Text: Stephan Thomas I Fotos: Nik Hunger

Liebling der Top-Chefs. Rätsel für gastronomische Szenenkenner: Wie heisst das Restaurant, das kein Gourmettempel sein will und demnach keine Punkte hat - wo aber Starköche wie Andreas Caminada oder Franz Wiget ein- und ausgehen? Auch Spitzensommeliers wie Christoph Kokemoor nehmen dafür einen Umweg in Kauf. Andreas Caminada ist hier sogar ein «Habitué», verdrückt auch einmal eine doppelte Portion von dem Salat aus Cuor di Bue-Tomaten. Franz Wiget gibt zu Protokoll: «Wenn wir einmal frei haben, kommen wir mit Freude hierher.» Noch zwei Markenzeichen des Lokals: Der legendäre Hackbraten. Die Schiefertafeln, die zusammen mit den Tagesempfehlungen die Speisekarte ersetzen. Sie haben es herausgefunden? Es ist das «Landhaus» in Fläsch GR.

Landhaus Flaesch, Ignaz und Theresa Baumann

Wohlverdienter Ruhestand: Theresa und Ignaz Baumann gehen nach über 50 Jahren in der Gastronomie in Pension.

Raus aus der Küche, rauf auf die Harley. Die schlechte Nachricht: Theresa und Ignaz Baumann, während 25 Jahre hier Pächter, gehen am 25. Juli 2022 in Pension. Das haben sie mehr als verdient, haben auch beide die Siebzig überschritten. Ihr Alter sieht man ihnen aber keineswegs an - besonders nicht, wenn sie zusammen auf der Harley sitzen. Motorräder sind ihre grosse Leidenschaft. Mit Begeisterung haben sie an den Harley-Gourmet-Rides teilgenommen, die es mittlerweile leider nicht mehr gibt. Man stelle sich vor: 120 Gastronomen, alle mit Harley, die schwarmweise kulinarische Top-Adressen anpeilen. Theresa und Ignaz haben die ganze Schweiz per Motorrad bereist, auch die Toskana und Korsika.

 

«Ich brauche den Kick». Ignaz ist in seiner Küche zuhause. «Es ist etwas eng hier, manchmal muss man ein wenig jonglieren. Aber ich brauche das, es gibt mir den Kick. Ich bleibe aber immer ruhig, nicht wie manche andere ...» Ignaz und Theresa sind Gastgeber mit Fingerspitzengefühl. «Man muss grosszügig sein können, manchmal einen Apéro spendieren. Das ist gut für die Kundenbindung. Ich habe einmal einem treuen Gast, einem Industriellen aus Düsseldorf, ein Essen spendiert. Das hat ihn gefreut und erstaunt. In seinem Düsseldorfer Stammlokal, wo er seit vierzig Jahren verkehrt, hat er nie auch nur einen Kaffee offeriert bekommen.»
 

Landhaus Flaesch, Ignaz Baumann, Hackbraten aus Kalbfleisch

Markenzeichen #1: Der legendäre Hackbraten.

Landhaus Flaesch, Ignaz Baumann

Chef Ignaz Baumann: «Ich brauche den Kick».

Landhaus Flaesch, Ignaz und Theresa Baumann

Markenzeichen #2: Die Schiefertafel mit dem aktuellen Tagesangebot.

50 Jahre in der Gastronomie. Wer fünfzig Jahre in der Gastronomie verbringt, die Hälfte davon in Fläsch, hat allerhand zu erzählen. Auch Ignaz: «Es gibt so viele Erinnerungen, ich könnte glatt ein Buch schreiben. Ein Beispiel: Früher hatten wir auch am Heiligabend geöffnet. Da kamen Alleinstehende, aber auch Familien mit kleinen Kindern, die hier ihre Päckchen auspackten. Es wurde dann sehr lustig, manchmal wurde auch spontan musiziert bis in den frühen Morgen.» Nicht vergessen geht auch, wenn ein Staatsoberhaupt zu Gast ist. Namen möchten Baumanns hier aber nicht genannt sehen.

 

Die Nachfolge ist geregelt. Was nun? «Wir werden zuerst einmal herunterfahren. In Bad Ragaz haben wir an zentraler Lage eine Wohnung erwerben können. Längerfristig kann ich mir schon vorstellen, wieder ein wenig zu kochen, etwa für Gäste», schaut Ignaz in die Zukunft. Die Nachfolge ist geregelt: Oliver und Sandra Klotz, bisher in der «Zollstube» des Grand Resort Bad Ragaz, übernehmen. Man wird also weiterhin in der stimmungsvoll getäferten Gaststube tafeln können. Oder auf der Terrasse, mit Blick auf Reben, Kirche und die schroffen Felsen des Fläscherbergs. Dass Oliver und Sandra Klotz den berühmten Hackbraten von der Karte nehmen werden, können wir uns nicht vorstellen.