Text: David Schnapp Fotos: Thomas Buchwalder

Schaulaufen der Dreisterne-Köche. Zu Beginn des Abends eine Szenerie, die eher zu einem belebten Marktplatz in Rom oder Neapel passen würde: Fünf Köche mit Dreitagebärten in weissen Jacken, schwarzen Schürzen und lustigen Mützen auf dem Kopf diskutieren vor allem mit den Händen und ein bisschen auf Italienisch oder Englisch: Es sind die Mitglieder der «Squadra Romito», die für einen Abend nach Zürich gekommen sind, um im edlen Stadtresort «The Dolder Grand» das Gourmetfestival «The Epicure» zu eröffnen.

 

Gastronomie statt Ökonomie. Niko Romito (Bild oben) führt das Ristorante «Reale» in Castel di Sangro im Herzen Italiens. Es ist mit 3 «Michelin»-Sternen und 19,5 «Espresso»-Punkten ausgezeichnet und wird auf Rang 43 der «World’s 50 best Restaurants» geführt. Das ist deshalb nicht ganz selbstverständlich, weil Romito eigentlich Ökonom werden wollte. Sein Vater habe das Haus 1998 von einer Pasticceria in ein Restaurant transformiert, und sei dann unerwartet verstorben, erzählt Romito. «Da habe ich mein Studium abgebrochen und mich in die Küche gestellt.

Epicure The Dolder Grand Niko Romito und Heiko Nieder

Zwei, die sich ohne grosse Worte verstehen: Dreisternekoch Niko Romito (l.), Gastgeber Heiko Nieder.

Jeden Abend drei neue Sterne. In der Küche von «The Restaurant», geführt von Heiko Nieder, geht es in diesem Moment um eher einfache Fragen: Gesucht werden 15 Backbleche grösseren Ausmasses, es braucht Styropor-Behälter für die Arbeit mit Flüssigstickstoff und weil Küchenchef Nieder kein Italienisch und Romitos Leute kein Englisch sprechen, gestaltet sich die Kommunikation freundlich, aber gestenreich. Am Ende haben alle, was sie brauchen, die Vorbereitung für den ersten Abend von «The Epicure» laufen. Das Festival gehört in der Schweiz zu den hochklassigsten seiner Art, jeden Abend kocht Gastgeber Heiko Nieder mit einem Kollegen ein 4-Hands-Dinner. Voraussetzung für die Gastköche ist lediglich, dass ihre Restaurants mit 3 Sternen ausgezeichnet sind.

 

Die Koch-Akademie. Bei Niko Romito, Jahrgang 1974, dem Autodidakt aus Mittelitalien, ging es bloss sieben Jahre von der Übernahme des Lokals bis zur Höchstbewertung. Trotzdem sagt er heute offen: «Zuerst war es ein grosser Nachteil, dass ich kein gelernter Koch war.» Der Vorteil als Quereinsteiger sei höchstens, dass man nicht von seinen Ausbildern beeinflusst sei, sagt Romito. So habe er seinen eigenen Stil entwickeln können. Seit vier Jahren führt der Mann, der für sein Restaurant das Studium abgebrochen und nie eine Kochausbildung durchlaufen hat, übrigens eine eigene Kochakademie, in der die meisten der jungen Männer, die mit ihm in Zürich arbeiten sind, ausgebildet wurde.

 

Millimeterarbeit mit dem Gel: Niko Romito beobachtet die Arbeit der «Dolder»-Brigade.

Die «nackte» Küche. Niko Romitos Küche ist sehr eigenständig, minimalistisch. «Die Zwiebel ist meine Foie Gras», sagt der Chef. Sein Signature Dish war lange ein konzentrierter Zwiebelfond, der mit Pasta und Parmesan serviert wurde. «Ich wollte immer mit sehr einfachen, traditionellen italienischen Zutaten arbeiten», sagt der Koch und fügt an: «Für teure, besondere Zutaten braucht es oft keine besonderen Fähigkeiten.» Das Einfache liege ihm persönlich einfach auch mehr, sagt der bescheiden wirkende Mann mit den sanften Augen und dem graumelierten Bart. Seine Küche, fügt er an, sei «nackt»: Wenn nur zwei, drei Zutaten auf dem Teller seien, könne man nichts verbergen.

 

Epicure The Dolder Grand Niko Romito

Wolfsbarsch mit Petersiliencreme vom 3-Sterne-Koch aus Mittelitalien.

Enzianwurzel-Kugeln! Eine Stunde vor Beginn des Abends ist in der Küchenzeile der Italiener bereits entspanntes Plaudern angesagt, die meisten Vorarbeiten wurden zu Hause erledigt, nur wird zum Beispiel noch ein hochkonzentriertes Petersilienpüree pacossiert und dann durch ein Sieb gestrichen. Nebenan frieren zwei Köche kleine Enzianwurzel-Kugeln in flüssigem Stickstoff ab. Sie sind Teil eines Desserts, das wie alle Süssspeisen im «Reale», kaum süss schmecken und ohne zusätzlichen Zucker auskommen.

 

Wie ein buddhistischer Mönch. Romito selbst kocht mit der Entspanntheit und Ruhe eines buddhistischen Mönchs einen kleinen Topf mit Salzwasser auf, gibt gefüllte Teigwaren hinein und stoppt die Zeit, bis sie gar sind. Dann gibt es ein neues Problem, das Heiko Nieder für seinen Kollegen lösen soll: Die Teller für die Tortelli mit Mandelfüllung, die in einer geräucherten Pilzbrühe serviert werden, sind zu gross. Kleinere müssen her, Romito bittet freundlich darum, Nieder rennt los. Danach nimmt der Abend seinen recht ruhigen Lauf. Hektisch wird es zwischendurch höchstens mal, wenn Küchenchef Nieder kurz die Stimmer erhebt, um Küche und Service auf Präzision und Timing einzuschwören. Als Erfinder und Kopf von «The Epicure» hat er klare Vorstellungen von einem perfekten Geniesserabend.

Heiko Nieder The Dolder Grand Zürich

Flusskrebse: Kombiniert Heiko Nieder mit Melone, Dill und grünem Curry.

Wolfsbarschcreme & Petersilienpulver. 60 mal 8 Gerichte plus zwei Amuse Bouches, Petit Fours und Pralinen werden heute geschickt, los geht es mit Flusskrebsen, Melone, Koriander, Dill und grünem Curry von Heiko Nieder, gefolgt von der schlichten Romito-Kombination aus Wolfsbarsch, Kapern und Petersilie – ganz ohne Edelprodukte geht es dann doch nicht. Der Fisch wird mit Kräutern und Knoblauch gegart, dann mit einer Wolfsbarschcreme bestrichen, mit Kapernpulver bestreut und schliesslich neben der Petersiliencreme auf den Teller gebracht. Es ist ein nur auf den ersten Blick ein simples Gericht, in seiner Konzentration der Aromen ist es grosse Küche. Die zeigt sich auch im Mut des Italieners, der frech genug ist, den Gästen im «Dolder» auch einfach ein Stück Sauerteigbrot auf den Tisch zu stellen – gebacken mit «Lievito Madre» (Mutterhefe). Brot ist seine grosse Leidenschaft, mit wissenschaftlicher Genauigkeit hat er Kornsorten studiert und mit Sauerteig experimentiert. Das Resultat ist wie bei seinen Gerichten: einfach, nackt, aber grossartig.