Text: David Schnapp Fotos: Marcus Gyger

Die lautesten werden belohnt. Der Italiener Massimo Bottura ist mit seiner «Osteria Francescana» in Modena zum zweiten Mal auf Platz eins der «World’s 50 best Restaurants». Ganz überraschend ist die Wahl nicht, wenn man den Mechanismus der umstrittenen, aber einflussreichsten Liste kennt, die vielleicht nicht die besten, aber sicher die interessantesten und lautesten Chefs belohnt.

 

«Eurovision» der Gastronomie. Rund 1000 Academy-Mitglieder wählen jedes Jahr ihre besten Restaurants. Dabei müssen zuerst Lokale aus dem eigenen Wahlgebiet und dann solche aus anderen Wahlgebieten berücksichtigt werden. Ähnlich wie beim «Eurovision Song Contest» geht es also darum, möglichst viele Stimmberechtigte aus anderen Wahlkreisen von sich zu überzeugen.

Der Chef aus der Balsamico-Hauptstadt Modena ist auf der «World’s 50 best»-Liste wieder die Nummer 1.

Wahlkämpfer in eigener Sache. Und weil niemand belegen muss, dass er in den Restaurants, für die er stimmt auch wirklich gegessen hat, haben Köche, die viel auftreten und in den Medien sehr präsent sind einen Vorteil. Und kaum jemand tritt so oft an Kongressen, Symposien und anderen Veranstaltungen auf wie Bottura – als eine Art Wahlkämpfer in eigener Sache.

 

Mit Bottura gibt es aber auch eine Art Politisierung der Liste. Während es beispielsweise bei den beiden Schweizer Vertretern unter den besten 50, Andreas Caminada und Daniel Humm, um Essen und Gastfreundschaft auf höchstem Niveau geht, hat Bottura mittlerweile eine Mission: Mit seinen «Refettorios», die er in Mailand, Paris und London als Non-Profit-Organisationen betreibt, sollen «die Unsichtbaren sichtbar gemacht werden», wie er sagt. Hunger und die Verschwendung von Lebensmitteln sind Themen der «Refettorios».

 

Aushängeschild für die Schweiz. Für seinen Schweizer Kollegen Andreas Caminada ist Botturas Erfolg auf der Liste keine Überraschung: «Es ist eine bewusste Entscheidung, ob man den Aufwand betreiben will, den es braucht, um oben zu stehen», sagt Caminada nach der Feier in Bilbao. «Für mich ist es ausreichend, überhaupt unter den besten 50 zu sein. Ich bedaure nur, dass in der Schweiz viele noch nicht gemerkt haben, dass die Gastronomie ein gutes Aushängeschild eines Landes sein kann. Das sieht man bei Bottura, aber auch bei den Peruanern beispielsweise.» Gleich drei Restaurants aus Lima sind unter den Top 50, mit ein Grund sind wohl die Bemühungen der peruanischen Tourismusorganisationen, das Land als Food-Destination zu positionieren.

 

Die Fragen nach der Show. Mit Smoking und Gucci-Turnschuhen beantworteten ein sichtlich aufgewühlter Massimo Bottura und seine Frau Laura nach der pompösen Award Show ein paar Fragen.

 

Massimo Bottura, wie ist es, wieder an der Spitze der gastronomischen Welt zu liegen?

Das Aufregende ist für mich, Projekte zu realisieren, die vor fünf Jahren noch nicht denkbar gewesen wären. Wir revolutionieren die Welt des Essens, Schritt für Schritt. Das ist unglaublich! Meine Herzensangelegenheit sind die «Refettorios», die wir in Mailand, London oder Paris eröffnet haben. Ich möchte das Scheinwerferlicht nutzen, um die Unsichtbaren sichtbar zu machen.

Massimo Bottura

Kalbfleisch, in Milch mariniert. Bottura: «Schön und psychedelisch, im Geist des Künstlers Damian Hirst.»

Und die «Osteria»: Ist es das bessere Restaurant als noch vor zwei Jahren, als Sie zum ersten Mal Nummer eins waren?

Ja, das ist so. Wir sind gewachsen, das Team ist stärker geworden. Und die «Osteria» bleibt auch das Zentrum meiner Tätigkeit, ohne das ich alle die Dinge nicht tun könnte.

 

Welche Dinge haben Sie noch vor?

Man muss grosse Träume haben. Vor ein paar Jahren konnten wir mit einem einzigen Rezept 360’000 Laibe Parmiggiano Reggiano verkaufen, die nach dem Erdbeben zerstört worden waren. Kürzlich habe ich für Politiker gekocht und Henry Kissinger wollte ein Selfie mit mir machen. Das ist crazy, nicht? Und es zeigt, dass wir Köche mehr sind als bloss die Summe unserer Rezepte.

 

Und was hat die «Osteria Francescana» für Modena gebracht?

Wir haben Modena verändert! Wenn ich heute mit meinem Velo durch Modena fahre, werde ich von den Landenbesitzern aufgehalten, die mir danken wollen. Denn früher war nichts los in Modena, heute halten Reisebusse mit Chinesen vor unserem Restaurant. Die Touristen fotografieren sich vor der «Osteria». Aber es geht nicht nur um Modena sondern um ganz Italien. Durch den Erfolg kommen die Leute in unser Land und geniessen italienisches Essen.