Interview: David Schnapp

Nenad Mlinarevic, Sie haben ein aufregendes Jahr hinter sich: Scheidung, neue Freundin gefunden und gleich zwei neue Restaurants eröffnet. Wie läuft das alles zusammen?
(Denkt lange nach) Das ist eine schwierige Frage. Fiona, meine neue Freundin, wusste, dass ich im Dezember etwas mehr würde arbeiten müssen, aber als Hebamme hat sie selbst unregelmässige Arbeitszeiten und Nachtschichten. Es gibt also ein gewisses Verständnis für meine Situation. Ich muss aber etwas ganz klar sagen: Ich bin immer noch glücklich in der Küche. Das ist mein sicherer Hafen, dahin kann ich mich jederzeit zurückziehen und finde Zufriedenheit. 


Was bedeutet das für Sie?
Das heisst, dass ich mit mir selbst zufrieden sein kann und niemanden brauche, um mein Glück zu finden.


Haben Sie in diesem Jahr etwas über sich selbst gelernt?
Ja, ich will in meinem Leben noch weniger Kompromisse machen als bisher schon. Egal, was es ist: Entweder, ich mache etwas richtig oder fange es erst gar nicht an. Und wenn einen etwas nicht mehr glücklich macht, muss man gehen.


Sie spielen auf die Trennung von Ihrer Frau an?
Mir ist einfach wichtig, dass sich die Dinge richtig anfühlen. Sonst ist mir nicht wohl.

Thomas Brandner Brasserie Süd

«Thomas nimmt mir viel ab»: Küchenchef Thomas Brandner in der Brasserie Süd.

MKJ

«Technisch einfach umsetzbar»: Kalbsrücken mit Rosenkohl in der Brasserie.

Nenad Mlinarevic

«Ich will noch weniger Kompromisse machen»: Nenad Mlinarevic.

Mit der Brasserie Süd am HB ist Ihr bisher grösstes, ambitioniertestes und teuerstes Projekt gerade angelaufen. Haben Sie schlaflose Nächte deswegen?
Kurz vor der Eröffnung gab es schon einige unruhige Nächte. Was ist, wenn es nicht läuft? Alles, was wir uns aufgebaut und erspart haben, steckt hier drin. Dann habe ich mir gesagt: «Wir wissen, was wir können, wir kennen unsere Gäste.» Aber ein bisschen Nervosität und gesunder Respekt schadet trotzdem nicht.


Gibt es nach 20 Jahren Spitzengastronomie noch etwas, was Sie aus der Ruhe bringen kann?
Ich kann steuern, was und wie ich koche, damit die Leute kommen. Aber zweimal am Tag 130 Sitzplätze zu füllen ist schon eine andere Grössenordnung. Das hat man nicht mehr in der Hand. 


Wie gehen Sie ein solches Riesenprojekt an?
Die letzten Monate hat mir unser Küchenchef Thomas Brandner einiges abgenommen. Vieles passiert mittlerweile ohne mein Zutun. Valentin Diem und ich kommen dazu, wenn es darum geht, finale Entscheidungen zu fällen. Aber jetzt braucht es mich im Alltagsgeschäft doch mehr, als ich gedacht hatte. Es gibt hier ein Luxusproblem: Wir haben zu viele Gäste. Wir verdoppeln jeden Tag unsere eigenen Prognosen. Es gibt viel zu tun, und alles ist neu. Die Wege sind lang, die Karte ist gross, es stehen 15 Leute in der Küche, und viele wissen noch nicht, wie wir arbeiten.

Nenad Mlinarevic, Schweizer Koch und Gastronom 2022

«Wir wissen, was wir können, wir kennen unsere Gäste»: Mlinarevic in der Bar Lupo.

Was ist Ihre Aufgabe, wenn 300 bis 400 Gäste am Tag kommen?
Ich mache den Pass oder kocht selbst auf einem der Posten. In der Brasserie Süd muss jeder alles können. Und mir ist egal, ob wir 50 oder 400 Essen zubereiten, ich beharre auf gewissen Standards: Die Löffel, der Putzlappen sind immer am selben Ort, die Pinzette steckt immer in der Kochjacke. Das Organisationsprinzip, das ich in der Spitzengastronomie gelernt habe, setze ich auch hier durch.


Wie ist das Feedback der Gäste, welche Kritik hören Sie?
Die Akustik, der Sitzkomfort, die Weinauswahl, das Wasser à discrétion – es gibt immer Beschwerden. Aber sie kommen von einem sehr kleinen Teil der Leute. Wir haben mittlerweile in unseren Betrieben und Pop-ups Hunderttausende von Gästen bewirtet und wissen, was wir tun. Es geht in einem solchen Betrieb auch nicht nur darum, gut zu kochen. Man muss die Kosten und viele weitere Details im Griff haben. Ich habe es mittlerweile aufgegeben, jeden einzelnen glücklich machen zu wollen.


Eine Kritik, die ich gehört habe: Auf der Karte fehlen klassische Brasserie-Gerichte wie Wiener Schnitzel oder Sole meunière.
Bei der ersten Karte ging es mir um Sicherheit. Die Gerichte müssen technisch einfach umsetzbar sein. Ein Schnitzel ist in dieser Küche und bei der Grösse des Restaurants nicht so einfach zu machen. Ich bin froh, dass wir es nicht auf der Karte haben. Der Herd ist schon voll mit Saucen und Suppen. 30 Schnitzel-Bestellungen am Mittag und eine Riesenpfanne mit Butterschmalz auf dem Herd würden alles durcheinanderbringen. Aber wir lernen ständig dazu und optimieren jeden Morgen, was wir am Abend davor notiert haben. 

Mitja Birlo The Counter

«Super Austausch»: Küchenchef Mitja Birlo im neuen «The Counter».

Bauernschänke Zürich  - 29.8.2022 - Copyright Olivia Pulver

«Das erste Restaurant von Nenad in Zürich: «Bauernschänke» im Niederdorf.

Fabian Fuchs, Neue Taverne, Zürich, place to b,

Junger talentierter Kollege: Fabian Fuchs («Neue Taverne»).

Mit Mitja Birlo haben Sie einen Kollegen für «The Counter» engagiert, der so gut wie Sie selbst oder vielleicht noch besser kocht. Ist das auch eine Art Eingeständnis, dass Sie nicht mehr um die Goldmedaille kämpfen wollen?
Ich habe kein Ego-Problem, wenn Sie das meinen. Mein Fokus ist mittlerweile ein anderer. Wir haben schon vor zwei Jahren angefangen, talentierte Kollegen ins Unternehmen zu holen. Fabian Fuchs in der «Neuen Taverne» war einer davon. Mit Mitja habe ich einen super Austausch und bin stolz darauf, dass er bei uns arbeitet. 


In den vergangenen Jahren haben Sie erfolgreich ein Restaurant nach dem anderen definiert, hochgefahren, etabliert und dann einem Kollegen die Verantwortung übertragen. Wie sehen Sie Ihre künftige Rolle?
Schon seit Monaten frage ich mich, was eigentlich mein Stellenbeschrieb ist. Langfristig gebe ich wohl eher die kreative Richtung vor. Das kommt oft zu kurz, wenn die Arbeit so intensiv ist wie in der Brasserie Süd. Ich werde also in Ruhe die Karten für die Brasserie, den «Neumarkt» oder die «Bauernschänke» schreiben. Es gibt mich aber nicht nur als Koch und Unternehmer, sondern auch als Privatperson. Vielleicht habe ich künftig mehr Zeit für meine Hobbys.

Nenad Mlinarevic, Schweizer Koch und Gastronom 2022

«Vielleicht habe ich mehr Zeit für meine Hobbys»: Nenad auf dem Rennvelo in Zürich.

Worin besteht der Unterschied, ob man als Küchenchef ein kleines Team führt oder als Unternehmer für fünf Restaurants mit 130 Angestellten zuständig ist?
Natürlich ist es einfacher, wenn es klein ist. Wenn man wächst, wird es anspruchsvoller, die Kontrolle zu erlangen und alles zusammenzuhalten. Oft hört man beispielsweise von Problemen zu spät und fragt sich dann, «warum habe ich das nicht vorher gesehen?». 


Wie haben Sie sich als Führungsperson entwickelt?
Ich bin reifer geworden, höre besser zu und schlafe erst mal eine Nacht über ein Problem, bevor ich entscheide. 


Würden Sie rückblickend, gewisse Karriere-Entscheide anders fällen?
Jetzt gerade bin ich sehr zufrieden, wie es gelaufen ist. Das Einzige, was ich bereue, ist, dass ich 2008 nicht länger auf Schloss Schauenstein geblieben bin. Den dritten Stern «mitzukochen», wäre schön gewesen. Mit Andreas Caminada hat es immer Spass gemacht. Jedes Mal, wenn ich in Fürstenau bin, fühlt es sich an, wie nach Hause zu kommen. Dass ich hingegen 2017 Vitznau und die Spitzengastronomie verlassen habe, war eine gute Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt. Das habe ich nie bereut.

Valentin Diem Nenad Mlinarevic

«Wir haben schon noch Ideen und Konzepte, die wir umsetzen wollen»: Valentin Diem und Nenad Mlinarevic.

Wie sieht die Strategie für die Firma aus, die Sie mit Valentin Diem zusammen aufgebaut haben, was kommt als nächstes?
Wir haben jetzt in fünf Jahren fünf Restaurants eröffnet, das war nie geplant. Man kennt uns jetzt in Zürich und nimmt uns ernst. Deshalb kriegen wir auch andere und bessere Angebote. Konkret gibt es zwar kein konkretes neues Projekt, aber wir haben schon noch Ideen und Konzepte, die wir umsetzen wollen.


Als erfahrener Beobachter der nationalen und internationalen Food-Szene: Wohin geht der Trend?
Ich habe das Gefühl, es gibt mehr Köche mit Top-Ausbildung, die in die Bistronomics-Richtung gehen: Top-Produkte, ehrliche Küche, aber ohne die Rituale der Gourmet-Restaurants. Ich glaube, Fine Dining hat einen schwereren Stand als auch schon. Man sieht es auch an Luxus-Hotels, die vermehrt auf Casual-Konzepte setzen.

Fotos: Lukas Lienhard, Mads Kjaer Jarlfeldt, Joan Minder, Olivia Pulver, Digitale Massarbeit