Text: David Schnapp Fotos: Marcus Gyger

Weltenbummler, Weltverbesserer. Massimo Bottura (rechts), eigentlich in der «Osteria Francescana» in der Balsamico-Hauptstadt Modena zu Hause, reist um die Welt. Mal verwöhnt er Gäste in fremden Luxusrestaurants, mal hilft er benachteiligten Kindern ist Istanbul. Sein neues Buch «Bread is Gold» zeigt, wie man aus Essensresten Mahlzeiten kochen kann. Signor Massimo war auf der «World’s 50 best»-Liste die Nummer 1 – bis ihn der Aargauer  Dani Humm (Eleven Madison Park, New York) an der Spitze abgelöst hat.

 

Die Auster, die keine war. Auf seiner nicht enden wollenden Weltreise, ist Bottura am Montag in Fürstenau eingetroffen, wo er mit Andreas Caminada für dessen Stiftung Fundaziun Uccelin ein Dinner für 45 Gäste zubereitete. Der Erlös (das Ticket gab’s zum Preis von Fr. 850.–) geht vollumfänglich in die Stiftung, die Talente in der Gastronomie fördert. Caminada servierte wunderbare Gerichte wie Felchen, Zwiebeln und Stangensellerie. Bottura verblüffte mit einer Auster, die gar keine war! In die Schale schmiegte sich mariniertes Lammfleisch, zu Tatar geschnitten; «Tribute to Normandy» heisst diese Vorspeise.

Massimo Bottura

Austern? Falsch! Tatar von einem Pré-Salé-Lamm. Massimo Bottura verblüfft seine Gäste.

Andreas Caminada, wenn Sie an Massimo Bottura denken: Welches Gericht kommt Ihnen in den Sinn?

AC: Massimo ist ein Genie, wie es kein zweites gibt: Es gibt so viele Signature Dishes von ihm, das ist ja einmalig – zum Beispiel die «Lemon Tart» oder «Die Erinnerung an ein Mortadella-Sandwich. Er ist ein Geschichtenerzähler, und dafür bewundere ich ihn.

 

Massimo Bottura, wenn Sie an Andreas Caminada denken, welches Gericht kommt Ihnen in den Sinn?

MB: Zunächst einmal: Wir sind hier, um zu zeigen, dass im Jahr 2017 jener Küchenchef den Unterschied macht, der Sinn für Kultur, gesellschaftliche Verantwortung und für die Umwelt hat. Wir sind viel mehr als die Summe unserer Rezepte. Zu Andreas: Mir kommt kein Gericht, sondern eine Geste in den Sinn.

Worauf sprechen Sie an?

MB: Ich hatte ihn 2015 eingeladen, um in unserem Restaurant «Refettorio» an der Weltausstellung in Mailand aus Essensresten der Supermärkte zu kochen. Es gab viele aussergewöhnliche Momente in diesem Projekt. Alain Ducasse, der einen Lastwagen entlud, Ferran Adria, der in einem Topf rührte. Andreas aber hatte für alle etwas mitgebracht, und wie er dastand und Schokolade an Migranten und andere Leute am Rande der Gesellschaft verteilte – diesen Moment verbinde ich mit ihm, und er hatte einen schon fast biblischen Charakter.

 

Sie reisen scheinbar pausenlos um die Welt, engagieren sich. Was bringt Sie nach Fürstenau, «die kleinste Stadt der Welt»?

MB: Wenn ich meine Leute frage, ob jemand an seinem freien Tag in die Schweiz kommen möchte, um mit Andreas Caminada für seine Stiftung zu kochen, geht jede Hand in der Küche in die Höhe.

 

Sie haben völlig unterschiedliche Herangehensweisen, um Essen auf den Teller zu bringen. Was unterscheidet Sie?

AC: Mir geht es um die Gastfreundschaft, darum ging es immer: ein Gesamterlebnis, das sich ums Essen dreht. Von den etwa 200 Gerichten, die ich seit 2003 auf «Schloss Schauenstein» kreiert habe, sind heute vielleicht fünf immer noch gut. Signature Dishes waren nie mein Ziel, auch wenn der Saibling mit Karotte oder die Langoustine mit Zitrone vielleicht solche sind. Massimo denkt wie ein Künstler, ich sehe mich als Handwerker.

MB: Wenn wir ein Gericht kreieren, wollen wir eine Marke setzen. Die «Osteria Francescana» ist ein Labor der Ideen. Wir sind 56 Leute und servieren täglich 60 Mahlzeiten unseren Gästen und 112 unseren Mitarbeitern. Gut oder schlecht zu kochen, braucht gleich viel Zeit. Es ist nur eine Frage der Idee, ob es gut oder schlecht wird. Wir spielen mit den Dingen, so entstehen unsere Gerichte. Ich will, dass man mich mit meinen Kreationen identifizieren kann, denn das bin ich. Deshalb ist das Reisen für mich so wichtig: Plötzlich entdeckt man in einer dunklen Ecke etwas, aus dem eine Idee entsteht. Die Kunst ist, das zu entdecken.

 

Denken Sie als Koch wie ein Künstler?

MB: Wir komprimieren in Gerichten Geschichte, Kunst und Musik. Wir schauen kritisch in die Vergangenheit und bringen das Beste daraus mit dem Blick von heute in die Gegenwart. Unsere Gerichte entwickeln sich aber ständig weiter. Wenn das nicht mehr passiert, nehme ich es von der Karte.