Text: David Schnapp

Rudi Bindella, wie sehr freuen Sie sich darauf, dass Restaurants wieder geöffnet werden nach dem wochenlangen Lockdown?

Die erste Reaktion auf den Entscheid war natürlich Riesenfreude. Uns wurde ja von einem Tag auf den andern der Boden für unser Geschäft entzogen. Es besteht eine gewisse Verunsicherung: Kommen die Gäste wirklich zurück? Manche reservieren bereits und schreiben uns, weil sie bestimmte Gerichte und bekannte Gesichter vermissen. Andere warten lieber. Wir haben bei manchen Restaurants ein mit uns gewachsenes, älteres Stammpublikum, das wohl eher vorsichtig sein wird.

 

Ganz konkret: Wo öffnen Sie wieder und wo nicht?

Rund 40 unserer Betriebe öffnen wieder, nur wenige müssen wir auf Grund der Platzverhältnisse geschlossen lassen. Wir haben aber für jeden Betrieb die Öffnungstage und -zeiten, das Angebot und die Personalsituation neu definiert. Das heisst, wir reduzieren das Angebot, und wir haben weniger Mitarbeitende im Einsatz.

 

Ändern Sie die Öffnungszeiten?

Die Zeiten werden angepasst, in einer ersten Phase werden zum Beispiel weniger Betriebe am Sonntag offen haben, es kommt aber auf jedes Mikroumfeld an. Die «Santa Lucia Corso» am Zürcher Bellevue zum Beispiel, wo am Wochenende viele Gäste aus dem «Mascotte» zum Essen kommen, muss nicht mehr bis 4 Uhr morgens offen haben, so lange der Club geschlossen bleibt.

Giuseppe D'Errico Ornellaia 2019

Darf noch nicht zurück an den Herd: 17-Punkte-Chef Giuseppe D'Errico im «Ornellaia» Zürich.

Wie sieht es mit dem «Ornellaia» aus, Ihrem Spitzenrestaurant von Chef Giuseppe D’Errico mit 17 Punkten in Zürich?

Das ist genau eines dieser Lokale, wo die 2-Meter-Abstandsregel dazu führt, dass wir zu wenig Tische besetzen könnten. Es lohnt sich nicht, den Betrieb jetzt aufzunehmen.

 

Wie gehen Sie generell mit den neuen Vorschriften um?

Wir müssen Wege finden, um die Gastronomie nach unseren Vorstellungen und unter den herrschenden Auflagen zu betreiben. Wir haben im «Più» schon erste Tests mit Plexiglas-Trennwänden gemacht. Das scheint uns ein gangbarer Weg zu sein, damit die Gäste unsere Betriebe als «sicher» wahrnehmen.

 

Sind Sie eigentlich neidisch auf die Gastronomen in Schweden, die ihre Lokale nicht schliessen mussten?

Schweden hat einen mutigen Weg gewählt, das scheint sich gar nicht so schlecht zu entwickeln. Aber auch die schwedischen Kollegen haben bis zu 50 Prozent Rückgang in den Restaurants. Sie haben dafür die enormen Kosten des Runter- und Rauffahrens nicht. Diese Kosten werden oft unterschätzt.

 

Die Corona-Krise trifft Gastronomie und Hotellerie hart, internationale Gäste werden wohl noch eine Weile ausbleiben, wie schätzen Sie die Lage ein?

Die Krise wird uns vor grosse Herausforderungen stellen, die Umsätze werden noch für einige Zeit deutlich tiefer ausfallen. Und es braucht extrem viel Disziplin, wenn es etwa um die Mitarbeiterplanung geht. Ohne Kurzarbeit könnten wir die Personalkosten nicht verkraften. Aber auch wenn die Aufbauphase jetzt defizitär sein wird, ist es wichtig, Restaurants zu öffnen, und die Motoren wieder warm laufen zu lassen – und einladende Zeichen zu setzen.

Ristorante Piu Schiffbau Zürich

«Restaurants sind soziale Orte»: im «Ristorante Più Schiffbau» in Zürich werden Plexiglas-Scheiben installiert.

Warum ist Ihnen das wichtig?

Restaurants sind ja soziale Orte, wir wollen auch einen Beitrag zur Wiederbelebung der Innenstädte leisten. Wenn die Läden wieder öffnen, sollten auch Restaurants zugänglich sein. Das bedingt sich gegenseitig, um ein Stück Normalität zurückzubringen.

 

Ihr Vater hat bekannt gegeben, dass Bindella als Immobilienbesitzerin ihren gewerblichen Mietern die Miete erlassen hat.

Die Bindella Terra Vite Vita AG, unter der unsere Gastronomiebetriebe zusammengefasst werden, hat unseren eigenen Betrieben die Miete während der Zwangsschliessung erlassen. Das Problem sind unserer Ansicht nach nicht primär die Mieten während der zwei Monate Lockdown.

 

Sondern?

Wenn die Umsätze jetzt während der eingeschränkten Öffnung drastisch sinken, werden die meisten Betriebe nicht kostendeckend arbeiten können. Deshalb sollten die Vermieter den Gastronomen Umsatzmieten (ohne Mindestmiete) anbieten, die auf die jetzt erzielbaren Umsätze abstellen. Wir sitzen alle im selben Boot. Ein Vermieter wird in der jetzigen Situation kaum jemand anderen finden, der bereit ist, die höheren Mieten aus der Zeit vor der Schliessung zu entrichten. Der Bundesrat hat es mehrmals wiederholt: Alle müssen sich an diesen exorbitant hohen Kosten für den Gesundheitsschutz beteiligen.

 

Sie haben ein grosses Projekt für eine neue «Più»-Pizzeria im alten Postgebäude Zug: Was passiert damit?

Wir machen weiter und sind in der Planung. Wie es sich entwickelt, kann ich im Moment nicht sagen. Es bleibt ein Herzensprojekt von meinem Vater und mir. Wir verhandeln zurzeit mit der Eigentümerin der Liegenschaft, der Schweizer Post.

Restaurant Ornellaia, Bindella - Eröffnung St. Annagasse Zürich

Vater und Sohn: die Bindellas führen gemeinsam ihre Firma Terra Vite Vita AG.

Das Traditionslokal «Chez Donati» in Basel haben Sie letztes Jahr übernommen und kurz vor dem Lockdown neu eröffnet. Wie geht es dort weiter?

Wir haben das Lokal ja aufgefrischt und waren von der erfreulichen Umsatzsteigerung positiv überrascht. Gastgeber bleibt Salvatore Testa, der alle Stammgäste kennt.

 

Ist absehbar, ob Sie Lokale schliessen müssen?

Nein. Wir setzen alles daran, unsere Lokale weiterzuführen. Wir rechnen jedoch mit einer längeren Übergangsphase; die grossen Prüfungen stehen uns noch bevor.

 

Wurde Bindella eigentlich politisch aktiv, um der Gastronomie mehr Gehör zu verschaffen?

Mein Vater und ich haben uns zusammen mit anderen Gastronomen beim Bundesrat stark dafür eingesetzt, dass die Freude am Leben, die letztlich ja unser Motto ist, wieder zurückkehrt. So viel kann ich sagen.

Seit letztem Herbst bieten Sie über die «Santa Lucia»-Betriebe auch einen Lieferservice an. Hat sich das gelohnt?

Fünf unserer Betriebe bieten Take Away und Lieferservice an, die Umsätze haben sich in den letzten Wochen verfünffacht. Auch wenn dies natürlich ein Bruchteil des gesamten Restaurantbetriebs ist, war es gut für uns, dass wir dieses Geschäft nach unseren Vorstellungen aufgezogen haben. Eine «Santa Lucia»-Pizza wird von einem Bindella-Mitarbeitenden ausgeliefert und nicht von einem anonymen Dienstleister.

 

Wo haben Sie selbst eigentlich gegessen während der Lockdown-Zeit?

Meine Frau hat sich als exzellente Köchin bewiesen, den Kindern und mir hat es ausgezeichnet geschmeckt. Auch das Santa-Lucia-Angebot zum Mitnehmen hat sich bewährt. Und ich habe die Qualität des gemeinsamen Mittagessens mit der Familie neu entdeckt und mir vorgenommen, auch in Zukunft mindestens zweimal wöchentlich mittags zu Hause zu essen.

 

>> Rudi Bindella jr. (Jahrgang 1977) ist Ökonom und leitet gemeinsam mit seinem Vater Rudi Bindella das Familienunternehmen, das rund 1300 Leute beschäftigt. Zur Firma gehören ein Weinhandel mit eigenem Weingut, Immobilien, Handwerksbetriebe sowie rund 45 Restaurants in der ganzen Schweiz.