Gästekartei führen sie beide. Wie locker darf guter Service heutzutage sein? Und gibt man den Wein noch immer dem Mann am Tisch zum Probieren? Diese Fragen gehen an Ines Triebenbacher, Gastgeberin des Jahres im «Igniv» Zürich (17 Punkte), und an Hervé Mahler, «Premier maître d’hôtel» in der Brasserie Le Trois Rois (15 Punkte) in Basel. Worin sich die zwei Vollprofis von Beginn weg einig sind: Gelebte Gastfreundschaft spielt sich vor allem hinter den Kulissen ab. «Wir sprechen uns ab und führen eine Gästekartei», geben sie nämlich beide zu Protokoll. Da stehe dann drin, wer sein Mineralwasser mit oder ohne Kohlensäure trinkt. Welches der Lieblingstisch sei, welche Unverträglichkeiten jemand habe. Oder dass ein Gast nicht immer mit der gleichen Frau vorbeikommt, fügt Ines Triebenbacher schmunzelnd hinzu.
Wenn die Mutter eingeladen wird. Vielleicht etwas weniger pikant: die Frage nach der Damenkarte. Wird eine solche Speisekarte, auf welcher die Preise für die Gerichte fehlen, eigentlich noch angeboten? «Selbstverständlich ist sie noch im Einsatz – allerdings brauchen wir sie vielleicht einmal pro Quartal», so Hervé Mahler. Er selbst findet es eine schöne Sache, wenn jemand eingeladen wird und sich keine Gedanken machen muss über die Kosten des Abends. «Wenn ich meine Mutter ausführen möchte, schätze ich das.» Natürlich gibt Mahler zu, dass der Name «Damenkarte» inzwischen wohl überholt sei. Oder wie es Ines Triebenbacher keck formuliert: «Was ist eine Damenkarte?»
«Ich frage immer, wer den Wein probieren möchte», sagt Gastgeberin Ines Triebenbacher.
Weinkarte – nicht nur für Männer. Unweigerlich landet man bei der Frage, ob Frauen und Männer inzwischen wirklich immer gleich bedient werden. Beim Wein scheint der Fall klar: Die Zeiten, in denen man die Weinkarte selbstverständlich den Männern hinstreckte, sind definitiv vorbei. Probieren solle derjenige, der den Wein bestellt hat, findet Mahler. Ines Triebenbacher handhabt die Sache ein wenig anders: «Ich frage immer, wer denn probieren möchte. Oder gebe am Zweitertisch am liebsten gleich beiden ein Schlückchen.» Einig sind sich die beiden, was das Auftragen des Essens betrifft: «Natürlich bekommen Frauen und ältere Menschen ihren Teller vor den Männern und den Jüngeren», sagt Mahler. Und da stimmt Ines im Grossen und Ganzen zu. «Bei einem Zweiertisch ist es natürlich noch besser, wenn man zu Zweit hingeht und den Tellern beiden Gästen zugleich hinstellen kann.»
«Flip-Flops und kurze Hosen sind bei uns nicht erwünscht», sagt Maître Hervé Mahler.
Die No-Go’s bei den Gästen. Was beide Gastgeber wirklich sympathisch finden: Wenn der Mann sich aufmerksam vom Stuhl erhebt, wenn die Dame kurz den Tisch verlässt. «Das kommt bei uns alle drei Monate mal vor», erzählt Ines Triebenbacher. «Das imponiert mir.» Hervé Mahler sieht das in Basel öfters: «Bei uns ist das alltäglich.» Wie benehmen sich denn die Gäste im urbanen «Igniv» und in der gehobenen Brasserie sonst? Hält man sich heute noch an Kleiderregeln? Krawatten seien selten geworden, berichten die Profis unabhängig voneinander. Und formulieren auch gleich, was sie in ihren Betrieben nicht so gerne sehen. «Flip-Flops und kurze Hosen sind bei uns nicht erwünscht», sagt Hervé Mahler. «Baseballcaps und Ausschnitte, die bis zum Bauchnabel gehen, sind nicht mein Fall», ergänzt Ines Triebenbacher. Wobei nun der Maître ein wenig relativiert: Im Zweifelsfalle gebe es ja auch die Möglichkeit, unpassend angezogene Gäste an einen etwas abseits positionierten Tisch zu setzen.
Schmerzlich vermisst: Bitte und Danke! Gilt das sprichwörtliche «Der Kunde ist König» eigentlich noch? So wie man es beide vor Jahren noch gelernt haben? Wer mit Triebenbacher und Mahler spricht, merkt schnell, dass die Situation komplexer geworden ist. «Idealerweise begegnet man sich auf Augenhöhe», formuliert es Ines Triebenbacher vorsichtig. «Wir versuchen, zu den Gästewünschen in aller Regel nicht nein zu sagen – erwarten aber schon auch Respekt», so Mahler. Gibt es denn Knigge-Regeln, die man früher vielleicht noch kannte und die sie vermissen? «Ich wünschte mir», so Hervé Mahler, «dass die Gäste manchmal das Handy wieder weglegen und mehr geniessen würden.» Auch Ines Triebenbacher zögert kein wenig mit ihrer Antwort: «Etwas mehr Danke und Bitte – das würde mir eigentlich schon reichen.»
Fotos: Lukas Lienhard, HO, Adrian Bretscher