Jan Schwarzenbach, es gibt unzählige nationale und internationale Weinprämierungen und -auszeichnungen. Kann man eine Medaille oder Punktezahl überhaupt ernst nehmen?

Ich finde schon. Es steckt ja auch viel Arbeit dahinter, meistens auch eine Jury, die blind degustiert. Wichtig ist aber immer noch der eigene Geschmack, ein Wein mit vielen Punkten muss nicht unbedingt der persönliche Liebling sein.

 

Welche Auszeichnungen erachten Sie als die wichtigsten?

Es gibt keine unwichtigen, auch die vielen Blogs sind interessant. Aber ich persönlich bin eher klassisch ausgerichtet. Ich schätze etwa den Wine Advocate, die kritische Jancis Robinson, und für den Schweizer Markt finde ich den Grand Prix du Vin Suisse hilfreich. 

 

Teilen Sie die gängige Meinung, dass einige Winzer ein sogenanntes „Parker-Fach“ mit besonders behandelten und daher komplexeren Weinen bereithalten?

Da reden wir wohl von Primeurs und somit von Bordeaux. Selber habe ich nie ein solches Fach gesehen - aber alles ist möglich. Sinn würde es jedoch nicht machen, denn viele Weine werden ja vom Wine Advocate wiederholt bewertet: Zuerst als Primeur, dann aus abgefüllten Flaschen vom Markt. Eine regelmässig tiefere spätere Bewertung von „Parker-Fach-Flaschen“ wäre sicher nicht im Sinn der Produzenten, denn sie würden das Vertrauen der Kunden verlieren.

 

Achten Sie bei der Zusammenstellung des Mondovino- und Coop-Sortiments auf Auszeichnungen?

Es ist sicher ein Auswahlkriterium, das einfliesst. Wenn ich einen Wein für eine Messe brauche und aus drei ebenbürtigen aussuchen kann, dann wähle ich jenen mit einer Auszeichnung, weil die Kunden sich daran orientieren.

 

Also sind Medaillen & Co. ein gutes Kaufargument?

Sie helfen, wenn man eine Weinregion nicht gut kennt oder wenn die Weinauswahl sehr gross ist. Man kann sich dann sagen: Ich kaufe jetzt mal was gut Bewertetes und schaue, ob es mir passt.

 

Es gibt zwei internationale Punkteskalen: Bewerten Sie lieber mit dem 20- oder mit 100-Punkte-Schema?

Am liebsten bepunkte ich die Weine gar nicht. Denn damit wird man einem Wein oft nicht gerecht. Ich beschreibe einen Winzer, seinen Wein und die Region lieber mit Worten.

 

Bei gewissen Ausstellungen erhielten 9 von 10 eingereichten Weinen eine Medaille. Ist eine solche Flut an „Siegern“ noch aussagekräftig?

Das scheint mir sehr viel, zu viel. Aber es ist halt auch so, dass die einreichenden Winzer oder Firmen oft ihre besten Weine anmelden.

 

Sie sind als Master of Wine einer der grössten Schweizer Weinkenner - sitzen Sie auch in Jurys?

Im Moment nicht. Zweimal habe ich für die Vinea mitjuriert. Ich habe aber nichts dagegen, denn wenn ich Weine auswählen muss, dann bewerte ich sie auch - aber nur für mich.

 

>> Jan Schwarzenbach (geboren 1976), ist Leiter Direktverkauf Wein am Hauptsitz von Coop in Basel. Im März 2016 absolvierte er erfolgreich die Prüfung als Master of Wine MW - eine äusserst schwierige Ausbildung, die in der Schweiz zuvor erst drei Fachleute bestanden haben.

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