Glatze, Fliege und Charisma. Er ist der König der Mise en place, der Vorbereitung. Anton Mosimann, der charismatische Chef mit Fliege, Glatze und Schnauz, hat für die Queen Mum gekocht, das Hochzeitsessen von Prinz William und Kate zubereitet und beim 70. Geburtstag von Prinz Philip 1500 Gäste kulinarisch verwöhnt. Der Wirtesohn aus Nidau BE hat den Engländern beigebracht, wie Küche leicht, gesund und trotzdem attraktiv sein kann. Und vorgemacht, wie man alles bis ins Detail vorbereiten muss. Selbst sein eigenes Leben.
Vor 20 Jahren, zum 50. Geburtstag, schrieb er auf, wie und wo er begraben werden soll, nämlich in Montreux, am Lac Léman. Das Familiengrab ist gekauft, er geht «ab und zu schauen, ob es immer noch frei ist», wie er mit seinem trockenen Humor sagt. Die Söhne Philipp und Mark werden bei der Trauerfeier sprechen, sie leiten heute das berühmte Club-Restaurant Mosimann’s in einer früheren Kirche im edlen Belgrave-Viertel von London. Auch ein Überraschungsgast wird reden, dessen Name noch geheim ist. Wer singt, ist auch schon fix, sogar für Ersatz ist gesorgt, falls die gewünschte Sängerin nicht mehr leben sollte. Weiss er auch schon, wie er sterben will, ist er etwa Mitglied von Exit? Nein, das überlässt er ausnahmsweise einem anderen Chef. «Das bleibt Gottes Entscheidung.» Natürlich habe man ihm gesagt, dass man solches nicht planen sollte. «Aber warum nicht? Das Weihnachtsessen planen wir auch sehr lange vorher.»
Der Jetsetter. In seiner schicken Luxuswohnung im fünften Stock des prächtigen «Riant-Château» mit riesiger Dachterrasse, da, wo auch Emil Steinberger in Montreux-Territet ein paar Jahre gewohnt hat, empfängt uns Mosimann, der im Februar 70 geworden ist, mit einer Flasche Themse-Wasser. Das hat er selbst in die Schweiz gebracht. Alles ist hier weiss, Lampen, Tische, Cheminée, Sofas, Stühle, die Kunst von Marc Reist, selbst Hose und Bluse von Ehefrau Kathrin. Nur die Socken des Hausherrn sind rot, wie das M seines Markenzeichens, das er vor Jahren mit dem Lippenstift von Kathrin gezeichnet hat. Die Mosimanns denken praktisch und noch lange nicht ans Sterben, beide sind topfit, er geht regelmässig ins Fitness und jettet dauernd rund um die Welt, an den Olympischen Spielen 2018 in Südkorea wird er kochen, im Juli gehts mit Kathrin zu einer Rallyefahrt im Himalaja, im eigenen Restaurant ist er immer noch CEO. Jeden Montag sitzt er mit den Söhnen zusammen und entscheidet mit ihnen, was zu tun ist. «Sonst lasse ich sie machen, aber ich koche noch jeden Tag!» Und wie! Es macht ihm nichts aus, mittags in Genf zu kochen, abends in London Chefredaktoren aus der Schweiz zu begrüssen und zu bekochen und tags darauf in Klosters für Kriegsveteranen aus Afghanistan Delikatessen zu servieren.
«Life is a circus». Mosimann ist stets in Bewegung, aber nie gestresst, er hat ein ausgesprochen sonniges Gemüt. Er ist das, was er in seiner Biografie «Life is a circus» ständig «e sone liebe Mönsch» nennt. Fast alle, die er in seinem Leben getroffen hat, nennt er «e sone liebe Mönsch». Auch der schwierigste Gast ist für den Chef, der seinen Köchen stets verboten hat, in der Küche herumzuschreien, «e sone liebe Mönsch». Er hat auch nie jemanden entlassen, ausser notorische Diebe und Lügner. «Ich sah immer das Gute in den Menschen. Mein Beruf besteht ja darin, Menschen, die etwas Schönes erleben wollen, eine Freude zu bereiten.» So auch damals, vor 44 Jahren, als im Flugzeug auf dem Flug von Zürich nach Japan der Platz am Fenster, den er reserviert hatte, schon besetzt war. Eine junge Frau blieb sitzen und sagte nur: «Setzen Sie sich doch nebenan.» Er, echt Gentleman, fügte sich der jungen Dame, die sich dann dauernd übergab, sodass der gute Anton ihr immer wieder neue Kotzbeutel hinhalten musste. Die sture Dame wurde später seine Frau, obschon er vor der Hochzeit den Tarif durchgegeben hat: «Du musst wissen, dass du immer die Nummer 2 bleiben wirst. Der Beruf geht vor.» Sie habe nur geantwortet: «Das weiss ich doch.»
Schon in der Schule fiel Toni als Streber auf. Daneben hat er Kaninchen gezüchtet und dem Metzger verkauft. Und als Einzelkind eines Wirteehepaares aus nächster Nähe erlebt, was Alkoholkonsum bei den Menschen anrichtet. Deshalb hat der Sohn von «Beaujolais-Otti», wie sein Vater genannt wurde, nie geraucht und nur mässig getrunken. Beim Schreiben seiner Biografie erinnert sich Mosimann an ein schlimmes Ereignis: «Mit etwa sieben Jahren hat mich ein Nachbar auf der Lambretta in den nahen Wald gefahren und mich missbraucht. Es geschah zweimal. Ich habe es nie jemandem erzählt, wurde zum Stotterer.» Davon hört man heute nichts mehr. Mosimann ist ein genialer Verkäufer: «Ich sage immer, wenn du die absolut beste Pizza der Stadt Bern machst und niemand weiss es, niemand kennt dich, was bringt das? Man muss verkaufen können, aber man kann nur verkaufen, wenn das Angebot sehr gut ist. Erst wenn man Topqualität bietet, kann man auch Musik machen darum herum.» An der Topqualität von Mosimanns Küche hat nie jemand gezweifelt. Schon im «Dorchester» erhielt er den zweiten Michelin-Stern, eine Seltenheit für Hotelköche. Der Gastrokritiker Loyd Grossman schrieb: Das Kochen kennt zwei Epochen, eine vor und eine nach Mosimann. Als der mit erst 28 Jahren (damals eine Sensation!) als Chefkoch ins Londoner Luxushotel Dorchester berufen wurde, war er von der englischen Küche tatsächlich nicht begeistert. «Man hat nicht an vielen Orten sehr gut gegessen damals», sagt Mosimann diplomatisch. «Es war alles old fashioned, das Fleisch wurde am Morgen angebraten und abends um sieben serviert, Gemüse stundenlang weich gekocht, es war schlimm, was man da zum Teil erlebte.»
Der Leibkoch von Queen Mum. Eine der Ersten, die sich für die leichte, moderne Küche des neuen Chefs begeisterte, war die Queen Mum höchstpersönlich! Sie befahl ihrem Leibkoch, sich bei Mosimann Rezepte auszuleihen! Der Gourmettempel wurde so etwas wie die Kochakademie des Landes. Von den 130 Köchen, die durch seine Schule gingen, sind die meisten in Luxushotels gelandet, wo sie die leichte Cuisine naturelle einführten, mit frischer Ware vom Markt, kurzen Garzeiten und einem Minimum an Zucker, Fett und Rahm. «Vor 28 Jahren war ich eigentlich viel zu früh, die Leute waren noch nicht bereit für diese leichte Küche.» Die schönste Anerkennung war für ihn die Ernennung zum Officer of the British Empire durch Queen Elizabeth II. «Das muss verdient werden.» Und die zwei Sterne von Michelin. «Das war damals für ein Hotel-Restaurant viel schwerer zu bekommen als heute.» Das Kochgeheimnis ist so streng wie das Arztgeheimnis: Vor drei Jahren durfte er im Buckingham Palace ein Diner für sämtliche Mitglieder der Royal Family servieren. Das Lieblingsessen der Queen? «Sie isst gerne gut», heisst die diplomatische Antwort. Kein Geheimnis ist, dass sein Signature-Dessert Bread and Butter Pudding bei der ganzen Königsfamilie beliebt ist. Schon mit 25 hat Mosimann seinen Traum ins Tagebuch geschrieben, dass er eines Tages ein Museum eröffnen möchte: Der Traum ging kürzlich in Erfüllung. In der Hotelfachschule Ecole César Ritz in Le Bouveret am Léman, gleich gegenüber Montreux, ist seine Sammlung von 6000 Kochbüchern über vier Etagen ausgestellt. Darunter auch das erste Kochbuch für einen Papst aus dem Jahre 1570, von Küchenchef Bartolomeo Scappi. In London gefunden.
«Keep it simple.» Welches Kochbuch kann er empfehlen? Ein möglichst simples, sagt er. Keep it simple sei sein Prinzip, «möglichst wenig Zutaten, möglichst wenig machen damit, so bleibt der Eigengeschmack erhalten. Und nicht sieben bis acht verschiedene Geschmäcker auf dem Teller, zwei, drei genügen. Das ist alles, es muss gut sein, leicht und gesund.» Und wer kocht bei Mosimanns? Die Frau! «Sie kocht gut», sagt Anton. Am liebsten hat er Kutteln milanese oder Kalbskopf mit Vinaigrette. Und morgens ein Birchermüesli mit Sojaflocken, Dinkelflocken, vielen Früchten und einem Bifidus-Joghurt. Am Sonntag holt der Kochstar bei Starbucks ein Caramel Macchiato für Kathrin und ein Soya Cappuccino für ihn. «Und zwar bei jedem Wetter», sagt Kathrin. Und die legendären Fliegen ihres Mannes kann nur sie bügeln und knüpfen. Und beim Rallyefahren ist er am Steuer, und sie liest die Karte. «Toni kann vieles, aber Karten lesen kann er nicht», lacht sie. Nur Speisekarten.