil des Raumes, hinten stehen einige Tische und Amreins alte Motorräder sind dazwischen parkiert – die zweite Leidenschaft des Bäckers, abgesehen vom Brot natürlich. Der Ofen, ein Werk von Hermann Heuft aus Bell in Deutschland, gilt als Rolls-Royce unter den Holzbacköfen. Ein Unikat, in wochenlanger Handarbeit Stein für Stein aufgebaut. Daniel Amrein feuert mit Tannenholz, das durch seinen hohen Harzanteil ideal ist, um eine lange gleichmässige Hitze entwickeln zu können.
Der Eigenbrötler ist auf dem Luzerner Wochenmarkt der Star. Den Durchbruch schaffte der Eigenbrötler auf dem Markt in Luzern, wo er irgendwann anfing, seine Sauerteigbrote, die Luzerner Weggen, die Dinkel-Roggen-Kraftpakete oder die aus sechs Strängen geflochtenen Butterzöpfe zu verkaufen. Die Eigenbrötler-Qualität hat sich durchgesetzt, heute schickt Daniel Amrein einem erfolgreichen Anwalt wöchentlich zwei Brote per Post, auf dem Markt bilden sich dienstags und samstags lange Warteschlangen am Stand und auch die gastronomischen Betriebe, die Amreins Brot bekommen, sind begeistert: «Dal Mulin» in St. Moritz, Park Hotel Vitznau oder die Restaurants Bauernschänke und Neue Taverne von Nenad Mlinarevic in Zürich. Nicht jeder, der möchte, bekommt Eigenbrötler-Brot. «Ich will nicht zu gross werden, sonst verliere ich das, was uns auszeichnet.»
Was aus Daniel Amreins Holzofen kommt, hat Charakter. Geschmacklich, aber auch handwerklich. Die Brote werden nicht eingeschnitten, sondern mit der «Nahtstelle» nach oben gebacken, so dass die Kruste wild aufreisst und jeden Laib etwas anders und sehr eigen aussehen lässt. Unter Amreins Anleitung forme ich jetzt Baguettes mit Tomaten und Oliven aus dem Teig, den ich am Vortag angesetzt habe. Den Teig ohne Zusatz bringe ich in eine runde Form, bevor es im Untergeschoss mit dem Rollen von Croissants weitergeht. Sven Amrein helfe ich beim hineinwuchten von Broten in den konventionellen Ofen, in dem kleinere Brote gebacken werden. Das Tempo ist hoch, «je schneller wir fertig sind, desto früher können wir nach Hause», erklärt eine der Bäckerinnen. Kurz vor 5 Uhr sind auch meine Brote fertig, einen Teil davon haben wir nur zu 70 Prozent gebacken. So lassen sie sich, luftdicht verpackt in Frischhaltefolie einfrieren und bei Bedarf auftauen und fertig backen. Um zehn Uhr wache ich aus meinem tiefen Bäckersschlaf auf und im Bad stelle ich fest, dass immer noch etwas Teig an meinen Händen klebt. Die Welt des Eigenbrötlers lässt mich buchstäblich nicht mehr los.