Fotos: Julia Ishac

GOLD & GRÜN. Das Napfgebiet rund um Willisau im Luzerner Hinterland hat Star-Potenzial. Es ist bildschön. In Jahrmillionen haben Gletscher eine sanft gewellte Hügellandschaft erschaffen, die im Frühling in tausend Tönen von Grün erstrahlt. Kämen die Hobbits aus ihrem Auenland hierher, sie würden sich wie in ihrer Fantasy-Heimat fühlen. Und wenn weisser Dunst die Landschaft verhüllt, sieht das aus wie die mystischen Nebel von Avalon. Was nicht zu sehen ist: Unterirdisch verbirgt sich Gold! Das Napfgebiet rühmt sich als eine der goldreichsten Gegenden der Schweiz. Napfgold gilt als eines der reinsten weltweit. Über den vielen Lärm, der um das Rheingold aus Wagners Opernwerk «Der Ring der Nibelungen» gemacht wird, lächeln die Einheimischen milde – sie wissen es besser. Die Milchkuhhalter wissen auch, dass das wahre Gold vom Napf oberirdisch wächst: das Gras. Es bildet die Grundlage von erstklassigem Sbrinz AOP, der hier fernab der hohen Berge der Urschweiz hergestellt wird. Grosses Bild oben: Käser Stefan Wicki und Geschäftsführer Thomas Schweisser mit einem 45-Kilo-Laib Sbrinz AOP, hergestellt am 25. November 2023.

Hof Rossweid_Willisau_Sbrinz

Die Kühe vom Hof Rossweid schnuppern vom Laufstall aus Frühlingsluft.

Chäs Chäller Willisau

Thomas Schweisser, CEO und Käsermeister, bringt Rahm aus Schülen in den Chäs Chäller Willisau.

Regio Chäsi Willisau, Käserei, Reifkeller

Die Schatzkammer der «Chäsi» in Schülen: im Reifekeller stehen rund 650 Laibe Sbrinz AOP.

3800 LITER MILCH PRO TAG. Eingebettet in diese grüne Idylle liegt der Weiler Schülen. Hier befindet sich die Regio Chäsi Willisau, wo Sbrinz AOP gefertigt wird, in einem Gebäude aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Natürlich ist innen alles auf dem neuesten Stand. Die Chäsi ist einer der beiden Betriebe der gleichnamigen Genossenschaft, die andere, grössere, befindet sich in Kottwil, wo hauptsächlich Emmentaler AOP entsteht. In Schülen treffen jeden Tag – auch am Wochenende – rund 3800 Liter Milch aus der Umgebung ein.  Waldemar «Waldek» Welcz, gebürtiger Pole, seit 2017 bei der Regio Chäsi Willisau angestellt, ist einer von vier Chauffeure der Genossenschaft. Er holt morgens die Milch mit dem Tankwagen bei siebzehn Bauern ab. Die Milch wird durch einen dicken Schlauch in die weiss gekachelten Räume gepumpt, wo Käser Stefan Wicki schon auf sein Arbeitsmaterial wartet. Seit August arbeitet der frühere Schwinger aus Albertswiler hier, vorher war er bei Emmi in Dagmersellen. 

DIE EIN-MANN-KÄSEREI. Die teilentrahmte Milch wird jetzt im mächtigen 4000-Liter-Kupferkessi langsam erwärmt. Bei exakt 31 Grad kommt der Labextrakt dazu. Nach vierzig Minuten geschieht das Wunder, die Milch wird dick und kann zerschnitten werden. «Das Vorkäsen ist einer der heikelsten Abläufe. Auch nach Jahren bin ich immer wieder fasziniert, wie aus einer Flüssigkeit eine Masse wird», erklärt Geschäftsführer und Käsermeister Thomas Schweisser, der mit seiner Familie über der Chäsi wohnt und die Regio Chäsi Willisau seit 2006 leitet. «Beim Vorkäsen liegt die Fehlerquote bei fünfzig Prozent», erklärt der gebürtige Deutsche. Seinem Dialekt hört man die Herkunft nicht mehr an, vor Jahrzehnten hat der Landwirt/Umweltwissenschaftler im Napfgebiet seine Heimat gefunden.  Das Käsen hat er auf einer Bündner Alp gelernt, wo das Kessi noch mit Holz befeuert wurde. Voller Stolz führt er durch die Ein-Mann-Käserei, die für die Herstellung von täglich sieben Laiben Sbrinz AOP ausgerüstet ist. Als Joker bei Ferienvertretungen oder Krankheit steht Schweisser selbst am Kessi, fertigt mit viel Feingefühl den Sbrinz AOP. In Notfällen kann die Chäsi in Schülen auch auf Unterstützung vom Schwesterbetrieb in Kottwil zählen. Auf Franz Fischer, der bald in Pension geht. Auf Simon Kurmann, der hier die Lehre absolvierte. Oder auf den Lehrling Joel Erni, der sich für den strengen, aber schönen Beruf des Käsers – heute heisst der korrekt Milchtechnologe EFZ – entschieden hat. Im Untergrund der Chäsi liegt die eigentliche Schatzkammer, der Reifekeller. Hier lagern 600 bis 650 Laibe Sbrinz AOP drei Monate lang, dann gehen sie zu Emmi. Sie tragen alle das Herstellungsdatum sowie die Nummer 4673 der Regio Chäsi Willisau. «Jährlich verarbeiten wir rund 1,4 Millionen Liter Milch zu 114 Tonnen Sbrinz AOP», setzt Schweisser dem imposanten Anblick noch imposantere Zahlen zu. 

VON DER QUELLE ZUM LADEN. Auf dem Weg nach Willisau liegt der Hof Rossweid von Andreas und Christine Bächtold auf 800 Metern über Meer. Mit Postkarten-Blick auf das weite, wellige Grünland. Eins der Geheimnisse, warum die Milch ihrer dreissig Kühe so einmalig schmeckt. Jetzt im Spätwinter steht das Schweizer Fleckvieh X Holsteiner mit den weissen Köpfen im grossen Laufstall, die Kälber strecken ihre Nasen neugierig durch die Plastikvorhänge. Nur die Geräusche der wiederkäuenden Mütter durchwebt die Ruhe im Stall – so sehen zufriedene Rindviecher aus! Früher wurde die Rossweid-Milch per Seilbahn ins Tal gefahren, heute sind Bächtolds froh, dass die Regio Chäsi sie abholt. Auf dem Weg nach Willisau stehen an den schönsten Aussichtspunkten Strandkörbe wie an der Ostsee. Eine Idee des Tourismusvereins, um die Sicht aufs Nebelmeer zu geniessen. Mitten in Willisau wird der Sbrinz AOP aus Schülen verkauft, im schmucken Chäs Chäller. Die Decken stammen aus dem Jahr 1704. Den Laden dominiert die grosse Kühltheke, wo neben dem Sbrinz AOP viele Käsespezialitäten aus der Schweiz, Italien und Frankreich zur Auswahl stehen. Die Kunden und Kundinnen geben sich die Klinke in die Hand, der Laden, der seit 45 Jahren existiert und seit zehn Jahren der Genossenschaft gehört, brummt. «Im April eröffnen wir den zweiten, gleich nebenan. So können wir die Fläche glatt verdoppeln. Hier wollen wir Aperos, Events und Vorträge anbieten. Bald können wir auch unsere Käse-Pralinés vorstellen, die wir mit dem örtlichen Chocolatier Amrein entwickeln, eine Mariage von Käse und Schoggi. Auch mit Sbrinz AOP wollen wir eine Variante testen», erzählt Thomas Schweisser. Ein Besuch im Chäs Chäller Willisau lohnt sich, schon wegen des schmucken Städtchens mit seiner Flaniermeile entlang der historischen Fassaden. Und vor allem wegen der Anreise durch das idyllische Napfgebiet-Avalon-Auenland.

www.sbrinz.ch
www.regiochaesi.ch
chaes-chaeller-willisau.ch