Text: Daniel Böniger I Fotos: Fabian Häfeli

Es werde Licht. Es ist noch dunkel, als wir aus dem Auto steigen. Christian Mutschler schultert sein Gewehr, nimmt den Schiessstock. Und das erste Tier, das wir einen Augenblick später sehen, ist eine Fledermaus, die geräuschlos an uns vorbei flattert. Wir sprechen kaum ein Wort. Jedes Buchennüsschen, auf das wir treten, knackt viel zu laut. Ob die Rehe, die hier unterwegs sind, davon bereits gewarnt wurden? Mutschler sticht nun mit sicheren Schritten in eine Wiese, ich hinterher. Immer wieder blickt er durchs Fernglas auf ein Maisfeld, in dem er die Tiere vermutet: «Ich war vor zwei Tagen schon hier. Sobald es hell wird, treten sie auf die Wiese, um zu äsen und kehren später wieder in den Einstand zurück», erklärt er so leise wie möglich. Und schon zeigen sich am Horizont die ersten rosa und blauen Lichter der einbrechenden Dämmerung.  

Wildgerichte übers ganze Jahr. Christian Mutschler, mit dem ich an diesem frühen Morgen durchs Zürcher Oberland pirsche, ist passionierter Jäger. 500 Stunden jährlich investiert er in seine Leidenschaft. Er hat sich in den letzten zehn Jahren aber auch einen Namen gemacht als Gastgeber im Restaurant Bären im schmucken 2800-Seelendorf Grüningen. Bei ihm werden übers ganze Jahr Wildgerichte aufgetischt, «ich habe bisher noch keine schlüssige Erklärung dafür gefunden, wieso alle nur im Herbst Wild wollen», sagt er. Am liebsten bietet er seinen Gästen Tiere an, die er selber erlegt hat. Und falls nicht - so die Minimalanforderung, der er an sich selbst stellt -, sollen sie wenigstens aus Schweizer Jagd stammen. «Mein Netzwerk ist inzwischen so gut, dass ich so durchs Jahr komme.» Die Wildgerichte, die er sich ausdenkt, werden im urchigen Restaurant von Küchenchef Christian Neuhaus zubereitet. Das Gebotene ist dem GaultMillau 15 Punkte wert. 

 

Böni Tranchiert im Gasthof Bären und ist mit Christian Mutschler auf Pirsch

Meist neben den Wegen unterwegs: Christian Mutschler und der Autor im Dämmerlicht.

Böni Tranchiert im Gasthof Bären und ist mit Christian Mutschler auf Pirsch

Christian Mutschler weiss meistens genau, wo die rund 40 Rehe in seinem Reviier unterwegs sind.

Böni Tranchiert im Gasthof Bären und ist mit Christian Mutschler auf Pirsch

Der Jäger hat an diesem Morgen den Schiessstock dabei, auf dem er das Gewehr abstützen kann.

Erschwerte Bedingungen: der Wetterwechsel. Bisher tut sich nichts im Maisfeld. Wir klettern auf eine Anhöhe und beobachten eine Waldecke, an der Christian Mutschler gerade letzte Woche ein Reh erlegt hat. «Sie sind auch heute hier, ganz bestimmt!», weiss er. Schliesslich gebe es 40 Tiere in diesem Revier. Der Jäger räumt inzwischen aber ein, dass der anstehende Wetterwechsel - es wird an diesem Morgen zum ersten Mal seit Tagen regnen - vielleicht die täglichen Gepflogenheiten der Rehe beeinflusst hat. Dafür spreche auch, dass praktisch keine Krähen zu hören seien. Wir laufen einen weiteren Bogen durchs Gelände, stets abseits der Wege - bis er mir mit einer Handbewegung anzeigt, ich solle innehalten. Allerdings ist es dann doch kein Fuchs, wie er erst geglaubt hat. Sondern eine Hauskatze, die sich ins Dickicht verzieht.  

 

Böni Tranchiert im Gasthof Bären und ist mit Christian Mutschler auf Pirsch

«Sie sind auch heute hier, ganz bestimmt!», sagt Jäger Christian Mutschler.

Meine Jagd ist erfolgreich. Jetzt soll bloss niemand behaupten, ich hätte an diesem frühen Morgen keine Ausbeute gemacht. Denn wenig später trinken wir einen Kaffee in der Gaststube des «Bären». Christian Mutschler will mir nochmals das Konzept seiner Gaststube näherbringen. «Mit dem letzten Bruch, also dem Zweig, den man den Tieren in den Mund steckt, hört die Wertschätzung des Tieres bei mir längst nicht auf. Man muss auch etwas Schönes damit kochen.» Schliesslich beginnt er, mir einige der aktuellen Wildgerichte aufzutischen: ein Reh-Tataki, das dank einem grosszügigen Schuss Sojasauce und Ingwer eine asiatische Note mitbringt. Dazu gibt es roh marinierten Kürbis, «es müssen ja nicht immer die schweren Wildbeilagen wie Marroni und Rotkraut sein.» Er lässt mich seine butterzarten Wildschwein-Haxen probieren, die er analog zu Ossobucco in einer sämigen dunklen Sauce serviert.  

 

Böni Tranchiert im Gasthof Bären und ist mit Christian Mutschler auf Pirsch

Nix mehr als Fleisch, Salz, Pfeffer &ein Schuss Cognac: die Wildterrine.

Böni Tranchiert im Gasthof Bären und ist mit Christian Mutschler auf Pirsch

Es muss im Bären Grüningen nicht immer alles klassisch sein: Rehtataki mit mariniertem Kürbis.

Böni Tranchiert im Gasthof Bären und ist mit Christian Mutschler auf Pirsch

Butterzart und mit tiefgründigem Jus serviert: der edle Rehrücken.

Weder Pinzette noch Pommes frites. Natürlich schneidet er eine Tranche seiner Wildterrine für mich ab, in die nicht viel mehr hineinkommt als «Fleisch, Salz, Pfeffer und ein Schuss Cognac.» Manchmal bereite er Siedfleischsalat aus einem Reh-Hals zu. Oder schneide ein geräucherten Nüssli dünn auf und überziehe ihn mit einer Felchen-Sauce, seine Version von Vitello tonnato. Der «Bären», so realisiere ich, ist ein Lokal, wo noch ohne Pinzette gekocht wird. Auch Pommes frites sucht man vergebens. Dafür kommt dann hin und wieder ein Vegetarier hinein, der für ein Rehschnitzel eine Ausnahme macht. 

 

Christian Neuhaus und Christian Häfeli

Christian Mutschler - in Jägergrün - denkt sich die Gerichte aus, Christian Neuhaus (r.) bereitet sie zu.

Böni Tranchiert im Gasthof Bären und ist mit Christian Mutschler auf Pirsch

Nichts geschossen, trotzdem gegessen: Autor Böniger lässt sich den Rehrücken im «Bären», Grüningen schmecken.

Dessert im Wildhimmel: Steinpilz-Glace. Das ist mal ein Frühstück!, geht mir durch den Kopf, als Christian und Christian noch ein Gericht auf den Tisch zaubern. Auch wenn sie beide davon überzeugt sind, dass es nicht immer Edelstücke sein müssen, ist der kurz angebratene Rehrücken - er kommt heute aus dem Kanton Aargau - wunderbar zart und geschmacksvoll. Der Jus dazu ist gelungen tief. Und die Umgebung, in welcher das Tier gelebt hat, kommt auch noch auf den Teller: glasierte Rüebli und umwerfende Kartoffelgnocchi mit Safran und knusprigen Rapssamen. Es ist noch nicht mal 12 Uhr, und als mir das Bären-Team als Abschluss noch eine Kugel Steinpilz-Glace hinstellt. Ein karamellsüsses Dessert, bei dem im Hintergrund tatsächlich das Pilzaroma mitschwingt. «Solche Ideen hat man, wenn man zu lange auf dem Hochsitz wartet», sagt Christian Mutschler, der die Pirschjagd in aller Regel vorzieht. Ich selbst erreiche dank diesem Abschluss dann doch noch den Wildgerichte-Himmel. Auch wenn an diesem Morgen das Gewehr stumm geblieben ist. 

 

>> www.restaurant-baeren-grueningen.ch