Text: Max Fischer 

«Meat the summer». Die wilden Kerle in den angesagten Restaurants wecken Bern auf und machen die Bundesstadt auch kulinarisch zum Hotspot. Statt auf One-Man-Shows setzen sie auf Teamwork – ohne Neid und ohne Angst. Und weil es nirgends sonst so viele Restaurants am Wasser und über den Dächern gibt, wähnt man sich im Sommer in Bern trotz Corona in den Ferien am Mittelmeer oder in einer trendigen City. Hier trifft sich urbaner Lifestyle mit Quartierbeizen-Feeling und Bilderbuch-Schweiz zu Hochgenuss auf dem Teller. «Das Miteinander ist nur möglich, weil viele sehr gute Spieler auf dem Feld stehen», sagt Kevin Kunz, CEO des Kursaal (Grand Casino, Hotel Allegro, Kongresszentrum, Restaurant Giardino) und Chef von 500 Mitarbeitenden. Auf seinem Rooftop-Grill heisst das Motto «Meat the summer». Zu «Grill´n´Co»verwöhnt ein atemberaubender Blick über die Altstadt bis zu den Alpen.  

Steinhalle, Markus Arnold 2020

Im Historischen Museum unter uralten Eichen zelebriert Jungstar Markus Arnold in der «Steinhalle» raffinierte Gerichte aus aller Welt, aber auch Burger und Brunch.

«Ich reisse meine Kollegen mit.» Kevin Kunz ist ein alter Hase der Berner Gastroszene. Er kennt den Anführer der jungen wilden Kerle wie kein Zweiter: Markus Arnold (grosses Bild oben)! Der Jungstar rockt die «Steinhalle», zuvor zauberte er im jetzt geschlossenen Kursaal-Restaurant Meridiano 17 GaultMillau-Punkte aus den Töpfen. «Ich pushe immer wieder in neue Richtungen und reisse meine Kollegen mit», sagt er. Das war mit dem Start der «Steinhalle» vor drei Jahren der Fall. Doch den Grundstein für die Aufbruchstimmung in Bern legte Arnold zuvor mit zwei Pop-up-Projekten. «Da habe ich gezeigt, was möglich ist.» In zwei Jahren habe er über 15 000 Gäste bekocht. Er sei seiner Zeit immer ein wenig voraus, sagt er und lacht verschmitzt. Arnold setzt auf Understatement, Tischtücher gibt es keine, die Gäste können in T-Shirts und Jeans geniessen. «Aber was auf den Teller kommt, das muss brutal gut sein», sagt er. Grundsätzlich kocht er nur das, was er selber gerne isst. «Leider machen das viele Köche nicht.» Inspirieren lässt er sich auf Reisen. So auch für seine neue Sommerkarte. «Vor einigen Jahren habe ich die nördliche Halbinsel von Japan entdeckt.» Was er sah, liess ihn nicht mehr los: «Entlang der Küste von Hokkaido reihen sich Top-Spots mit bestem Seafood und im Landesinnern boomt eine noch junge Milchwirtschaft.»

Japan unter Berner Eichen. Wer das selber geniessen möchte, kann sich die weite Reise nach Japan sparen. Die «Steinhalle» serviert momentan einen Lostallo-Lachs mit Avocado, Soja und Rettich. Einen Seeländer Poulet-Oberschenkel vom japanischen Holzkohlegrill, Black Angus Entrecôte mit Shiitake und Miso oder schwarzem Sesam-Milchglace mit Kokosnuss. Weshalb nicht draussen unter uralten Berner Eichen in die Ferne schweifen? «Im Garten lässt sich einfach entspannen», weiss Markus Arnold, «und bei einem Shiso Smash Pläne für den Sommer zu Hause schmieden.»

Casino Bern

Über der Aare unter schattigen Bäumen serviert Ivo Adam mit seiner Crew auf der riesigen Terrasse des Casino Bern Leckeres vom Grill und vegetarische Köstlichkeiten.

Gipfeltreffen auf dem Campingplatz. Arnold sieht sich als Teamplayer: «Wir Gastronomen diskutieren in Bern miteinander, wir probieren Weine, essen zusammen und wir helfen einander mit Produkten und Mitarbeitenden aus. Alles ohne Neid!» Kein Wunder, freute er sich auf das Kommen des Koch- und Patissier-Weltmeisters Ivo Adam ins neue Casino. «Wir sind Freunde und wollen Bern weiterbringen.» Und typisch für die beiden: Ab und zu treffen sie sich abseits der Haute Cuisine auf dem Campingplatz Eichholz. Ein toller Ort, um im Sommer die Seele baumeln zu lassen: «Dort gibts im Restaurant Serini eine fantastische Pizza aus hausgemachtem Sauerteig.» Und der Flussstrand ist ideal für den Start zu einem Aareschwumm.

Casino-Burger, Mistkratzerli & Spareribs.  Ivo Adam will mit dem im September letzten Jahres wiedereröffneten Casino «ein Leuchtturm in der Berner Gastronomie» sein. Aber auch er sagt: «Alle sollen ein Stück vom Kuchen bekommen.» Wo früher Louis Armstrong und Herbert von Karajan auftraten und sich die Prinzessin von Monaco Grace Kelly die Ehre gab, soll jetzt Grandezza zwar nicht für Weltstadt- aber zumindest für Bundesstadt-Flair sorgen. Knapp 80 Millionen Franken hat die Burgergemeinde locker gemacht und das spätbarocke, klassizistische Casino-Gebäude originalgetreu restauriert. Ein Hin- und Ausgucker: die riesige Terrasse mit Blick auf die Berner Alpen und den Hausberg Gurten. Auf den Teller kommen hausgemachte Casino-Burger, aber auch Schweizer Mistkratzerli und Spareribs vom Schweizer Duroc Säuli.  

Al Dente Bern_Obstberg

In der Brasserie Obstberg geniesst man seine Mahlzeiten unter schattenspendenden Kastanienbäumen.

Al Dente Bern_Obstberg (von rechts nach links) Ratsch Pakkiyarasa Pushparaj, Daniel Balaz, Kuno Nüesch, Indira Masulli, Werner Rothen, Christian Schwedimann, Jacqueline Nguyen, Anouschka Lüthi

Die Berner Kochlegende Werner Rothen zaubert mit seinem Team traditionelle französische Gerichte.

Katsu-Milchbrot-Sandwiches. Und noch ein wilder Kerl: Der Gastro-Unternehmer Tobias Eastus (Cafe Einstein, Restaurant Moment) bringt Leben in Berns Beizenszene. Er schätzt sehr, dass viele trendige Lokale in der Altstadt mit ihren kleinen Küchen bei Bedarf auf die grosszügigen Kochmöglichkeiten bei den «Grossen» ausweichen können. Das Restaurant Moment beispielsweise lässt seine japanischen Katsu-Milchbrot-Sandwiches mit frittiertem Poulet im Casino produzieren, weil es im «Moment» keine Fritteuse gibt. Aber auch beim Personal unterstützen sich die Restaurants gegenseitig: Gute Leute sind im Gastgewerbe Mangelware. Je nach Anlass stellen sich die Restaurants gegenseitig Fachkräfte zur Verfügung. Typisch fürs Teamwork:  Markus Arnold produziert mit seinen Leuten Eistee in den riesigen Kochtöpfen des Casinos. Und der Kursaal füllt Eistee für kleinere Betreiber in seiner Grossküche ab.

Die jungen wilden Kerle spornen auch Arrivierte an. Kochlegende Werner Rothen hatte im alten «Schweizerhof» und dann im «Schöngrün« mit 17 GaultMillau-Punkten Berner Küchengeschichte geschrieben. Neu kocht er in der Brasserie Obstberg. Auch ihm gefällt die Entwicklung in Bern: «Viele sehr gute Köche beleben den Markt, heben die Qualität und spornen einen persönlich an», sagt er. Davon profitiere nicht nur der einzelne Betrieb – sondern der Standort Bern. Mit traditionellen französischen Gerichten wie Coq au vin und Cordon bleu will er künftig genauso punkten wie mit einer weltoffenen Küche mit asiatischen und pazifischen Einflüssen. «Très sympa» im lauschigen Garten unter alten Kastanienbäumen.

Crevettencocktail Calypso & krumme Dinger. Vollgas statt gemütlich cruisen heisst auch die Devise bei den alteingesessenen Berner 5-Sterne-Häusern. Das «Bellevue Palace» hat kräftig ausgemistet. Statt des in Grand Hotels obligaten Piano-Spielers legt heute ein DJ auf. An der Bar gibts 99 Gins. «Wir altehrwürigen Häuser müssen uns auch jeden Tag neu erfinden, Modernität und Urbanität hineinbringen», sagt General Manager Urs Bührer. Das spiegelt sich auf den Tellern. Küchenchef Gregor Zimmermann liebt es, traditionelle Gerichte neu zu interpretieren. «Unser absoluter Renner bei den Vorspeisen ist der uralte Crevettencocktail Calypso», verrät er. «Von den konfierten Tomaten bis zur Mayo machen wir alles selber.» Der ganze Prozess bis zur fertigen Sauce daure drei Tage. Er zeigt einen Salat: «Nur ein Kopfsalat», sagt er. Aber diesen bereite er mit einer Sauce Ravigote zu, diese werde heute fast nirgends mehr angeboten. Das Ur-Rezept stamme aus dem 18. Jahrhundert. Aus Essig und Öl, vermischt mit gehackten Kapern, Estragon und Zwiebeln. Zu den Hauptgängen serviert er mit Vorliebe Urgemüse. «Krumme Dinger» heisst ein eigenes Gericht mit nicht-normiertem Gemüse. «Solche Rüebli schmecken ganz anders als die Retortenrüebli», sagt er. Farbe, Geschmack und Textur – das sei einzigartig. Und ebenfalls aussergewöhnlich: Das Grand-Hotel gibt sich auf der Terrasse lässig und locker, statt steifer Brise weht ein frischer Wind. Und die Aussicht des Restaurants «Vue» ist wirklich «belle».

Skye Terrasse

Unschlagbare Aussicht und Ferien-Stimmung. Die Sky-Terrace des Hotels Schweizerhof hoch über den Dächern von Bern lockt mit französischer Bistro-Küche und dem legendären Jack´s Wienerschnitzel.

Sky-Terrasse mit Blick aufs Bundeshaus. Im Schweizerhof bringen der neue Direktor Maximilian von Reden und sein neuer Küchenchef Rudolf Reetz (er kochte beim deutschen Drei-Michelin-Sterne-Koch Klaus Erfort in Saarbrücken) Schwung und Elan in die legendäre Jack´s Brasserie. Der Hit im Sommer:  Geniessen kann der Gast die Köstlichkeiten aus dem «Jack´s» wie ein grilliertes Paillard vom Simmentaler Kalb oder ein Pot au feu vom Bretonischen Wolfsbarsch auch hoch oben auf der «Sky-Terrace» mit Blick auf Bundeshaus-Kuppel und Altstadt. Und auch hoch oben gibts den Klassiker Wienerschnitzel. Tag für Tag werden 50 hauchdünne Kalbspläzli mit lauwarmem Härdöpfel-Radieslisalat serviert. «Doch der Gast möchte auch überrascht werden», so von Reden. «Schöne Hotels mit schönen Zimmern gibt es viele.»  Manch einer staunt beispielsweise über die speziellen Besucher auf dem Dach: Hier logieren drei Bienenvölker mit je 30 000 bis 50 000 Bienen in drei Mini-Hotels – sie liefern den Honig fürs Frühstücksbuffet und die Faszienmassage im Spa. Im Gegensatz zu den Königen am Herd tun sich die Königinnen der Bienen mit Teamwork allerdings schwerer: Vor ein paar Tagen machte sich eine unzufriedene Königin mit 20 000 ihrer Bienen davon, was in Bern einen Einsatz der Feuerwehr auslöste. Aber auch von einer misslaunigen Königin lassen sich alte Wilde und wilde Junge in Bern nicht stoppen.

 

>> Die komplette Reportage lesen Sie im Magazin «al dente», jetzt mit der Schweizer Illustrierten am Kiosk.

 

Fotos: Thomas Buchwalder, Ellin Anderegg, David Biedert, Simon Opladen