Text: David Schnapp Fotos: Olivia Pulver

Training in der Küche. Auf der Rückenseite seiner weissen Kochjacke ist dezent «DT7» eingestickt, das nicht zufällig an einen bekanntesten Fussballer der Welt erinnert: «Ich möchte der Cristiano Ronaldo der Küche sein und trainiere so lange, bis etwas perfekt ist», sagt der erst 26-jährige Daniele Tortomasi. Seit Anfang 2020 leitet er die Küche im Tropenhaus Wolhusen, wo mittags einfache Küche und abends im Schatten eines tropischen Gartens ein anspruchsvolles Menü in zwölf Gängen serviert wird.

 

Tische unter Palmen. Und Tortomasi hat sich für das Gourmetrestaurant The Nucleus (15 Punkte) an einem nicht ganz einfachen Ort viel vorgenommen. Das Tropenhaus liegt abgelegen, vom Parkplatz beim Spital dauert es einen einen kurzen Spaziergang an einsamen Höfen vorbei, bevor man durch die Glastüren in den exotischen Garten treten kann. Aber bei unserem Besuch sind die Tische unter Palmen erstaunlich gut besetzt für ein anspruchsvolles Restaurant Mitten im Nirgendwo.

Daniele Tortomasi Chefkoch - Tropenhaus in Wolhusen - Restaurant The Nucleus - 11. Dezember 2020 - Copyright Olivia Pulver

Tropische Romantik: Tisch für zwei im «The Nucleus».

Limette - Daniele Tortomasi Chefkoch - Tropenhaus in Wolhusen - Restaurant The Nucleus - 11. Dezember 2020 - Copyright Olivia Pulver

Küchenchef Tortomasi kann im Tropenhaus Limetten direkt vom Baum pflücken.

Zu schneller Erfolg. Für Daniele Tortomasi war der Schritt über die Grenze in die Schweiz «eine Chance, die ich unbedingt ergreifen wollte». Er war zwar in Mainz bereits erfolgreich gestartet und hatte im «Favorite» in kurzer Zeit 16 Punkte und einen Stern erkocht. Und dann sagt Tortomasi einen erstaunlichen Satz: «Der Erfolg kam zu schnell, ich hatte die besten Produkte auf dem Teller, aber trotzdem hat etwas gefehlt.»

 

Kulinarischer Magnet. Wie ein sensibler Fussballer vielleicht gehört Daniele Tortomasi zu den Menschen, die erst in einem idealen Umfeld ihr ganzes Potential entfalten können. Im «Nucleus» scheint das der Fall zu sein, der Ort ist einmalig, die Aufgabe des Küchenchefs ist es, mit den Produkten, die vor Ort wachsen, einen kulinarischen Magneten zu bauen, der das Tropenhaus ins Gespräch bringt.

Daniele Tortomasi Chefkoch - Tropenhaus in Wolhusen - Restaurant The Nucleus - 11. Dezember 2020 - Copyright Olivia Pulver

Der Koch und sein Garten: Das Tropenhaus schafft Daniele Tortomasi eine einmalige Ausgangslage.

Spaziergang durch die Tropen. Der junge Koch nimmt uns mit auf einen kleinen Spaziergang durch die Tropen, wo einem buchstäblich die süssen Früchte in den Mund wachsen: Kumquats, Drachenfrüchte, Bananen, Papayas, aztekisches Süsskraut, Limetten oder Lulus – eine Art Mischung aus Tomaten und Mandarinen: Es ist ein Schlaraffenland der Exotik und es gibt Tortomasi Möglichkeiten, die kein anderer Koch in der Schweiz hat.

 

«Sehr detailverliebt» «Vor jedem neuen Menü spreche ich mit den Gärtnern, dann werden die entsprechenden Samen besorgt und angepflanzt», erklärt der Küchenchef seine Arbeitsweise. Auf dem Teller führt das zu Gerichten, die gemäss Tortomasis Selbstdeklaration «sehr detailverliebt» daherkommen. Während viele Köche gerne von der Reduktion auf das Wesentliche sprechen, will Tortomasi kulinarische Handwerkskunst sichtbar machen, seine Teller sind aufwendig komponierte Arrangements, welche den Ehrgeiz des jungen Kochs gut zum Ausdruck bringen.

Finger Limes - Daniele Tortomasi Chefkoch - Tropenhaus in Wolhusen - Restaurant The Nucleus - 11. Dezember 2020 - Copyright Olivia Pulver

Wertvolle Zitrusfrucht: Buddhas Hand im Tropenhaus.

Lulo - Daniele Tortomasi Chefkoch - Tropenhaus in Wolhusen - Restaurant The Nucleus - 11. Dezember 2020 - Copyright Olivia Pulver

Zwischen Mandarine und Tomate: reife Lulus.

Figur aus der Südsee. Und immer wird einem natürlich auch in Erinnerung gerufen, wo man gerade isst: eingesalzene Papaya zur Jakobsmuschel, grüne Pfirsiche zum Rebhuhn, das samt Niere und Leber serviert wird, oder ein kreolischer Sud, der im Dessert zur geeisten Crema Catalana angegossen wird. Sie kommt in Form eine Tiki-Figur auf den Teller. Tortomasi hat die kultische Figur aus der Südssee eines Tages im Tropenhaus entdeckt, eine Silikonform als Abbild machen lassen und nutzt die jetzt für seine Süssspeisen.

 

Zufall und Übermotivation. Dass Daniele Tortomasi überhaupt in der Küche gelandet ist, kann als Mischung aus Zufall und Übermotivation gesehen werden. Als der damals 13-Jährige in einem Hotel voller Enthusiasmus ein Praktikum antreten wollte, vergass er vor lauter Übereifer seine gute Anzugshose mitzunehmen und wurde auf Grund des mangelhaften Auftritts deshalb in die Küche gesteckt. «All diese Leute in Weiss, die Kochmützen, die Hitze, der Stress – diese Atmosphäre hat mich sofort gepackt», erzählt er heute. Das Praktikum wurde kurzerhand von «Hotelfachmann» auf «Koch» umgeschrieben und Tortomasi nahm seinen Weg nach oben in Angriff. Er lernte in einer gutbürgerlichen Küche und las in Magazinen über die ganz Grossen, wobei ihn der Avantgardist Ferran Adrià ebenso faszinierte wie der legendäre Harald Wohlfahrt.

Coach aus der «Schwarzwaldstube». Mit 21 Jahren kam Daniele Tortomasi in Wohlfahrts Drei-Sterne-Lokal «Schwarzwaldstube», ein gewissermassen ewiger Wert in der Gourmetwelt Deutschlands. Er wurde schnell Chef de Partie, betreute den Fischposten und drohte bisweilen abzuheben, wie er selbstkritisch zugibt. Wohlfahrts damaliger Küchenchef Torsten Michel kümmerte sich um das junge Talent und sorgte dafür, dass der 21-Jährige mit den Füssen auf den Boden blieb. «Das war nicht immer einfach, da sind auch mal Tränen geflossen», sagt Tortomasi. Michel, der heute die «Schwarzwaldstube» leitet, wurde zum väterlichen Freund, und Daniele Tortomasi telefoniert regelmässig mit seinem ehemaligen Chef, dem wohl entscheidenden Coach in seiner Karriere.

 

Ziel: Unverwechselbarkeit. Im idyllischen Wolhusen hat Tortomasi eine neue Heimat in vielerlei Hinsicht gefunden. «Hier kann ich meine Küche, meine Handschrift und meine Kreativität perfekt rüberbringen», sagt er. Seine Gerichte lebten davon, dass traditionelle Produkte oder Zubereitungen mit neuen technischen Kniffen und in unerwarteten Kombinationen dargestellt werden. Wie die Rinderzunge, die mit dem Herz des Bananenbaumstamms und Safran auf den Teller kommt. Und so wie Cristiano Ronaldos Freistosstechnik einmalig ist, sucht auch Daniele Tortomasi nichts weniger als die Einzigartigkeit. «Für ein neues Gericht brauche ich fünf Monate – nicht, weil ich keine Ideen hätte, sondern weil es unverwechselbar sein soll.»

>> GaultMillau und American Express scouten junge, begabte Köche, die die Zukunft vor sich haben. Bisher auf der Liste «Talente 2021»: Dominic Bürli, Wildenmann, Buonas. Fortsetzung folgt.