Fotos: Nik Hunger

Tranche um Tranche. Es ist gewissermassen der heilige Gral der klassisch-französischen Küche: die Kalbspastete im Teigmantel, in Frankreich «Pâté en Croûte» genannt. Als ich jüngst für ein paar Tage in Lyon weilte, bestellte ich in jedem erdenklichen Restaurant eine Tranche davon – und hatte danach noch immer nicht genug. Aber kann man diese Delikatesse, die viel Handwerkskunst verlangt, auch daheim herstellen? Ich fragte Patrick Senn, Küchenchef im Sprüngli Café & Restaurant am Zürcher Paradeplatz, der diese Spezialität auf seiner Speisekarte anbietet. Und er meinte, dass die Zubereitung eigentlich keine grosse Hexerei sei. Nichts wie hin zu einer kleinen Paté-en-croûte-Lektion beim Meister!

Kitchenaid spart Zeit beim Kneten. Hat der Sprüngli-Chef mit einem absoluten Kochanfänger gerechnet? Als ich die Küche im 2. Stock mit hübschem Ausblick auf die Bahnhofstrasse betrete, freut es mich erst, dass sämtliche Zutaten bereits abgewogen sind. Dass für das Mise-en-place aber auch ein Deziliter Wasser abgemessen worden ist, nehme ich ein wenig persönlich. «Starten wir doch mit dem Teig», sagt Patrick Senn. Und dessen Rezeptur ist tatsächlich simpel: Mehl, Wasser, Butter und Salz. Und das Ei? «Das brauchen wir erst, um die Pastete zu bestreichen.» Rein in die Kitchenaid mit den vier Zutaten, der Knethaken arbeitet für uns, schon nach fünf Minuten ist der Teig praktisch fertig. Er wird jetzt nur noch kurz von Hand nachgeknetet und flachgedrückt. Idealerweise legt man ihn über Nacht in den Kühlschrank. 

Kalbspastete Sprüngli, hergestellt durch Böni und Chefkoch Patrick Senn

Wie immer gilt: Ein sorgfältiges Mise-en-place spart Zeit.

Woher kommt jetzt der Lardo? Nun machen wir uns an die Terrinenform, die ich erst mit Teig auslege. Die einzelnen Stücke – auch hier ist man mir ein wenig entgegen gekommen – wurden von Patrick Senn schon gut drei Millimeter dick ausgewallt und vorgeschnitten. Mit einem «Stempel», ebenfalls aus Teig, drücke ich alles in die Ecken und Kanten. Dann kommt Tranche um Tranche Lardo in die Form, die ich in der Schneidemaschine tranchiere. «Der Lardo war aber nicht im Mise-en-place», bemerke ich. Senn schmunzelt und sagt, dass es gute Gründe dafür gibt, den nicht schon vorher zu schneiden. Weil die Tranchen in der Küche allzu schnell verschwinden. Was mich danach freut: Der Chef läuft jetzt sogar mal weg, als ich die Terrinenform auslege – vielleicht mache ich meine Sache ja doch nicht so schlecht?

Was ist «Engels-Pipi»? In einem dritten Schritt kümmern wir uns um die Farce: Dafür wird Kalbfleisch in einer rauchend heissen Gusseisenpfanne nur kurz scharf angebraten. Es sollen Röstaromen entstehen, das Fleisch darf innen noch fast roh sein. In die gleiche Pfanne kommt nachher auch Speck, klein geschnittener Apfel, Cognac und Madeira. Es riecht nun herrlich in der Küche. Hinein kommt auch ein dunkler Kalbsjus, den Patrick Senn selbst produziert. Mit allen Arbeitsschritten gehe das jeweils ganze fünf Tage, bis dieser fertig sei. «Mein Sous-Chef in der Lehre nannte seinen Jus darum auch Engels-Pipi», sagt der Sprüngli-Chef lachend.

«Schmeckt man denn nie ab?» Die fertigen Zutaten werden nach dem Anbraten und Reduzieren schockgekühlt, damit sie nicht weitergaren. Und danach im Fleischwolf und später im Kutter mit Rahm zu einer fast cremigen Konsistenz zerkleinert. Das sieht appetitlich aus, darum frage ich: «Schmeckt man denn nie ab?» Doch, und zwar genau jetzt, bevor die gedörrten Aprikosen und die Pistazien in die Farce gegeben werden. Ziemlich gut, aber wir einigen uns auf eine weitere Prise Salz, bevor die Masse in einen Spritzbeutel kommt und in die Form gespritzt wird. Schliesslich kommt der Deckel mit den drei Löchern obendrauf. Mit Eigelb und einer speziellen Gerätschaft, die an eine Eiszange erinnert, wird die Pâté en Croûte nun verschlossen. Sie kommt in den Ofen, circa 45 Minuten bei 180 Grad.

Sülze einfüllen ist der Moment der Wahrheit. Patrick Senn und ich nützen die Zeit und bereiten die Sülze vor. Sie besteht im Sprüngli Café & Restaurant aus Portwein, Wasser und Gelatine. Alles wird einmal aufgekocht und noch flüssig mit einem Fülltrichter ins mittlere «Kamin» der Terrine gegossen. Hier sieht man dann, wie sauber zuvor gearbeitet worden ist: Bei unserem Exemplar läuft jedenfalls nix unten raus. Ab in den Kühlschrank damit! Jetzt sei Geduld gefragt, so Küchenchef Senn. Er erzählt von seiner Zeit im «Palace» Luzern, wo er mehrmals die Pastete im Teigmantel zu früh aufgeschnitten habe – so dass sein Chef meinte, er solle doch jeweils die Sulz einfüllen und dann heimgehen. «Eine gute Idee war das – bloss habe ich das dann mal am Morgen als erstes gemacht. Ich durfte danach aber nicht nach Hause!»

Kalbspastete Sprüngli, hergestellt durch Böni und Chefkoch Patrick Senn

Hatten Spass in der Sprüngli-Küche: Autor Böniger & Küchenchef Patrick Senn.

Kalbspastete Sprüngli, hergestellt durch Böni und Chefkoch Patrick Senn

Handwerkskunst: Erst beim Abschneiden sieht man, wie gut gearbeitet wurde.

Das Kunstwerk ist vollbracht. Der Moment des Aufschneidens der fertigen Kalbfleischterrine hat etwas Magisches. Erst jetzt sieht man das ganz Kunstwerk: die hart gewordene rubinrote Sülze, die cremige Farce, in der man die individuelle Zeichnung von Aprikosen- und Pistazienstücken erkennt. Doch, ich könnte diese Delikatesse, die seit Jahrhunderten fürs klassische Küchenhandwerk steht, tatsächlich auch mal zu Hause zubereiten. Sobald ich eine Kitchenaid, einen Fleischwolf, einen Kutter, jemanden fürs Mise-en-place und einen freiwilligen Abwäscher habe. Dann ist es tatsächlich keine grosse Hexerei.

>> Die Kalbspastete im Teigmantel ist ab 16.12 wieder auf der Winterkarte des Café Restaurant Sprüngli, Zürich.