Text: Knut Schwander
LETZTER SERVICE AM 31. MÄRZ 2024. «Das Wort Ruhestand passt nicht zu mir. In meinem Kopf bin ich immer noch 30 Jahre jung», sagt Denis Martin. Der 68-Jährige ist im GaultMillau mit 17 Punkten gelistet. Und dennoch: «Mein Körper sagt Stopp». Deshalb wird der unerschrockene Chef, der den Feinschmeckern in der Westschweiz die Aromen Asiens und später die molekularen Wunder nähergebracht hat, 2024 einen Schlussstrich ziehen. Sein letzter Service im «Château» in Vevey findet am 31. März statt. Nach 27 Jahren ungezügelter Kreativität und unermüdlichem Forschen.
DER KÖNIG DER FISCHE. 1980 tauchte Denis Martin in Massongex auf dem Radar der Westschweizer Gastronomie auf. Und hatte schnell einmal einen berühmten Stammgast: «Frédy Girardet kam jeden Monat vorbei. Er brachte Kollegen wie Roland Pierroz mit und sagte, ich könne Fisch zubereiten wie kein anderer», erinnert sich Denis Martin.
VON THAILAND NACH YVORNE. Ende der 80er Jahre kochte Denis Martin im «La Roseraie» in Yvorne. Der Chef liess Komponenten in seine Gerichte einfliessen, die damals unglaublich innovativ erschienen. Denis Martin brachte den Gästen seine «Küche der Gewürze» näher: thailändische Aromen, Koriander, Erdnüsse und subtile Currys! Denis Martin, der begeisterte Motorradfahrer, war immer mit unbändiger Neugierde unterwegs; das prägte Küche und Karriere.
DER START? EINE KATASTROPHE! 1997 liess sich Denis Martin in Vevey im Château nieder, dem symbolträchtigen Anwesen der «Confrérie des Vignerons». «Die ersten sechs Monate waren eine Katastrophe! Ich fing wieder bei Null an, servierte Eglifilets und Entrecôtes. Aber ich hatte immer den Plan, meine eigene Vorstellung von Gastronomie umzusetzen». Seine berühmten Vorbilder: Ferran Adrià, Hervé This, René Redzepi.«Ferran hat mir gesagt», so Denis Martin, «ich soll diese neue Küche in die Schweiz bringen». Adrià und Martin traten schliesslich auch einmal gemeinsam auf, am kulinarischen Treffen «Lo mejor de la gastronomia» in Spanien, vor tausend Zuschauern!
DIE MAGISCHE BRIEFTAUBE. Denis Martin, 2007 GaultMillaus «Aufsteiger des Jahres», war immer für Überraschungen gut. Typisches Beispiel: Im Schlossgarten landete schon mal ein gebratenes Täubchen in Form einer «Brieftaube» auf dem Tisch. Dieses erstaunliche Gericht hat ihm in Spanien Standing Ovations eingebracht und auch in der Romandie einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Es handelt sich um eine Tauben-Papillote. Durch den Garvorgang erhält das Fleisch eine neue und für die damalige Zeit unerwartete Textur. Verpackt war der Vogel - jetzt kommt's! - in einem Briefumschlag mit dem Aufdruck «par avion»; ein genialer Auftritt! 2001 schrieb der GaultMillau: «Die Geschichte wird zeigen, ob er alte, leicht abweichende Prinzipien wiederbelebt oder ob er die Speerspitze der gastronomischen Avantgarde verkörpert».
Das Idol einer neuen Generation. Zweiteres war richtig: Denis Martin führte die sogenannte Molekularküche in der Schweiz ein. Ein gewagtes und gefährliches Unterfangen, das ihm Spott und Kritik einbrachte - auch von Köchen, die später Elemente seiner Kochtechnik übernommen haben. Aber Denis blieb standhaft: «Ein Freund hat mir gesagt: Du hast eine Handschrift, die musst du behalten». Eine Handschrift der Avantgarde. Und seine Philosophie hat er an eine neue Generation talentierter junger Köche weitergegeben. An Chefs wie Mathieu Bruno («Là-Haut», Chardonne, 16 Punkte), Alexandre Luquet («Bocca», St-Blaise, noch nicht bewertet) oder an Rafael Rodriguez («Abbaye de Montheron», Lausanne, 16 Punkte). Jetzt kündigt er seinen Ruhestand an, er will das Restaurant in sechs Monaten schliessen. Man sollte nochmals hingehen.