Text: David Schnapp

«Ein wenig chaotisch.» Najat Kaanache ist laut der einflussreichen Liste «The World’s 50 best Restaurants» die beste marokkanische Köchin der Welt. Im Januar ist sie Gast am St. Moritz Gourmet Festival, aber sie im Hinblick auf den Auftritt im Oberengadin ans Telefon zu bekommen, erweist sich als kompliziertes Unterfangen. «Es ist gerade ein wenig chaotisch», sagt die im spanischen Baskenland aufgewachsene Kaanache, die ihr Restaurant Nur in der Medina der marokkanischen Stadt Fès betreibt.

Frau Kaanache, Sie haben schon alle möglichen Jobs gehabt, unter anderem waren Sie Schauspielerin in einer spanischen Telenovela…
Ach, hören Sie auf mit dieser alten Geschichte, stellen Sie mir doch interessantere Fragen!

Ich versuche es gerne: Welches war Ihr erstes Gericht?
In meiner Heimatstadt Orio in Spanien habe ich als Zwölfjährige in der Pension der Familie Esnal Reis mit Poulet zubereitet, so hat alles angefangen.

Wovon haben Sie als Kind geträumt?
Nachts habe ich immer den Sternenhimmel betrachtet, und es ging mir in meinem Leben immer darum, hochgesteckte Ziele zu erreichen. Ich strebe nach Freiheit und Glück, das klingt simpel, ist aber äusserst anspruchsvoll zu erreichen.

Sie haben in Ihrer Karriere Projekte für Strassenkinder in Südamerika realisiert, aber auch mit Weltstars der Avantgarde-Küche wie Ferran Adria oder Grant Achatz gearbeitet. Was treibt sie an?
Ich habe auch schon Yoga unterrichtet, in Mexiko City und im Dschungel gelebt. Mich treibt der Hunger der Leute an, deshalb koche ich auch in Afrika. Ein Restaurant zu betreiben, ist hier oft ziemlich chaotisch. Wenn die Wände sprechen könnten, würden sie unglaubliche Geschichten erzählen können. Mein Leben ist dadurch vielleicht kompliziert, aber auch sehr aufregend. 

Najat Kaanache TV-Show «Cocina Marroqui»

«Mich treibt der Hunger der Leute an»: Najat Kaanache als Präsentatorin der TV-Show «Cocina Marroqui».

Was fasziniert Sie am Kochen?
Food ist mein Weg, um mit der Welt zu kommunizieren. Es ist eine Sprache, die man überall versteht. Es gibt Leute, die noch nie eine Tomate gegessen haben, und das ist in höchstem Masse ungerecht. Wir als Köche sind aufgefordert, auf die Ungerechtigkeit des Hungers aufmerksam zu machen. Die Liebe, welche zum Ausdruck kommt, wenn man Essen zubereitet und serviert, kann mit nichts aufgewogen werden. Jeder Mensch, überall auf der Welt, sollte diese Liebe erfahren dürfen. Wenn es mir gelingen würde, den Hunger zu beenden, würde ich alles andere dafür aufgeben.

Was muss man über die marokkanische Küche wissen?
Sie ist weit mehr als Cous-Cous und Tajine. Das bereite ich nur für Freunde aus Europa zu, wenn sie mich darum bitten. Der Reichtum unseres Landes und die Art wie wir Gemüse, Fisch oder Fleisch, aber auch Salate zubereiten, ist sehr vielfältig. Ich koche ohne Maschinen, bei mir brennen sechs Feuer in der Küche. Ich arbeite mit Rauch, Flammen und Techniken wie dem Einmachen, Einsalzen und Fermentation, und das ist alles typisch marokkanisch. Viele Leute glauben ja, das Techniken wie die Fermentation eine Erfindung aus dem Norden sei. Aber das stimmt nicht, Zubereitungen wie Garum stammen aus der jüdisch-muslimischen Tradition.

Welcher Geschmack charakterisiert Sie am treffendsten
Eine Zitrusfrucht, die süss, sauer, bitter oder salzig sein kann.

Täuscht es, oder haben Sie sich, mit Verlaub, ein gewisses Mass an Verrücktheit bewahrt?
Nein, nein, ich bin nicht verrückt. Ich nehme mir bloss die Freiheit, zu sagen, was ich denke.

Was dürfen die Gäste am Gourmet Festival von Ihnen erwarten?
Es gibt zum Beispiel verbrannte Aubergine mit Olivenöl und Knoblauch, dazu fermentierte Miso, eingesalzene weisse Bohnen als Püree mit karamellisierten Zwiebeln und fermentierten Zitrusfrüchten sowie Lachsorgen. Dieses Gericht ist sehr marokkanisch, es symbolisiert die Lage zwischen Berge und Meer, es schmeckt salzig, süss und sauer.


>> Najat Kaanache ist vom 20. bis 24. Januar 2023 Gastköchin im Hotel Nira Alpina am St. Moritz Gourmet Festivals. 2016 eröffnete Kaanache ihr Restaurant «Nur» in der Medina der marokkanischen Stadt Fès, sie ist ausserdem das Gesicht der erfolgreichen TV-Show «Cocina Marroqui», die in Spanien und 20 lateinamerikanischen Ländern ausgestrahlt wird.